«Welches ist die gefährlichste Sekte?» Diese Frage wird mir bei Vorträgen oft gestellt. Die Sache sei zu komplex, um ein Ranking zu erstellen, antworte ich jeweils. Aber Scientology müsse weit oben angesiedelt werden, weil der Psychokult ein sehr ausgeklügeltes Indoktrinationssystem aufweise.
Die wohl zweithäufigste Frage lautet: «Sind Freikirchen Sekten?» Auch diese Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. Die moderaten Freikirchen seien sicher keine Sekten im engeren Sinn, doch praktisch alle würden mehr oder weniger ausgeprägte sektenhafte Züge aufweisen, antworte ich jeweils.
Doch eine Glaubensgemeinschaft, die im weitesten Sinn zu den Freikirchen gehört, zähle ich zu den eigentlichen Sekten. Und ich reihe sie im Ranking weit oben ein: die Organische Christusgeneration OCG des Sektengründers Ivo Sasek.
Der ehemalige Autoverkäufer Ivo Sasek sieht sich als Gesandter Gottes oder alleiniger Apostel, der die Rechtgläubigen vor der kommenden Apokalypse retten und ins Heil führen muss.
Von seinem Zentrum im appenzellischen Walzenhausen aus leitet er ein beachtliches Sekten- und Medienimperium, das er benutzt, um seine fundamentalistischen religiösen Dogmen und seine rechtsradikalen verschwörungstheoretischen Ideen in die Welt hinauszutragen.
Wenn ich die OCG als besonders problematisch einschätze, hat das mit der wirkungsvollen Verquickung religiöser und politischer Botschaften zu tun: Während Sasek bei der religiösen Mission an Ort und Stelle tritt, feiert er als rechtspolitischer Hardliner erstaunliche Erfolge.
Er ist zum Sammelbecken rechter und verschwörungstheoretischer Zeitgenossen aus dem deutschsprachigen Raum geworden und investiert viel Energie und Ressourcen in seine Propagandainstrumente.
Hauptpfeiler dabei sind die Anti-Zensur-Koalition (AZK) und Klagemauer-TV. Mit diesen beiden Plattformen will Sasek die Falschmeldungen der «Lügen-Medien» korrigieren und Nachrichten verbreiten, welche die von angeblich geheimen Mächten gesteuerten Medien verschweigen oder unterdrücken.
Laut Sasek werden in 165 Film- und Ton-Studios mit über 213 Moderatorinnen und Moderatoren Sendungen in 42 Sprachen produziert und in 212 Ländern ausgestrahlt. In den vergangenen gut sechs Jahren sollen es rund 100‘000 Beiträge gewesen sein.
Daneben hat Sasek mit seiner Produktionsfirma Panorama-Film rund 70 Dokumentarfilme gedreht, davon mehrere Kinofilme. Allerdings weigern sich die meisten Filmhäuser und Festivals, seine Werke vorzuführen. Auch seine Bücher verlegt Sasek in einem eigenen Verlag.
Erfolge feiert Sasek aber primär mit seiner Anti-Zensur-Koalition. Jährlich organisiert er Grossveranstaltungen mit bis zu 3000 Sektenanhängern und Hardlinern aus dem rechten politischen Spektrum.
Es geht dabei um Themen wie die «tödlichen Mobilfunkstrahlungen», die «Nebenwirkungen der Homosexualität» («hohe Suizidrate, Depressionen, Ekel vor sich selber»), die Klimalüge, den «Impf-Terror», die neue Weltordnung geheimer Mächte, die drohende Eugenik, die Unfruchtbarkeit durch Gennahrung usw.
Sasek selbst behauptet, verschwörerische Kräfte wollten 6,5 Milliarden Menschen eliminieren. Faktisch sei der 3. Weltkrieg schon im Gang oder zumindest vor der Türe der Weltgeschichte.
Aufschlussreich ist auch die Referentenliste der letzten Jahre. So erhielten Scientology-Sprecher Jürg Stettler, Holocaust-Leugner Bernhard Schaub, SVP-Politiker Ulrich Schlüer und Luzi Stamm und viele Verschwörungstheoretiker, Rechtsradikale und Impfkritiker aus Deutschland das Wort.
So referierte beispielsweise der deutsche Publizist Michael Vogt zum Thema «Geheimakte Hess» und versuchte, die Rolle von Hitler und seinem Stellvertreter Rudolf Hess zu beschönigen. Sasek empfahl in einem Vortrag den Zuhörern seinerseits, Hitlers «Mein Kampf» zu lesen. Und er zog einen Vergleich von Jesus mit Hitler.
Eine Referentin überstrahlte aber alle unheimlichen Patrioten: Die deutsche Rechtsanwältin und Holocaust-Leugnerin Sylvia Stolz zweifelte an der AZK-Konferenz von 2012 in Chur die Judenvernichtung an und behauptete, es gäbe keine Beweise für den Holocaust. So fehlten gerichtlich festgestellte Spuren der Täter und der Waffen.
Die wiederholt verurteilte Stolz erhielt dafür eine weitere Gefängnisstrafe von 18 Monat unbedingt. Auch Ivo Sasek wurde eingeklagt, weil er Stolz eine Plattform geboten hatte. Das Bezirksgericht Chur sprach ihn aber in diesem Sommer frei. Bei der Urteilsbegründung sagte der Richter, Sasek habe keine rassistischen Motive gehabt. Ebensowenig habe er die Verbreitung diskriminierender Aussagen in Kauf genommen.
Schaut man sich den aktuellen Film von ORF2 an (siehe Video oben), kann man nur den Kopf über das Urteil schütteln.