Tantra. Allein schon der Begriff regt die Fantasie an. Tantra ist nicht nur «mechanischer» Sex, bei dem es primär um die individuelle Befriedigung sexueller Bedürfnisse geht. Nein, Tantra ist mehr.
Tantra ist ein spirituelles Ritual, das uns helfen soll, den Weg zur Erleuchtung zu ebnen. Also eine Art Transformation, eine Verschmelzung von Sinnlichkeit und Spiritualität.
Und ja: Tantra ist eine alte, eine uralte Tradition, die ihre Wurzeln in der fern östlichen Mystik hat, im Buddhismus und Hinduismus.
Bei so vielen überwältigenden Attributen ist es verständlich, dass Tantra die Königsdisziplin der spirituellen und esoterischen Sucher ist. Spirituelle Banausen, die Sex einfach nur als Liebesbezeugung und körperliche Befriedigung benutzen, könnten neidisch werden und denken, ihre Libido sei amputiert.
Doch es ist immer ratsam, skeptisch zu bleiben, wenn eine Prozedur als Heilsweg und Erlösungsritual angepriesen wird.
So ist es einmal mehr wenig überraschend, dass man beim näheren Hingucken rasch auf Widersprüche stösst. Denn das fernöstliche Tantra ist wesentlich profaner, als uns die westlichen spirituellen Sucher verklickern wollen.
Denn der gern propagierte spirituelle Orgasmus, der angeblich nur im Kopf stattfinden soll, hat mit dem traditionellen Tantra wenig zu tun. Denn es ging den alten Indern mehr um Kamasutra der handfesten Art und weniger um den spirituellen Höhenflug. Der körperliche Höhepunkt war wichtiger als der Blick in die kosmischen Sphären.
Tatsächlich waren die ursprünglichen Tantriker vor 2000 und mehr Jahren Rebellen, die sich gegen den asketischen Lebensstil des Hinduismus auflehnten.
Sie wehrten sich gegen die Unterdrückung des Sinnlichen. Sie wollten den verteufelten Genuss ausleben und Tabus brechen. Sie assen genussvoll Fleisch, tranken Alkohol und lebten ihre Sexualität aus. Gegen alle Normen und Regeln. Die tantrischen Yogi waren Tabubrecher und wollten das Religiöse mit dem Sinnlichen verbinden.
Im Buddhismus gibt es allerdings Tantra-Formen, die dem Ideal der westlichen Sinnsucher eher entsprechen. Dabei geht es vor allem darum, die Sexualität zu transformieren. Nicht die Sinnlichkeit steht im Zenrum, vielmehr geht es um spirituelle Rituale.
Diese Transformation der körperlichen Sexualität ist quasi die Meisterschaft der Spiritualität und der Höhepunkt der spirituellen Entwicklung. So können sich theoretisch spirituell hoch entwickelte Paare übersinnlich «vereinigen», ohne Sex miteinander zu haben.
Doch diese Entwicklungsstufe erreichen angeblich nur aussergewöhnliche begabte und hingebungsvolle Sinnsucher nach jahrzehntelangem Üben. Die vielen Berichte über sexuelle Übergriffe durch buddhistische Mönche zeigen jedenfalls, dass es bei diesen nur um die sehr grobe Form der sexuellen Befriedigung geht.
Etliche Gurus nutzen denn auch die spirituelle Verbrämung von Tantra bei den westlichen Sinnsucherinnen schamlos aus. Sie gaukeln den verblendeten Frauen vor, sie persönlich in die tantrische Meisterschaft einzuführen. Das Ritual endet meist mit einer handfesten, unsaften Penetration.
Tantra ist im Westen eine junge Disziplin. Importiert hat den «spirituellen Sex» primär der indische Sex-Guru Bhagwan, der sich später Osho nannte. Er lockte die hedonistischen Wohlstandsmenschen mit dem Slogan nach freier Liebe an. Und so wurde in den Bhagwan-Kommunen querbeet gebumst, dass sich die Balken bogen. Der Guru forderte von den Sannysasins, sich sexuell zu befreien. Mit «spirituellem Sex» hatte sein Tantra nichts zu tun.
Osho lag denn auch richtig, wenn er die freie Liebe als Tantra bezeichnete. Denn in seinem Land war Tantra ursprünglich – wie bereits erwähnt – ebenfalls eine Methode der Überwindung der sexuellen Unterdrückung.
Wie Tantra bei uns oft praktiziert wird, hat die grosse Kirschblütengemeinschaft des kürzlich verstorbenen Psychiaters Samuel Widmer demonstriert. Die Gemeinschaft hatte – zumindest vor der spektakulären Razzia durch die Polizei – Tantraseminare in Grossgruppen durchgeführt.
Um schön locker zu werden, gab es als Vorspiel psychoaktive Substanzen wie Ecstay (MDMA) oder LSD. Aussteigerinnen berichten, dass vor allem die Männer die enthemmende Wirkung der Drogen benutzt hätten, ihre sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Schliesslich war das Angebot an Yonis verlockend gross.
Tantra-Seminare werden landauf und landab angeboten. Streng nach dem ökonomischen Prinzip von Angeot und Nachfrage.
Auch in der spirituellen Welt gilt: Sex sells.
Verräterisch sind denn auch die Ausschreibungen zu den Seminaren. Drei Beispiele.