Plötzlich machen «World of Warcraft» und «Call of Duty» keinen Spass mehr! Eigentlich dienen Video- und Computerspiele doch der Ablenkung vom Alltag und dem Vergessen all der Abscheulichkeiten, die das Leben so mit sich bringt. Doch das kann man zumindest derzeit bei Spielen von Activision Blizzard vergessen.
Die Gaming-Branche erlebt ihren nächsten #MeToo-Moment. Gut ein Jahr nachdem Ubisoft mit Vorwürfen konfrontiert wurde, dass die Firma eine Kultur des systematischen Missbrauchs gefördert und versteckt habe, sieht sich nun Activision Blizzard mit ganz ähnlichen Anschuldigungen konfrontiert: Diskriminierung, Sexismus und Mobbing sind nur einige Schlagworte, die fallen. Die Szene zeigt sich erschüttert, aber wenn man ehrlich ist, überraschen die aktuellen Schlagzeilen nicht wirklich.
Nach zweijähriger Ermittlung klagte das California Department of Fair Employment and Housing (kurz DFEH) gegen Activision Blizzard. In der Klageschrift ging es um Diskriminierung am Arbeitsplatz, niedrigere Gehälter und um ungleiche Aufstiegschancen, aber auch um sexuelle Belästigung, die trotz Beschwerden nicht ernst genommen wurden. Activision Blizzard konterte, erbost über die Vorwürfe, und bezeichnete diese gegenüber dem US-Magazin Kotaku als «respektlos».
In der Folge jedoch meldeten sich immer mehr aktuelle und ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Activision Blizzard zu Wort. Und es türmten sich die Vorwürfe über Ungleichheit und Mobbing: Eine Mitarbeiterin hat es gar in den Suizid getrieben, nachdem Nacktfotos von ihr im Büro die Runde machten. Ben Brode, ehemals Game Director für «Hearthstone», schilderte via Twitter, dass sich eine Kollegin an ihn wandte. Auch sie wurde sexuell belästigt, hatte aber Angst vor den Konsequenzen, falls sie diese Vorfälle melden würde. Er selbst blieb untätig und fürchtete den Vertrauensbruch, sollte er den Täter ohne ihr Wissen bei der Personalabteilung melden.
Die Nachrichten schockierten die Branche und münden in klaren Statements wie «Wir sind gescheitert … es tut mir leid» von Chris Metzen, dem einstigen Vice President of Creative Development. Über 2000 der 9600 Angestellte von Activision Blizzard stellten sich in einem offenen Brief gegen den eigenen Arbeitgeber und fordern umgehendes Handeln im Sinne der Opfer. Es kommt schliesslich sogar zum offenen Protest und einer Demonstration, die unter #ActiBlizzWalkout noch mehr Aufmerksamkeit kreierte. Der Aktienkurs von Activision Blizzard brach in Folge der Enthüllungen und Entwicklungen um 10 Prozent ein.
Am selben Tag jedoch deckte das Magazin Kotaku die so genannte «Cosby Suite» auf. Während der Blizzcon 2013 haben sich dort hochrangige Mitarbeiter, ihre Freunde und Familien betrunken und gefeiert. Wichtig: Der Spitzname des Zimmers hat nichts mit Bill Cosbys Anklage wegen sexueller Nötigung zu tun. Diese wurden erst 2014 öffentlich. Den Titel bekam die Suite aufgrund des dort ausgelegten Teppichs, der die Veranstalter der Party an die Pullover von Bill Cosby aus dessen Fernsehshow erinnerte. So weit, so unprofessionell harmlos.
Die veröffentlichten Chat-Verläufe aber werfen ein deutlich schlechteres Licht auf die Beteiligten. Da wurden «Frauen rangeholt» und es wird mehr als deutlich über sexuelle Handlungen geschrieben. Ob dummer Scherz, Männer-Prahlerei oder durchtriebener Vorsatz – Das alles passt ins Bild der aktuellen Ermittlungen.
