Sektenführer, Gurus und radikale Glaubensgemeinschaften gebärden sich als Hüter der letzten Wahrheiten und versprechen die Erlösung für das Leben im Diesseits wie im Jenseits. Dies bedeutet für die Anhänger und Mitglieder, dass sie sich bedingungslos anpassen. Diese Anpassung hat meist die Qualität einer Unterordnung und Selbstaufgabe.
Dieser Exklusivanspruch ist sozialer Sprengstoff. Er führt in aller Regel zu einer Radikalisierung im Denken, Handeln und Fühlen. Das angebliche Heil ist geknüpft an Selbstaufgabe und Unterordnung. Zweifel und kritische Einwände gelten als Verrat. Über die vermeintlich letzten Wahrheiten gibt es nichts zu diskutieren.
Solche Ansprüche führen zwangsläufig zur Entfremdung von der früheren Lebenswirklichkeit. Die Betroffenen entwickeln neue Weltbilder, Weltanschauungen und Glaubensvorstellungen, die mit den herkömmlichen nicht in Einklang zu bringen sind.
Die Radikalisierung fällt den Angehörigen rasch auf, der Verdacht auf ein Sektenengagement ist meist der erste Gedanke. Für Familien schaltet die Gefahrenampel sofort auf Rot, der Friede ist gefährdet.
In den meisten Fällen folgen heftige Auseinandersetzungen. Dabei machen die Angehörigen oft den Fehler, die Betroffenen mit Vorwürfen zu überhäufen und die Glaubensgemeinschaft als gefährliche Sekte zu betiteln.
Die Novizen sind dann gezwungen, den Familienstreit zu beichten. Nun schaltet die Gefahrenampel auch bei der Sekte und ihren Führern auf Rot. Sie setzen Himmel und Hölle in Bewegung, um den negativen Einfluss von Angehörigen und Freunden zu neutralisieren.
Dabei ziehen sie alle Register der Indoktrination, um den Machtkampf zu gewinnen. Ihr Hauptargument: Der negative Einfluss blockiert dich auf dem Weg zur spirituellen oder religiösen Entwicklung. Das hindert dich, die Wahrheit zu erkennen und dich geistig zu befreien.
Die Erfahrungen zeigen, dass die Sekten den Machtkampf mit den Angehörigen in den meisten Fällen gewinnen. Gegen die Sehnsucht, Euphorie und die mentale Manipulation der Gurus sind die rationalen Argumente der besorgten Eltern meist machtlos.
Dieses System hat Scientology bis zur Perfektion verfeinert. Mit ihren Sicherheitsverfahren («Securitycheck») am Hubbard-Elektrometer, einer Art Lügendetektor, erfahren sie bald alle Details der Auseinandersetzung mit den Angehörigen. Die Novizen werden aufgefordert, die Eltern zu «handhaben».
Gelingt dies nicht, folgen fein abgestufte Massnahmen, die man als repressive Sanktionen interpretieren kann. In vielen Fällen führt dies zum Kontaktabbruch.
Auch esoterische Meister, Gurus und Gruppen haben wirksame Strategien, um den Einfluss der Angehörigen auszuschalten. Sie erklären den spirituellen Suchern, die Auseinandersetzungen würden zu Energieblockaden führen und die spirituelle Entwicklung verunmöglichen.
Bei mir haben im Lauf der Jahrzehnte unzählige Betroffene Rat gesucht und mir solche Geschichten erzählt. Die Auseinandersetzungen führten in den meisten Fällen zum Bruch der Beziehungen. So fielen viele Familien auseinander, die vorher gut funktioniert hatten.
Viel Leid erzeugen auch radikale Freikirchen. Rutscht ein Ehepartner in eine solche christliche Gemeinschaft ab, brechen die Beziehungen ebenfalls oft auseinander. Selbst Ehen zwischen Anhängern einer Freikirche und einer Landeskirche haben meist keine Chance. Denn für viele Freikirchen ist beispielsweise der Glaube der katholischen Kirche eine Irrlehre.
Wer ein Familienmitglied an eine Sekte oder Freikirche verliert, erleidet meist einen Schicksalsschlag. Die einzige kleine Chance, dieses abzuwenden, liegt im richtigen Verhalten.
Entscheidend ist, besonnen zu reagieren und Konflikte zu vermeiden. Wer einen Streit provoziert – so verständlich dies auch ist – hat in aller Regel verloren. Er treibt damit den Angehörigen förmlich in die Arme der Sekte. Denn dort erfährt er Verständnis und Unterstützung.