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Mit einem Grabtuch ein Grab graben? Kein Problem für die katholische Kirche

Mit einem Grabtuch ein Grab graben? Kein Problem für die katholische Kirche

14.08.2021, 07:5215.08.2021, 12:27

Für Christen bestand über Jahrhunderte kein Zweifel, dass das Neue Testament das Leben von Jesus authentisch nachzeichnet. So wurde es ihnen von den Geistlichen gepredigt, so wurde es ihnen später im Religionsunterricht weis gemacht.

Es brauchte früher viel Mut und einen sehr kritischen Geist, um am biblischen Bild oder gar an der Existenz von Jesus zu zweifeln. Schliesslich galt es als Gipfel der Blasphemie, den Fleisch gewordenen Gottessohn zu hinterfragen.

Jesus
Zweifeln an Jesus? Behüte!Bild: Shutterstock

Als sich Intellektuelle, unabhängige Bibelforscher und Philosophen von den religiösen Doktrinen zu emanzipieren begannen, geriet das Jesusbild aus dem Neuen Testament ins Wanken. Die Quellenlage entsprach nicht den erforderlichen Standards, denn die Autoren der vier Evangelien lebten später als Jesus und hatten ihn nicht gekannt.

Ausserdem hatten ihn die damaligen Historiker kaum wahrgenommen oder nur mit einer Randnotiz erwähnt. Gekannt hatte ihn keiner. Zudem zeichneten die Evangelisten oft ein widersprüchliches Bild vom Sohn Gottes. Einerseits war er der barmherzige Rebell, andererseits drohte er Sündern und Ketzern Höllenqualen an.

Kommt hinzu, dass manches am Leben von Jesus und seiner Heilslehre an Mythen und Legenden erinnert, wie wir sie teilweise von früheren Religionen kennen. So vermehrte er beliebig Fische, heilte Kranke und erweckte Tote zum Leben. Schliesslich auferstand er vom eigenen Tod und entschwand in die himmlischen Sphären.

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Krampfhafte Suche nach den Zeichen

Solche Erkenntnisse verunsicherten viele Gläubige. Sie suchten krampfhaft nach Zeichen, die die Existenz von Jesus beweisen und sie im Glauben bestärken sollten.

Die Suche nach solchen angeblichen Beweisen trieb und treibt abstruse Blüten und verstärken die Zweifel an der Existenz von Jesus eher noch als sie zu zerstreuen.

Jesus 2.0

Da ist einmal der italienische Pater Pio. Nach einer Umfrage der katholischen Zeitschrift «Famiglia Cristiana» beteten einst mehr italienische Gläubige zu ihm als zu Jesus Christus oder zur Mutter Gottes. Er galt quasi als Jesus 2.0.

Pilgrims photograph the body of Padre Pio, an Italian saint, laying in repose inside a crystal casket in the crypt of the church of Santa Maria delle Grazie in San Giovanni Rotondo, Italy, Thursday, A ...
Der Reliquienschrein Padre Pios in San Giovanni Rotondo Padre Pio. Sein Gesicht wird von einer Silikonmaske bedeckt. Bild: AP

Pater Pio identifizierte sich angeblich so sehr mit Jesus und litt so stark mit ihm, dass er die gleichen Wundmale entwickelte, die ebenfalls bluteten. Dass sich der «neue Jesus» die Stigmata selbst zugefügt hatte, interessierte die Gläubigen nicht, die zu Hunderttausenden zum Kapuzinerkloster von San Giovanni Rotondo, Apulien, pilgerten. Auch nach seinem Tod 1968. Pater Pio nahm auch Wunderheilungen wie Jesus vor und hatte noch andere religiöse Tricks auf Lager.

Der Vatikan beendete den okkulten Spuk um die katholische Kultfigur nicht, sondern sprach den Pater fast in Rekordzeit selig und heilig. Schliesslich war Pio die erfolgreichste PR-Figur neben dem Papst.

Und täglich erscheint die Mutter Gottes

Auch Wahlfahrtsorte dienen dazu, Pilgern angebliche Glaubensbeweise zu liefern und sie an die Kirche zu binden.

Beim Wallfahrtsort Medjugorje in Bosnien-Herzegowina zum Beispiel erscheint seit vielen Jahren täglich die Muttergottes einer Seherin und übermittelt der braven Frau angeblich authentische Botschaften aus dem Himmel, die postwendend für die Pilger übersetzt werden. Das dreiste Ritual soll signalisieren, dass Jesus sorgsam wacht und sich uns offenbart. Wer solche himmlische Fakenews für bare Münze nimmt, zweifelt nicht mehr an der Existenz des Gottessohnes.

