Die Trauerfeier der englischen Königin Elisabeth geht als ein Jahrhundertereignis in die Geschichte von England ein. Schauplatz war die Westminster Abbey, in der sich neben der Königsfamilie viele Staatsoberhäupter versammelten, verfolgt von Hunderten Millionen Zuschauern an den Bildschirmen.
Die Zeremonie war primär ein trauriges Ereignis, doch manche profitierten auch von ihr: die Fernsehsender, die Blumenhändler, Souvenirverkäufer, Hotels usw. Ins Schaufenster konnte sich auch die englische oder anglikanische Kirche stellen, und mit ihr die gesamte Christenheit. Und 6. Mai findet die Krönung von König Charles statt, die wieder in der imposanten Westminster Abbey über die Bühne gehen wird. Geleitet vom Erzbischof von Canterbury. Der weltliche Akt findet im religiösen Milieu statt.
Man mag den christlichen Kirchen in Europa ein bisschen PR gönnen, denn viele Gotteshäuser fristen meist ein karges Dasein und bleiben bei kirchlichen Veranstaltungen ziemlich leer. Sie füllen sich höchstens noch an Weihnachten und Ostern. Oder bei weltlichen Grossveranstaltungen und Beerdigungen von Politikern und Prominenten. Besonders stark gebeutelt ist in jüngster Zeit die Kirche in England.
Historiker und Statistiker haben laut Tages-Anzeiger herausgefunden, dass die Insel «kein christliches Land mehr ist». Erstmals stellen die Christen weniger als die Hälfte der Bevölkerung.
Der Schwund ist dramatisch. Wie Volkszählungen ergeben haben, ist der Anteil von 2011 bis 2021 von 59 auf 46 Prozent gesunken. Geht der Exodus in diesem Stil weiter, sinkt die Kirche in wenigen Jahrzehnten in die Bedeutungslosigkeit ab.
Entsprechend angewachsen ist die Zahl der Befragten, die sich als nicht religiös bezeichnen. Sie wuchs von 25 auf 37 Prozent. Von den kleineren religiösen Gemeinschaften stellen die Muslime 6,5 Prozent.
Für die englische Staatskirche, zu der sich die Katholiken und Protestanten zählen, ist dies ein harter Schlag, profitiert sie doch von einträglichen Privilegien. So betreibt die Kirche von England rund 4500 Schulen, die vom Staat finanziert werden.
Wie sehr Kirche und Staat miteinander verhandelt sind, zeigt auch der anachronistisch anmutende Umstand, dass 26 Sitze im britischen Oberhaus für hohe kirchliche Würdenträger reserviert sind. Vor allem für Bischöfe und Weihbischöfe. Sie können von Amtes wegen Lobbyarbeit im Parlament betreiben, ihre religiösen Interessen einbringen und sich für kirchliche Anliegen starkmachen.
Angeblich gibt es neben England nur noch ein Land, das den geistlichen Würdenträgern eine gesetzgeberische Rolle zuschanzt: der Iran.
Der Mitgliederschwund bringt die englische Kirche in Erklärungsnot, zumal die Freidenker schon seit Jahren kritisieren, dass die staatlichen Privilegien nicht vereinbar seien mit der Glaubensfreiheit. Es benötige deshalb die längst überfällige Trennung von Kirche und Staat. Für sie ist es auch stossend, dass im Parlament und in den Schulen gebetet wird. Natürlich nicht zu Allah, sondern zum christlichen Gott.
Auch in der Schweiz schrumpfen die Landeskirchen, wie fast überall in Europa. Der Schwund ist bei der katholischen Kirche leicht geringer als bei den evangelisch-reformierten: Zwischen 2010 und 2020 nahmen sie um 5 respektive 6 Prozentpunkte ab, wie das statistische Amt in Bern ermittelt hat. Gemessen mit dem Rückgang in England sind dies vergleichsweise geringe Werte. Der Abwärtstrend ist aber auch bei uns beträchtlich.
Die Ursachen sind vielfältig. Kirchen leeren sich unter anderem, weil heute viele Leute kein Interesse mehr an Religion haben. Die Glaubensfragen beschäftigen zwar heute noch viele Leute, sie benötigen aber keine Institutionen, um sich mit Gott, den Sinnfragen und dem Tod auseinanderzusetzen. Vor allem junge Leute, deren Eltern den christlichen Glauben nicht praktizieren, finden Gottesdienste in Kirchen selten sexy.
Ausserdem bietet die Gesellschaft viele Ersatzreligionen an: vom Konsumrausch, über Fussball bis zu Konzerten und anderen Events. In Coronazeiten stilisierten manche Skeptiker die Demonstrationen zu einem Hochamt hoch.
Viele kirchenfernen Frauen vermissen aber spirituelle Erlebnisse im religiösen Sinn. Esoterik, Meditation und teilweise Yoga bieten sich als Ersatzreligionen an. Tatsächlich sind 75 bis 80 Prozent der Teilnehmer an Workshops Frauen.
Eine kleine Minderheit, die den Landeskirchen den Rücken kehrt, «konvertiert» zu einer Freikirche. Sie suchen die ultimative Hingabe zu Gott und Jesus, die sie als Katholiken oder Protestanten nicht erlebt haben.
Fazit: Der Zeitgeist steuert auf die Säkularisierung zu. Ob den christlichen Kirchen in Europa eine Trendumkehr gelingt, ist eher fraglich.