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Sektenblog: Der christliche Nationalismus greift um sich

epa12116313 Traditional Russian wooden Matryoshka dolls depicting Russian President Vladimir Putin and US President Donald Trump (L) are displayed for sale at a souvenir shop in Moscow, Russia, 19 May ...
Trump und Putin als Matrjoschka-Souvenir in einem Shop in Moskau.Bild: keystone
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Der christliche Nationalismus greift um sich und radikalisiert Gläubige

Weite Teile der Welt haben sich in ein Tollhaus verwandelt. Rechtsdrall und Populismus stellten in wenigen Jahren mehrere Länder auf den Kopf. Autokraten und Narzissten machen manchen Demokratien den Garaus. Geld und Macht berauschen die neuen Führer. Politmachos und Oligarchen bestimmen den Lauf der Politik.
24.05.2025, 07:5328.05.2025, 07:52
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Betrachtet man die Entwicklung aus religiöser Perspektive, gehen christliche Werte vor die Hunde. Barmherzigkeit und Nächstenliebe scheinen im Haifischbecken der Diktatoren und Autokraten zu nostalgischen Attributen zu verkommen. Da werden die löblichen Friedensappelle des alten und neuen Papstes zu Randnotizen, um das Gewissen zu beruhigen. Papst Leo XIV. kann beten, solang er will, Putin, Netanjahu und Co. werden ihre Kriegsziele nicht ändern. Und Gott fällt den Schächtern kaum in den Arm.

Zu allem Überfluss schlagen sich viele konservative Christen auf die Seite der machthungrigen Führer. Ein Phänomen, das einen eigenen Begriff hervorbrachte: Die superfrommen Christen werden als «christliche Nationalisten» bezeichnet. Diese Gläubigen formten sich vor allem in den USA zu einer mächtigen Bewegung. Angestachelt vom Trump-Slogan «America first», wollen sie ihren Glauben der Politik überstülpen. Sie haben Trump zum Wahlsieg verholfen, nun soll der Präsident ihre Dogmen durchpeitschen. Die da sind: Abtreibungsverbot, Schöpfungslehre in den Schulen propagieren, Homosexuelle ausgrenzen, queere Menschen stigmatisieren und die Wokeness-Kultur bekämpfen. Und der Sünder Trump, der von vielen Evangelikalen als der neue Messias verehrt wird, dreht das Rad der Zeit munter zurück.

Theokratie als Ziel

Glaubensbruder Trump erfüllt ihre Wünsche offenkundig mit grossem Vergnügen. Die gläubigen Nationalisten sind überzeugt, dass die USA der christliche Nabel der Welt sind. Die Politik soll sich nach den fundamentalistischen Glaubenssätzen der Frommen richten. Für sie sind letztlich die Bibel und ihre Gebote die Richtschnur, die sie am liebsten in der Verfassung verankert sehen. Sie sind überzeugt, von Gott auserwählt und gesegnet zu sein. Ihr Fernziel: die Theokratie, in der die religiösen Führer den Staat lenken.

Das rennomierte Meinungsforschungsinstitut Pew Research Center führte kürzlich eine Untersuchung zu diesem Thema durch. Das Ergebnis: 72 Prozent der befragten Protestanten und 86 Prozent der weissen Evangelikalen gaben an, die Bibel solle Einfluss auf die Gesetzgebung in den USA haben.

Gläubige Nationalisten sind auch viele Mitglieder der Orthodoxen Kirche, die ihre Wurzeln ebenfalls im Christentum hat. Patriarch Kyrill, der höchste Geistliche, ist ein Bruder im Geist von Putin und gibt dem Krieg in der Ukraine seinen Segen. Mehr religiöse Perversion geht kaum.

