Die mächtigen Männer, die gerade fallen, sind kaum mehr zu zählen, und es ist gut so. Hört mir bloss auf mit: «Es ist ja schon okay, dass etwas passiert, aber muss es so heftig sein? Müssen wir jetzt alle Angst haben?» Ja. Und ja. Beziehungsweise nein. Die allermeisten Männer auf diesem Planeten sind fein. Einige wenige nicht. Kevin Spacey gehört jetzt zu diesen wenigen.
Dabei standen seine Chancen, einigermassen anständig davon zu kommen, gut. Einen halben Tweet lang wenigstens. Doch dann wurde alles anders. Dann riss er sich selbst in einen Abgrund, wie ihn sich diesen ein gewisser Frank Underwood nicht tiefer und dreckiger hätte ausmalen können. Frank Underwood ist Fiktion. Der amerikanische Serien-Präsident aus Spaceys Netflix-Triumph «House of Cards».
Teil eins von Spaceys Tweet in der Nacht auf Montag enthielt eine Entschuldigung. Sie klang aufrichtig, warmherzig, von sich selbst enttäuscht. Spacey entschuldigte sich bei dem Schauspieler Anthony Rapp, auf den er sich in einer betrunkenen Nacht vor 31 Jahren gestürzt habe. Rapp war 14, Spacey 26. Soweit so saublöd, aber die Entschuldigung war einigermassen sauber.
Doch dann kommt der Schmutz. Spacey macht, was Underwood machen würde: ein Ablenkungsmanöver. Schreibt, dass er – welch ein Zufall – quasi gerade jetzt beschlossen habe, endlich sein Coming-out als Schwuler zu verkünden. Was wiederum eins der offensten Geheimnisse von Hollywood ist. Ein weiteres offenes Geheimnis also wie die Tatsache, dass Weinstein seine Produktionsfirma als Gratisbordell benutzte.
Spaceys Coming-out hätte in einem andern Kontext und vor ein paar Jahren viel Gutes in der Gay Community bewirken und ein Leuchtfeuer für die Akzeptanz homosexueller Schauspielerinnen und Schauspieler in Hollywood entfachen können. Er zog es vor, das Private privat zu halten und ein paar verklemmte Witze über seine sexuelle Identität zu machen. Was sein Recht war.
Jetzt hat er sich das Recht genommen, seinen Übergriff auf Rapp direkt mit seiner Homosexualität in Verbindung zu setzen. Nicht in einem Mit-, bloss in einem assoziativen Nebeneinander in seinem Tweet, zu dem ihm nur ein Medienberater aus der Hölle geraten haben kann.
Denn mit diesem Tweet schafft Spacey, exakt das wieder aufflammen zu lassen, wogegen die Schwulen seit Jahrzehnten kämpfen: die Gleichsetzung von Homosexualität und Pädophilie nämlich. Eine Gleichsetzung, die über viel zu viele Jahre in enorm vielen – auch europäischen – Ländern Gleichberechtigung erfolgreich verhinderte.
Kein Wunder nennt sich in Russland die homophobste aller nazistischen Gruppierungen Occupy Pedofiljaj (Occupy Pädophilie) und ruft dazu auf, Mitglieder der LGBTQ-Community im Namen der «gesunden russischen Familie» zu foltern und so umzuerziehen. Es ist schier undenkbar, dass Spacey die Message «schwul gleich pädophil veranlagt gleich widerlich» beabsichtigte. Gemacht hat er genau das.
Vor wenigen Tagen hat schon amazon seinen Studioboss Roy Price entlassen, weil gegen ihn massive Vorwürfe wegen sexueller Belästigung vorlagen. Netflix handelte nun ebenfalls sofort und stellte Spaceys Serie ein. Die sechste Staffel von «House of Cards» ist die letzte, die Arbeit daran ist vorerst unterbrochen worden.
Ein Spin-off ohne Frank Underwood ist denkbar. Jeder amerikanische Präsident muss schliesslich einmal sterben. Sorry Boys, der Winter des Patriarchats ist angebrochen. Jetzt.