Eine ähnliche Funktion üben auch Reliquien aus. Davon gibt es unzählige, zum Beispiel Milchzähne von Jesus, seine Nabelschnur, seine Vorhaut (Beschneidung) usw. Gebeine sind bekanntlich nicht auffindbar, da Jesus in voller Grösse in den Himmel aufgestiegen ist. Solche erstklassigen Reliquien reklamieren zwar nur sehr abgedrehte Gläubige für sich, zweit- und drittklassige kursieren aber auch bei geistig unauffälligen Katholiken.

So werden angebliche Holzsplitter und grosse Teile des Heiligen Kreuzes verehrt, an dem Jesus seinen Tod gefunden haben soll. Andere behaupten, im Besitz eines Nagels zu sein, die seine Hände oder Füsse durchbohrt haben. Es gibt auch einen Fussabdruck, der von Jesus stammen soll, Kleidungsstücke, heilige Tücher und vieles mehr.

Der kuriose Kult um das Grabtuch

Einen kuriosen Kult betreiben auch weite Kreise der katholischen Welt um das angebliche Grabtuch von Jesus. Dieser heilige Fetzen Stoff, Turiner Grabtuch genannt, kommt morgen Sonntag zu uns nach Wädenswil. Der Diakon Andreas Neira stellt es in der Pfarrkirche St.Marien aus. Zwar nicht das Original – dieses wird wie der Augenapfel von Jesus gehütet –, sondern eine Kopie davon. Das angebliche Original wird in Turin hinter Panzerglas gelagert und mit Edelgas behandelt, um den Zerfall zu verhindern.

The Shroud of Turin is shown in this 1979 photo. A new analysis of pollen grains and plant images on the Shroud of Turin places its origin to Jerusalem before the 8th Century. The study gives a boost  ...
Das Turiner Grabtuch wurde ausgiebig untersucht. Bild: AP

Das Tuch wurde von vielen Experten untersucht. Sie kamen mehrheitlich zum Schluss, dass es aus dem Mittelalter stammen soll. Selbst der Vatikan akzeptiert es nicht als Reliquie, sondern lediglich als Ikone. Trotzdem sind viele strenggläubige Katholiken überzeugt, dass Jesus nach dem Kreuztod in dieses Tuch eingewickelt und ins Grab gelegt worden ist.

Zu ihnen gehört auch Diakon Andreas Neira, der stolz darauf ist, das Duplikat nach Wädenswil geholt zu haben. Bei der Eröffnung der Ausstellung erweist auch der neue Churer Bischof Joseph Bonnemain dem Grabtuch die Ehre. Das ist ein weiteres Signal an traditionalistische Katholiken, dass das Tuch wahrscheinlich doch eine Reliquie ist.

So oder so offenbart die Verehrung des Turiner Grabtuches einen kindlich-naiven Glauben, denn es gibt keinen einzigen plausiblen Hinweis, dass Jesus nach seinem Tod mit diesem Tuch bedeckt worden sein soll. Sicher ist nur, dass solche Grabtücher, in denen die Gestalt der Toten abgebildet ist, im Mittelalter kunstvoll hergestellt worden sind.

Mit der okkult anmutenden Aktion verliert die katholische Kirche bei rational denkenden Gläubigen weiterhin an Glaubwürdigkeit. Mit solchem Aberglauben schaufelt sie sich das eigene Grab.

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Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
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437 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Noob
14.08.2021 10:15registriert Januar 2015
Würden den die meisten Gläubiger einen Jesus akzeptieren der so aussieht? So haben ihn Anthropologen nämlich dargestellt, resp. so sahen die Menschen in Palästina im 1. Jahrhundert aus. Quelle: bbc news
Mit einem Grabtuch ein Grab graben? Kein Problem für die katholische Kirche\nWürden den die meisten Gläubiger einen Jesus akzeptieren der so aussieht? So haben ihn Anthropologen nämlich dargestellt, r ...
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smartash
14.08.2021 10:59registriert Dezember 2016
Ich finde das jetzt etwas gar viel Text, nur um darauf hinzuweisen, dass die Katholiken eine etwas gar schrullige Heiligenverehrung haben...
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N. Y. P.
14.08.2021 08:26registriert August 2018
So vermehrte er beliebig Fische, heilte Kranke und erweckte Tote zum Leben. Schliesslich auferstand vom eigenen Tod und entschwand in die himmlischen Sphären.

Ist doch toll, er konnte heilen, vermehren und fliegen.

Mohammed, sofern es ihn denn gab, dagegen, führte Kriege, um seine Lehren zu verbreiten.
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Es. Ist. Fucking. Aus.
Ich mach's kurz. Und schmerzlos. Haha. Schmerzlos. Fakt ist: Sandro hat Schluss gemacht. Und ich? Schwebe im luftleeren Raum. Ohne Boden. Ohne Aussicht. Und ohne Ausweg.
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