Die moderne westliche Esoterik oszilliert zwischen spirituellem Kitsch, übersinnlichen Wundern und Aberglaube. Ein Erfolgsrezept. Nicht zuletzt wegen des Internets, wo die Hunderten von esoterischen Disziplinen und Zehntausenden von Anbietern weltweit reihenweise angeklickt werden.
Eines dieser Angebote ist der Lichtnahrungsprozess, der unter die Kategorie der kuriosen Wunder einzuordnen ist. Furore machte damit vor Jahren schon das australische Medium Ellen Greve alias Jasmuheen (Duft der Ewigkeit). Sie propagierte die Lichtnahrung und elektrisierte die Szene.
Ihr Versprechen: Während des dreiwöchigen Prozesses verändern sich die Zirbel- und Hirnanhangdrüse und die DNA. Danach sollen die Teilnehmerinnen fähig sein, kosmisches oder göttliches Licht aufzunehmen und sich damit zu ernähren. Ähnlich der Fotosynthese bei Pflanzen. Dann ist Schluss mit der Aufnahme von kontaminierten Lebensmitteln und verseuchtem Wasser, versprach Jasmuheen.
Der Haken an der Geschichte: Die Kursteilnehmer dürfen sieben Tage lang keinen Tropfen trinken und 3 Wochen lang nichts essen. Ein gefährliches Ritual, denn man dehydriert und handelt sich gravierende Schädigungen von Niere und Leber ein. Einzelne Lichtesser haben das Ritual mit dem Leben bezahlt.
Diesen Prozess hat auch der ehemalige Basler Chefarzt und Psychiater Jakob Bösch absolviert. In einem Buch von Jashmuheen schrieb er unter dem bezeichnenden Kapitel «Eine neue Form von Psychotherapie und spirituellem Wachstum»: «Der Prozess wurde wohl zum intensivsten Erlebnis meines Erwachsenendaseins.» Obwohl er während dieses Prozesses einen leichten Hirnschlag und eine Lähmung des linken Beins erlitt, wie er zugab.
Und noch etwas: Schülerinnen und Schüler priesen den Lichtnahrungsprozess als Rezept gegen den Welthunger an. Mehr Zynismus geht kaum.
Da die Esoterik wie auch profane Konsumprodukte Trends unterliegt, ist der Lichtnahrungsprozess nach Jasmuheen aktuell nicht mehr besonders sexy. Deshalb bieten heute esoterische Medien und Meister eine Kurzversion an, die nur noch drei Tage dauert.
Das Glücksportal.ch schreibt über sein Seminar: «Der Lichtnahrungsprozess ermöglicht es dir, über die Illusion hinauszuwachsen, dass der Körper nur mit feststofflicher Nahrung und Flüssigkeit überleben kann. (…) Lichtnahrung bedeutet, aus der kosmischen Quelle, der göttlichen Quelle deines Seins, genährt und ernährt zu werden und auf einer ganz tiefen Ebene deines Seins frei zu sein.» Kostenpunkt für die drei Tage: 1800 Franken.
Andreas Hofmann, der sich Life-Food-Coach nennt, preist sein Seminar so an: «Durch den Lichtnahrungsprozess befindet sich dein Mentalkörper für immer in einer Entfernung von 4,5 Metern und dein Emotionalkörper auf 9 Meter. (…) Nur in dieser Ausdehnung aller deiner Körper kann sich die Lichtkanüle in deinem Energiesystem dauerhaft verankern. Egal, wie du dich entscheidest, stets fliesst immer das nährende, goldene Licht über die Lichtkanüle in deinen Körper hinein.»
Auf dem Portal testedich.ch gibt es einen Test, mit dem man herausfinden kann, was für ein Lichtarbeiter man ist. Ich habe die Fragen nach bestem Wissen und Gewissen beantwortet und ein erstaunliches Testresultat bekommen:
Im Testergebnis wird weiter ausgeführt: «Das sind Eigenschaften, die in der Welt dringend gebraucht werden. Deine natürliche Neigung, anderen zu helfen, macht dich ideal für soziale Berufe, wo du deine Fürsorglichkeit und Empathie voll entfalten kannst. (…) Nutze diese Fähigkeiten, um Positivität und Licht in die Welt zu bringen.» Das Leben ist manchmal voller Überraschungen.
Was geht im Kopf der meist überdurchschnittlich gebildeten Esoteriker und Esoterikerinnen ab, dass sie an den Unsinn der Lichtnahrung glauben können? Glauben, dass sich Zirbeldrüse und DNA in kurzer Zeit grundlegend verändern können? Diese Frage ist in ihren Augen falsch gestellt. Spiritualität findet nicht zwischen den Ohren statt, die Ratio ist vielmehr der Feind der Esoterik.
Im Reich des Übersinnlichen gelten spirituelle Gesetze. Naturgesetze können angeblich überwunden werden. Deshalb ist für Esoteriker alles möglich, was sich die spirituelle Intuition erträumt. Und was die aufgestiegenen Meister in den kosmischen Sphären über den geistigen Kanal (Channeling) den esoterischen Medien übermitteln.
Deshalb überbordet die spirituelle Fantasie der Meister und Medien, die eine Welt voller Glitzer und Wunder manifestieren und ihren Schülerinnen präsentieren. Esoterikerinnen messen dem «Feinstofflichen» mehr Bedeutung und Sinn zu als dem «Grobstofflichen», was oft fatale Folgen hat.
Für Esoteriker gibt es in der geistigen Welt keine Einschränkungen und keine Grenzen. Wunder sind die neue Normalität. In der esoterischen Parallelwelt muss man den Kopf an der Garderobe abgeben, sonst kracht die esoterische Wunderwelt zusammen. Doch wer will schon auf Wunder verzichten!