Der Zölibat ist eine der dümmsten Erfindungen, die religiöse Führer ersonnen haben. Einerseits fällt es sehr schwer, irgend einen Nutzen der Ehelosigkeit für irgend jemanden zu erkennen, andererseits hat dieses sinnlose Dogma unendlich viel Leid in die Welt gebracht.
Zwar versuchen Verfechter des Zölibats halbwegs plausible Argumente anzuführen – Pfarrer ohne Familie hätten beispielsweise mehr Zeit für die Nachfolge Jesu und für die Seelsorge –, doch überzeugend wirken sie angesichts der sexuellen Übergriffe nicht.
Der Zölibat war Jahrhunderte lang unbestritten und wurde nicht hinterfragt. Die Kirchen hatten die Macht und die Deutungshoheit. Sie konnten die sexuellen Missbräuche vertuschen und unter dem Deckel halten. Dank der Säkularisierung können die Kirchen die Kritik nicht mehr als Ketzerei anprangern und unterbinden. Seither wächst der Widerstand. (Zur Erinnerung: Im Mittelalter endeten Skeptiker und Kritiker oft auf dem Scheiterhaufen.)
Die meisten Sex-Skandale brachen in den letzten Jahren in der katholischen Kirche auf. Papst Franziksus versucht nun – gegen vielfältige Widerstände einflussreicher Bischöfe und Kardinäle – eine Nulltoleranz-Politik umzusetzen. Die Anzeichen mehren sich, dass er allmählich Erfolg damit hat.
Unterstützt wird er von Kardinal Sean O’Malley, Vorsitzender der päpstlichen Kinderschutzkommission. Dieser fordert nun, dass nicht nur Pfarrer zur Rechenschaft gezogen werden, sondern auch fehlbare Kardinäle und Bischöfe.
Diese Woche hat der Papst den Würdenträger Philip Wilson, Erzbischof von Adelaidede, in die Wüste geschickt. Wilson wurde verurteilt, weil er Missbräuche vertuscht hatte. In Chile sind Ende Mai ausserdem mehrere Bischöfe zurückgetreten, weil sie den Priester und Kinderschänder Fernando Karadima gedeckt hatten.
Jüngstes «Opfer» der verschärften Politik ist Kardinal Theodore McCarrick. Auch sein hohes Alter – er ist 88 Jahre alt – schützte ihn nicht vor Saktionen. Franziskus bugsierte ihn auf dem erlauchten Kreis der Kardinäle.
Erwischt hat es auch den Finanzchef des Vatikans, Kardinal George Pell. Gegen ihn läuft ein Strafverfahren, er wartet auf seinen Prozess. Ihm werden sexuelle Übergriffe auf Knaben vorgeworfen. Ausserdem soll er ebenfalls übergriffige Priester gedeckt haben.
Das Dogma des Zölibats geht auf Jesus zurück. Laut Matthäus 19,12 sprach er von der Ehelosigkeit «um des Himmelsreiches willen». Um Himmelswillen, ist man da geneigt auszurufen. Geknüpft ist das Himmelreich auch an die ungeteilte oder bedingungslose Nachfolge.
Daraus wurde der Codex für Priester abgeleitet: «Die Kleriker sind gehalten, vollkommene und immerwährende Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen zu wahren.»
Was Jesus und die katholische Kirche von Priestern verlangt, ist wider die Natur. Das Fleisch ist bekanntlich stärker als der Geist, wie sogar die Bibel weiss. Obwohl heute jedem Kleriker klar sein müsste, dass Enthaltsamkeit zu Neurosen und Zwangsverhalten führt, wird am Dogma festgehalten.
Dabei wissen wir ja nicht einmal, ob Jesus selbst zölibatär gelebt hat. Die Bibel verrät uns nicht, ob er allein war oder enthaltsam gelebt hat. Seine innige Beziehung zu Maria Magdalena lässt zumindest die Vermutung zu, dass er nicht nur eine platonische Liebe zu ihr unterhielt.
Überhaupt ist es äusserst fragwürdig, wenn nicht befremdend, dass das Zölibat mit dem Glauben verknüpft wird. Deshalb kommt der Verdacht auf, dass da eine Portion Eifersucht im Spiel ist: Es ist für Kirchenführer eine Kränkung, dass die Sexualität stärker als der Glaube ist.