Blogs
Sektenblog

Homöopathie: Handeln Ärzte verantwortungslos?

Shelves with medicine at the Weleda headquarter in Arlesheim, Canton of Basel-Country, Switzerland, pictured on August 8, 2012. Weleda is a multinational company that produces both natural beauty prod ...
Das Arsenal an homöopathischen Mitteln ist riesig.Bild: KEYSTONE
Sektenblog

Oh, Globuli! Dass Mediziner homöopathisch heilen wollen, ist eigentlich ein Skandal 

In Deutschland kritisieren Ärzte die Homöopathie, eine Apotherkerin verkauft keine Globuli mehr. Und in der Schweiz? Da fehlt oft die Ehrlichkeit. 
27.08.2018, 15:3727.08.2018, 15:38
Hugo Stamm
Mehr «Blogs»

Die Fakten sind klar: Manche homöopathische Mittel sind so stark verdünnt, dass sie keine Wirksubstanz mehr enthalten. Das bestreiten auch Vertreter der umstrittenen Methode nicht.

Sie behaupten unter anderem, die Informationen oder Energien der Ursubstanz gingen auf die Trägerflüssigkeit über. Ausserdem potenziere sich die Wirkung durch die Verdünnung.

Das sind abenteuerliche Interpretationen, die jeder wissenschaftlichen Erkenntnis und allen Naturgesetzen widersprechen. Das ist etwa so, als würde ich behaupten, mein Rausch falle umso stärker aus, je mehr ich den Whisky verdünne. Die Absurdität dieser Argumentation lässt sich im Selbsttest leicht prüfen.

Homöopathie Globuli Homoeopathie
Oh, Globuli! Oh Globuli!

Gestampfte Ameisen …

Trotzdem schwört ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung – mit Sicherheit weit mehr als eine Million Schweizerinnen und Schweizer – auf Globuli. Die meisten haben vermutlich keine Ahnung, dass homöopathische Mittel keine Wirksubstanz enthalten oder unter anderem aus Walkot, gestampften Ameisen, hochgiftigen schwarzen Tollkirschen oder aus dem Gift Atropin hergestellt werden.

Bei homöopathischen Mitteln mit geringer Verdünnung sind diese Gifte aber noch in den Globuli mit dem schönen Namen Belladonna enthalten. Sie können bei Kleinkindern bedrohliche körperliche Schäden hervorrufen, wie amerikanische Studien zeigen.

Das hindert aber Ärzte und Apotheker nicht, den Patienten diese wirkungslosen oder gar giftigen «Medikamente» zu verschreiben oder zu verkaufen. Das ist eigentlich ein Skandal. Schliesslich verpflichten sich Ärzte, stets das Wohl der Patienten ins Zentrum ihrer Arbeit zu stellen.

«Über homöopathische Mittel kann ich meine Kunden aber nicht umfassend beraten, weil ich keine Beweise habe, dass sie überhaupt wirken.»
Apothekerin Iris Hundertmark

In der Genfer Deklaration des Weltärztebundes heisst es beispielsweise: «Ich werde meinen Beruf nach bestem Wissen und Gewissen, mit Würde und im Einklang mit guter medizinischer Praxis ausüben. (…) Die Gesundheit und das Wohlergehen meiner Patientin oder meines Patienten werden mein oberstes Anliegen sein.»

Kurz: Die Verbesserung der Gesundheit und die Wahrung des Lebensschutzes sind ethische Standards von Ärzten. Aber auch von Apothekern, die Patienten Medikamente empfehlen und verkaufen. Wer aber homöopathische «Medikamente» verschreibt oder empfiehlt, verstösst gegen diese Standards.

Höchstens ein Placeboeffekt

Homöopathen wenden in der Regel ein, empirische Studien und ihre persönlichen Erfahrungen würden belegen, dass Globuli sehr wohl den Genesungsprozess ihrer Patienten positiv beeinflussen würden. Das mag bei leichten Krankheiten zutreffen, doch diese heilen meist auch ohne Behandlung. Schliesslich ist unser Körper mit seinem Abwehrsystem immer noch der beste Arzt.

Und dann ist da noch der Placeboeffekt, der sich günstig auf den Krankheitsverlauf auswirkt. Deshalb wäre es ehrlicher, billige Placebo-Medikamente zu verschreiben statt teure Globuli. Es gibt mehrere klinische Studien, die klar belegen, dass homöopathische Mittel wirkungslos sind. Ich frage mich deshalb, wie Ärzte und Apotheker es mit ihrem Gewissen und beruflichen Ethos vereinbaren können, Globuli zu verschreiben und zu verkaufen.

Sektenblog

Doch langsam regt sich in diesen Berufsständen ein leichter Widerstand. Der emeritierte Professor Edzard Ernst, einst ein glühender Verfechter der Alternativmedizin und der Homöopathie, hat nach jahrelangen Forschungen und der Auswertung unzähliger Studien das Lager gewechselt.