Im Fokus steht hier Alex Afrasiabi, ehemalige Senior Creative Director für «World of Warcraft». Seine Macho-Sprüche wie «ich kann alle heiraten, ich komme aus dem Mittleren Osten» fallen auf. Und tatsächlich hatte Afrasiabi einen entsprechenden Ruf in der Firma. Inzwischen bestätigte Blizzard, dass er 2020 wegen bis 2013 zurückreichender sexueller Übergriffe entlassen wurde.
Es folgte schliesslich ein offener Brief von Activision-Blizzard-Chef Bobby Kotick, in dem er sich u.a. für die unangebrachte, erste Reaktion auf die Anklage des DFEH entschuldigte. Zudem versprach er schnelle Veränderungen und Massnahmen im Unternehmen, um Diskriminierung entgegen zu wirken.
Wie man das nicht macht zeigte zuletzt Fran Townsend, Executive Vice President for Corporate Affairs, die die Anklage relativierte, als «sachlich falsch» abstempelte, Mitarbeiter auf Twitter blockte und vor Whistleblowing, also dem Veröffentlichen von Interna, warnte. Die Community forderte bereits ihren Rücktritt und auch von Bobby Kotick gab es eine Abfuhr.
Viel Unterstützung erfährt die Bewegung von Aussen: Im Zuge der Entwicklungen stellten sich 500 Ubisoft-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Betroffenen bei Activision-Blizzard zur Seite. In einem über Axios geteilten offenen Brief heisst es: «Wir glauben an euch, wir stehen an eurer Seite und wir unterstützen euch.» Zugleich äusserten sie auch eindeutigen Zorn darüber, dass die vor einem Jahr ans Tageslicht gekommenen Vorwürfe im Hause Ubisoft zu wenig bewegt hätten.
Man habe gewartet und beobachtet, wie nur die bekanntesten Täter entlassen wurden: «Den Rest aber liess man entweder kündigen oder schlimmer noch befördern. Sie wurden von einem Studio zum nächsten geschoben, von Team zu Team. Sie erhielten eine zweite Chance ohne Bestrafung. Dieser Kreis muss enden!»
In dem offenen Brief heisst es auch, dass niemand mehr überrascht über diese Enthüllungen sein sollte - weder Fans noch Journalisten oder Verantwortliche. Und tatsächlich ist das so! Die Gaming-Branche ist seit Anbeginn durch Männer dominiert. Und auch wenn die Zeiten vorbei sind, in denen ein Presse-Trip im örtlichen «Gentlemen's Club» endet, so bleiben Frauen zum einen unterrepräsentiert, zum anderen aber auch schlechter bezahlt. Das belegt u.a. eine Studie des deutschen Verbands game, die zeigt, dass Frauen etwa 4000 Euro weniger im Jahr verdienen. Europaweit sollen es laut Skillsearch sogar 10'000 Euro sein.
Erste Konsequenzen aus den jüngsten Entwicklungen gibt es jedoch: Der Schweizer Online-Händler Brack kündigte an, «per sofort sämtliche Produkte von Activision Blizzard aus unserem Shop zu entfernen». Andere Anbieter wie Digitec schliessen einen Boykott nicht aus. Auch Spielemagazine und Streamer kündigten bereits an, über Titel von Activision Blizzard bis auf weiteres nicht mehr zu berichten bzw. sie nicht mehr ihrer Community zu präsentieren. Für die «World of Warcraft»-Macher, die als Aktienunternehmen stark auf ein sauberes Image angewiesen sind, entwickeln sich diese Tage zum Super-GAU.
Was ist nun aber die Konsequenz daraus? Schliesslich sind die Enthüllungen weder Überraschung noch ein Einzelfall. Ob Ubisoft oder Activision Blizzard – die jüngsten Fälle zeigen eindringlich, dass sich die Gaming-Branche ändern muss. Der «Bro-Code» muss aufgebrochen und alte Zöpfe müssen abgeschnitten werden. Blizzard geht einen ersten Schritt: Präsident J. Allen Brack verlässt das Unternehmen. Jen Oneal, bislang Executy Vice President of Development, und Mike Ybarra, bislang Executive Vice President & GM, übernehmen den Posten in einer Doppelspitze. Die Chefetagen vieler Unternehmen bedürfen einer «Renovierung» - zeitgemässer, diverser und offener. Es gibt viel zu tun!