Situation in der Schweiz

Und in der Schweiz? Gibt es bei uns auch einen christlichen Nationalismus? Da die Ideologie des politischen Nationalismus in unserer Konkordanzdemokratie kaum salonfähig ist, kann er im religiösen Milieu nicht Fuss fassen. Ein überzogener Patriotismus findet man jedoch in beiden Bereichen. So betrachten viele Gläubige aus Freikirchen die Zuwanderung als grosse Gefahr. Ihr Argwohn gilt in erster Linie den Muslimen. Sie befürchten, dass diese überhandnehmen und die Christen schon in wenigen Jahrzehnten in die Minderheit versetzen werden, wie die SVP fälschlicherweise behauptet. Sie sehen bereits den Clash der Religionen und den Untergang der christlichen Tradition in der Schweiz.

Diese Vorurteile führen mitunter zu heftigen Aversionen gegenüber den Muslimen. So engagieren sich Gläubige gern in der Politik und versuchen, christliche Werte zu verankern. Doch wie vertragen sich ein strenger Glaube und das Streben nach weltlicher Macht? Die Schweizerische Evangelische Allianz (SEA), in der mehrheitlich Freikirchen aktiv sind, hat die Verstrickung von Glauben und Machtpolitik erkannt und im Rahmen ihrer kürzlichen Delegiertenversammlung thematisiert. Die Fragestellung: «Ist es christlich, Christen in allen Gesellschaftsbereichen in Machtpositionen zu bringen und Gesetze gemäss christlichen Werten zu verabschieden?» Das Thema: «Heilige Nation!? Eine kritische Auseinandersetzung mit nationalistischer Politik unter christlichem Deckmantel». Als Referent lud die SEA Jeff Fountain vom Schuman Centre for European Studies ein.

Der Gastredner forderte die Delegierten zum kritischen Hinterfragen des christlichen Nationalismus auf, der aktuell in mehreren Ländern zu beobachten sei. Die Vermischung von Glauben und Macht zeige sich derzeit bei verschiedenen Führungspersönlichkeiten, die christliche Rhetorik gezielt zur Stärkung ihrer Machtposition nutzten, sagte Jeff Fountain. Er riet, auf die Früchte solchen Gebarens zu achten: «Bringt es Nächstenliebe und Dienst am Mitmenschen hervor – oder setzt es andere herab, um sich selbst zu erhöhen?» Es ist den Verantwortlichen der Allianz hoch anzurechnen, dass sie die Gefahr der unheiligen Entwicklung erkannt und die Delegierten sensibilisiert haben. Bleibt zu hoffen, dass die Botschaft auch bei den gläubigen Politikern und an der Basis ankommt.

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Hugo Stamm, Sektenblog
Bild: zvg
Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.

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897 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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skeptic_
24.05.2025 08:13registriert Februar 2017
Stamm schreibt, als würde die Konkordanz uns vor christlichen Nationalisten schützen. Meanwhile sitzen EDU-Politiker in Schulkommissionen und predigen Kreationismus, während SVP-Evangelikale LGBTQ+-Rechte bekämpfen.
Die Schweizer Version des religiösen Wahns trägt halt Anzug statt MAGA-Cap - ist aber genauso gefährlich für unsere säkulare Demokratie.
Memo an alle: Wenn Religion und Politik sich vermischen, verlieren IMMER die normalen Menschen. Egal ob in den USA oder hier. #SäkulareSchweiz #ReligionRausAusDerPolitik #EDUistwack
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Schlaf
24.05.2025 08:46registriert Oktober 2019
Ist schon pervers, dass krankhaft Gläubige einen wie Trump, welcher praktisch alle Totsünden in einer Person verkörpert, so verehren.

Widersprüchlicher geht es nicht.
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Heinzbond
24.05.2025 09:15registriert Dezember 2018
Margaret Atwood und Frank zappa hatten vor dieser Entwicklung bereits in den Achtzigern des letzen Jahrhunderts gewarnt...
Staat und Religion gehören einfach nicht in den selben Topf...
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I want your Sex, Baby!
Nach einer wochenlangen Sex-Flaute bin ich wieder back in the game. Das bin ich so sehr, dass ich sogar einem Arztbesuch etwas Sexuelles abgewinnen kann. Und einer Tramfahrt.
Es war keine schöne Zeit. Es war eine Trockenphase. Da unten bei mir war … nichts. Meine Libido hat sich eine Auszeit gegönnt. Wochenlang war sie Gott weiss wo und warum.
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