Professor Edzard Ernst über die Homöopathie:

Heute warnt er vor diesen Disziplinen. Sie würden die Patienten nicht nur in die Irre führen, sondern ihnen oft auch schaden, schreibt er heute in seinen Büchern.

Einen ähnlichen Erkenntnisprozess hat auch die Ärztin und ehemalige Homöopathin Nathalie Grams durchlaufen. Nachdem sie den Irrtum erkannt und sich kritisch mit der Methode auseinandergesetzt hatte, schrieb sie das Buch «Homöopathie neu gedacht».

Nathalie Grams hat sich von der Homöopathie abgewandt:

In einem Interview sagte sie dazu: «Ich habe alles zu wenig hinterfragt – bei der Homöopathie lebt es sich wie in einer Seifenblase.» Und: «Ich konnte doch meine Patienten nicht betrügen.»

Einen ähnlichen Schritt vollzog kürzlich die Apothekerin Iris Hundertmark von der Bahnhof-Apotheke im bayerischen Weilheim. Sie hat alle homöopathischen Mittel aus den Regalen geräumt, weil sie nicht mehr an ihre Wirksamkeit glaubt.

Iris Hundertmark
Iris Hundertmark zieht die Konsequenzen.Bild: zvg

Im Interview mit watson sagte sie diese Woche, sie habe diesen Schritt aus Gewissensgründen getan. Wörtlich: «Ich möchte absolut ehrlich zu meinen Kunden sein.»

Als Pharmazeutin habe sie die Aufgabe, die Bevölkerung nach dem Stand der Wissenschaft zu informieren. «Über homöopathische Mittel kann ich meine Kunden aber nicht umfassend beraten, weil ich keine Beweise habe, dass sie überhaupt wirken.» Deshalb nimmt sie auch Umsatzeinbussen in Kauf.

Diese Ehrlichkeit ist offensichtlich bei vielen Schweizer Ärzten und bei allen Schweizer Apothekern noch nicht angekommen.

Sektenblog

Hugo Stamm; Religionsblogger
Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.

Du kannst Hugo Stamm auf Facebook und auf Twitter folgen.
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
212 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
TheDude10
25.08.2018 08:24registriert November 2015
Ich hadere immer wieder im Gespräch mit Leuten, welche die Wirksamkeit von Globuli beteuern. Es sind in der Regel sehr intelligente Leute die wirklich in einer Art Blase sind in immer die gleichen Pseudo Argumente vorbringen.
20
Melden
Zum Kommentar
avatar
Tekk
25.08.2018 10:14registriert April 2018
Ich bin der Meinung das die meisten Menschen welche Homöopathische "Heilmittel" benutzen, gar nicht wissen was diese überhaupt sind und die selbigen eigentlich mit Arzneimitteln verwechseln welche einen "Natürlichen" Wirkstoff haben, wie z.b Kamillentee. Ich persönlich habe mit solchen gute Erfahrungen gemacht, eben ein Kamillen- oder Salbeitee hilft auch bei z.b Bauchschmerzen, da muss es nicht ein Arzneimittel aus der Apotheke sein. Aber ab einem gewissen Punkt kommt man mit diesen Mitteln einfach nicht weiter und da ist die Schulmedizin einfach die bessere Wahl.
10
Melden
Zum Kommentar
avatar
waschbär
25.08.2018 15:58registriert Juli 2018
als kind wurde ich ständig mit globuli behandelt. wenn die erkältung dann abgeklungen war hiess es dann immer: „da kannst du mal sehen wie toll das gewirkt hat!“. ich habs schon als kind nicht geglaubt..
00
Melden
Zum Kommentar
212
Es schneit! Darf ich zuhause bleiben?
Wer gestern überhaupt noch nachhause gekommen ist, fragte sich heute wohl nicht selten, ob er nicht besser gleich da geblieben wäre. Fragt sich das ein Schulkind, kann die Antwort durchaus ja sein. Fragt sich das ein Arbeitnehmer, ist die Antwort meist nein.

In der Schweiz herrscht auch bei Schneefall Schulpflicht. Eine Gemeinde darf deswegen nicht generell beschliessen, die Schule bei Schlechtwetter ausfallen zu lassen. Gleichzeitig ändert Schneefall aber auch nichts daran, dass die Kantone für den zumutbaren Schulweg verantwortlich sind. Wenn also der Schulweg zu gefährlich ist, müssen sie die Gefahr beseitigen. Da das bei zugeschneiten Strassen und drohenden Dachlawinen nicht auf die Schnelle möglich ist, kann die Schule Schulkinder dispensieren, sofern sie nicht gefahrlos zur Schule gehen können. Der Kanton Bern sieht dies gar ausdrücklich in seiner Absenzenverordnung für die Volksschule vor: Als entschuldigte Absenzen gelten auch «äusserst schwierige Schulwegverhältnisse infolge schlechter Witterung».

Zur Story