Die Landeskirchen tun sich schwer, junge und vor allem urbane Menschen für Gott und ihren Glauben zu begeistern. Der Schöpfer ist für viele keine Attraktion mehr. Die Vorstellung, dass es irgendwo da draussen im All oder sonst wo ein göttliches Wesen gibt, das uns ein ewiges Leben schenkt, passt schlecht in das Weltbild von jungen Leuten, die mit dem Handy aufgewachsen sind.
Instagram und TikTok sind ihre Religion. Und übersinnliche Bedürfnisse befriedigen sie mit Fantasy-Geschichten und -Filmen. Da hat ein unsichtbarer Gott, der sich zu verstecken scheint, kaum mehr Platz. Zumal sein heiliges Buch, in dem er sich angeblich offenbart, schwere Kost ist.
Vermutlich haben nur Theologen, Geistliche und strenggläubige Christen die Bibel von A bis Z gelesen, denn ein Lesevergnügen bereitet sie nun wirklich nicht. Für Mitglieder von Freikirchen ist die Lektüre des Alten und des Neuen Testaments schon fast Pflicht, denn sie glauben, dass in der Bibel das authentische Wort Gottes offenbart wird.
Doch dieser Glaube hat einen Haken, denn er führt zwangsläufig zu einem naiven Gottesbild und Glaubensverständnis. Wer sich selbst ein Bild davon machen will, muss sich nur ein paar Predigten von freikirchlichen Pastoren zu Gemüte führen. Diese findet man zu Tausenden im Internet.
Ein klassisches Beispiel ist die Predigt von Leo Bigger mit dem Titel «Schütze deine Gedanken und finde Frieden». Der Seniorpastor ist die Galionsfigur der erfolgreichen Zürcher Freikirche International Christian Fellowship (ICF), die Dutzende von Ablegern im deutschsprachigen Raum gegründet hat.
Bemerkenswert an seiner Predigt ist, dass er mit Hilfe von wissenschaftlichen Erkenntnissen versucht, Aussagen aus der Bibel zu belegen. Er will damit – wie auch viele Esoteriker – junge Leute anlocken, die ein aufgeklärtes und wissenschaftlich geprägtes Weltbild haben.
Bigger beginnt mit dem Satz: «Paulus sagt, macht euch um nichts in eurem Leben Sorgen.» Der Prediger interpretiert die Aussage so: Gott sorgt schon für uns, wenn wir Jesus in unser Herz aufnehmen.
Dann folgt der Link zur Wissenschaft. Gott habe in unserem Hirn die Amygdala eingebaut, eine Hirnregion, die an emotionalen Reaktionen beteiligt ist und Gedächtnisinhalte speichert, behauptet der Prediger. Die Amygdala sei ein Ventil, um all das, was wir verdrängt haben, nachts verarbeiten zu können. Dieser Prozess führe zu unseren Träumen.
Daraus schliesst Bigger, dass die Hirnforschung bestätige, was Paulus schon vor 2000 Jahren gesagt habe. Diese abenteuerliche Interpretation entspringt wohl der Sehnsucht des Pastors, den anachronistischen Geschichten und Aussagen der Bibel einen modernen Anstrich zu geben.
Bigger frohlockt:
Einspruch. Diese Interpretation ist eine fahrlässige Reduktion der komplexen Realität auf einfache Glaubensmuster. Und es ist eine geistige Manipulation von jungen Leuten, die solche Zusammenhänge noch nicht erkennen können.
Bigger untermauert seine angeblich bahnbrechenden Erkenntnisse mit einem Zitat der Wissenschaftlerin Dr. Caroline Leaf:
Da stellen sich Fragen: Wer hat da was festgestellt? Wie stark sind die Veränderungen? Haben diese positive oder negative Auswirkungen?
Für Bigger ist völlig klar, wie die Aussage von Leaf zu interpretieren ist:
Dann streicht Bigger den Gottesdienstbesucherinnen eine dicke Portion Honig um den Mund:
Wie gross muss wohl Gottes Hand bei aktuell 2,2 Milliarden Christen sein?
Zum Schluss animiert Bigger seine Gläubigen zum Spenden. Er kramt eine Geschichte aus seiner Kindheit hervor. Sein Vater habe Kaninchen gezüchtet und die Tiere mit den grossen Löffeln oft verschenkt, erzählt der Prediger. Eines Tages ging Leo mit seinem Vater und den schönsten Kaninchen nach Bern an eine Prämierung und wurde Schweizer Meister. So quasi als Belohnung für seine Grosszügigkeit.
Daraus lernte klein Leo:
Bigger ist überzeugt, dass das Erlebnis seine Amygdala geprägt und ihn zum grosszügigen Geber oder Spender gemacht hat. Er erklärt auch, dass Gott uns immer viel mehr gibt, als wir ihm geben können. Wörtlich: «Irgendwann wird das zu einem Mechanismus, wenn du merkst, dass Gott gut ist.»
Schliesslich sei sein Gott alles und könne alles. Und er ruft seinen Gläubigen zu: «Du kannst deine geizige Art durch Amygdala verändern.» Eine spezielle Methode, die Leute zum Spenden aufzufordern.
Im Abspann der Predigt spannt dann Leo Bigger auch noch seine Frau Susanna ein, um den Gläubigen das Spenden ans Herz zu legen: «Ich danke dir von ganzem Herzen, wenn du ein Teil unserer Vision wirst, auch mit deinen Finanzen», erklärt sie.
Das nennt man dann wohl Geld und Geist auf einem atemberaubenden geistigen Niveau.