Letzten Mittwoch sass ich hier an gleicher Stelle im Büro und schrieb meine Replik zu «Horizon: Zero Dawn». Ich schrieb von verschenkten Chancen, von katastrophalen Dialogen und von einem Game-Setting wie 30 Jahre Eheleben. Ja, ich war enttäuscht.
Wie sehr hatte ich mich auf dieses Spiel gefreut: Maschinen jagen in einem dystopischen Zukunftszenario – was für eine Ausgangslage. Und dann diese vielversprechenden Screenshots. Ich war hin und weg. Ich antizipierte einen Ridley-Scott-Moment.
Der britische Hollywoodregisseur schuf in seinen Filmen «Alien» (1979) und «Bladerunner» (1982) bis heute unvergessene Charaktere: Ripely in «Alien» und Roy Batty in «Bladerunner». Und dem Briten gelang es, diese Figuren perfekt in wunderschön-düstere Zukunftsvisionen einzubetten.
Mein erwarteter Ridley-Scott-Moment blieb allerdings aus. Komplett.
Ja, das Spiel ist wunderschön. Wie der Mond durch die Fichten scheint, der Nebel aufsteigt und die Herden von Maschinen langsam am Horizont vorbeiziehen. Ein Augenschmaus. Nie sah ein Open-World-Game derart gut aus. Vielleicht in «The Witcher 3». Aber nur vielleicht.
Ja, die Landschaften sind toll gemacht. Doch statt in einer unwirtlichen Zukunftsvision wähne ich mich im Heidiland. Zu brav, zu nett, zu kitschig ist mir das alles.
Und dann diese Charaktere. Die Protagonisten von «Horizon: Zero Dawn» erwecken nicht den Anschein, als wären sie von einem jahrelangen Überlebenskampf gezeichnet: keine Narben, keine fehlenden Gliedmassen, dafür rosige porenreine Haut. Sogar bei «SRF bi de Lüt» findet man mehr Ecken und Kanten – und spannendere Dialoge.
Der Auftritt der Maschinen war für mich eine weitere Enttäuschung. Die grosse Stärke von Ridley Scotts «Alien» ist, dass sich das ausserirdische Monster während dem gesamten Streifen nur wenige Sekunden zeigt. Sparsamkeit als Qualität und als Stilmittel für Spannung und Drama. Den Machern von «Horizon: Zero Dawn» scheint dieses Konzept fremd. Die Maschinen sind derart zahlreich, dass Begegnungen mit ihnen keine Highlights, sondern Routineangelegenheiten sind. Was im Überfluss existiert, ist nicht spannend. Der Reiz des Spiels wird fahrlässig verschenkt.
Langweilige Charaktere in einer Heidilandschaft kombiniert mit einem verschenkten Spannungsbogen – das Bild mit 30 Jahren Eheleben sollte nun verständlich sein.
So war mein Gemütszustand am letzten Mittwoch.
Weil ich aber an diesem Tag noch diverse Sitzungen hatte, konnte ich mein ernüchterndes Fazit nicht ganz beenden und die Publikation wurde verschoben.
Es muss ein Wink der Game-Götter gewesen sein, denn aus unerfindlichen Gründen gab ich dem Game am Donnerstag-Abend nochmals eine Chance. Und ich muss meinen ersten Eindruck revidieren.
Man muss dazu wissen, dass ich bei Rollenspielen stets versuche, zu Beginn möglichst alle Sidequests zu erledigen – um für spätere Hürden gut gewappnet zu sein. Dementsprechend bedächtig gehe ich vor. So auch bei «Horizon: Zero Dawn».
Die eigentliche Qualität dieses Spiels zeigt sich aber erst nach ein paar Stunden. Dann, wenn die ersten richtig deftigen Kämpfe anstehen.
Meine Güte sind die gut. Unendlich gut. Dass die Figuren flach, die Dialoge dröge und die Story etwas langatmig ist, vergisst man schnell.
Nahkampf, Fernkampf, aus dem Hinterhalt mit Hinterlist – Heldin Aloy hat alles auf dem Kasten – ausser hirnlosen Frontalkampf. Der endet zwingend in einer Niederlage und das ist gut so. Durchpowern kann man bei «Horizon» vergessen. Ohne Berücksichtigung der geschickt gepflanzten Flora und des cleveren Leveldesigns lebt es sich nicht lange.
Und dann diese Dynamik! Fast schon Tekken-Style. Im Vergleich zur jungen Alloy wirkt der Witcher wie ein zahnloser Rentner. Die Steuerung ist präzis, die AI aggressiv. Es bleibt keine Zeit zum Durchatmen.
Die Kampfsequenzen sind derart herausragend, dass ich mir in «Horizon: Zero Dawn» etwas angewöhnt habe, was mir in meiner Gamekarriere noch nie passiert ist: Nach gewonnenen schwierigen Kämpfen sprinte ich nicht wie Usain Bolt zum Speicherpunkt, nein, es kommt vor, dass ich die Szene erneut spiele, versuche eine noch elegantere Taktik zu finden, noch souveräner zum Sieg zu kommen.
Da kann das Game auf der Charaker- und Storyebene noch so enttäuschen (es wird aber auch in dieser Hinsicht mit der Zeit besser), diese Duelle gegen wirklich interessante Gegner mit einer überraschenden AI macht viele der Mängel wieder wett. Nicht ganz alle. Aber doch viele.
Und so ist «Horizon: Zero Dawn» wie ein Buch, das erst nach 50 Seiten in Fahrt kommt. Werde ich es weiter spielen? Ja. Mit ziemlicher Sicherheit. Das Schlimmste liegt ja bereits hinter mir.