77 Tage ist US-Präsident Donald Trump im Amt – und schon greift er zur militärischen Option. US-Kriegsschiffe haben in der Nacht zum Freitag 59 Tomahawk-Raketen auf einen Stützpunkt der syrischen Luftwaffe nahe der Stadt Homs abgefeuert. Es handelt sich laut Trump um einen Vergeltungsakt für einen Giftgasangriff, den die USA dem Regime von Baschar Assad zuschreiben.
Was bedeutet dieser Angriff? Stolpert der unerfahrene Präsident damit in einen «dummen» Krieg? Oder handelt es sich um eine einmalige Aktion, weil niemand an einer Eskalation interessiert ist? Auf der watson-Redaktion gehen die Meinungen auseinander.
Es gibt gute Gründe für den Militärschlag des Regimes von Baschar Assad. Der syrische Diktator wollte nämlich mit dem Giftgasangriff seinen politischen Gegnern auf grausamste Art und Weise demonstrieren, dass sie selbst in Idlib nicht vor ihm sicher sind. Diese Provinz wird nach wie vor von seinen Gegnern kontrolliert, und dorthin hat Assad seine Gegner ausschaffen lassen. Dabei hat er zynisch spekuliert, dass die USA ihn gewähren lassen, weil Donald Trump keinen Ärger mit Wladimir Putin will.
Nicht der Militärschlag an sich ist somit das Problem, sondern die Begleitumstände: In seinen 77 Tagen im Amt hat Trump bewiesen, dass er auch als Präsident schamlos lügt – und von nichts eine Ahnung hat. Die Reform von Obamacare ist gescheitert, weil Trump weder die Mechanik einer Gesundheitsversicherung noch die komplexen politischen Abläufe im Kongress versteht. Seine vollmundigen Wahlversprechen haben sich als warme Luft erwiesen.
Trump verfügt über ein unerfahrenes Team. Die Stabsübergabe sei noch nie so chaotisch verlaufen wie diesmal, berichten verschiedene Quellen übereinstimmend. Der Sicherheitsberater Michael Flynn musste nach wenigen Tagen fallengelassen werden, weil er offensichtlich gelogen hatte. Jetzt muss der umstrittene Chefstratege Steve Bannon den nationalen Sicherheitsrat wieder verlassen.
Die Tatsache, dass das Trump-Team intern zerstritten ist, ist ebenfalls wenig vertrauenserweckend. Steve Bannon und Jared Kushner sollen sich in den Haaren liegen. Die Rolle von Trumps Schwiegersohn ist ohnehin unklar. Derzeit wird der 36-jährige gar als die heimliche Macht im Weissen Haus bezeichnet. Ebenfalls unklar ist, auf wen der Präsident hört. Sind es die alt-right Nationalisten um Bannon oder die respektierten Generäle Mattis und McMaster?
Innenpolitisch wird es immer enger für Trump. Die Einmischung des russischen Geheimdienstes in den US-Wahlkampf und eine mögliche Zusammenarbeit mit dem Trump-Team nehmen die Züge eines neuen Watergates an. Gestern musste Devin Nunes, der Vorsitzende des zuständigen Komitees im Abgeordnetenhaus zurücktreten. Er war ein enger Freund Trumps.
Geopolitisch wird es immer gefährlicher für Trump. Nordkorea testet fast jede Woche eine neue Rakete und wird bald in der Lage sein, selbst die USA mit atomaren Waffen anzugreifen. Trump hat bereits damit gedroht, dass er nötigenfalls Kim Jung Un im Alleingang ausschalten will.
Mit dem Militärschlag gegen Syrien betritt Trump unbekanntes Terrain und hat einen Prozess ausgelöst, dessen Ende schwer abschätzbar ist. Zurück zu «business as usual» ist keine Option. Die USA haben sich definitv in den Syrien-Konflikt eingemischt und werden mit den Folgen leben müssen. Genauso ist es in Libyen gelaufen. Auch dort wollten die Amerikaner zunächst nur die Zivilbevölkerung von Benghazi schützen und die stümperhafte Intervention der Franzosen und Engländer absichern.
Vor dem Ersten Weltkrieg war die Politik geprägt von Chauvinismus und Militarismus. Es gab verschiedenste Scharmützel bevor Europa eher zufällig in die Katstrophe schlafwandelte, wie sich der Historiker Christopher Clarke ausdrückte. Donald Trump ist genauso grossmaulig wie einst Kaiser Wilhelm II – und ebenso inkompetent. Habt Angst, habt grosse Angst!
Baschar Assad hat sich verrechnet. Er glaubte, US-Präsident Donald Trump lasse ihm bei der Bekämpfung der syrischen Rebellen freie Hand. Im Wahlkampf hatte sich Trump wiederholt in diese Richtung geäussert. Er wolle die Terrormiliz «IS» wegbomben, sich ansonsten aber aus dem Bürgerkrieg heraushalten. Folglich ging Assad davon aus, er könne sich alles erlauben.
Der syrische Machthaber hat immer wieder betont, dass für ihn nur der Sieg auf dem Schlachtfeld in Frage kommt. Erst diese Woche erklärte er in einem Interview mit einer kroatischen Zeitung, es gebe für ihn «keine andere Option». Seine Armee aber ist nach sechs Jahren Krieg ausgepowert. Was liegt also näher, als dem «Kriegsglück» mit chemischen Waffen nachzuhelfen?
Nur die verblendete Assad-Putin-Fangemeinde wird bezweifeln, dass der Giftgasangriff auf die Stadt Chan Scheichun von der syrischen Armee verübt wurde. Doch eines hat der schlaue Stratege Assad nicht bedacht: Wichtiger als die Nichteinmischung in Syrien ist für Donald Trump sein Image als «Macher» und starker Leader, im Gegensatz zum «Schwächling» Barack Obama.
Also musste der US-Präsident seinen harten Worten entsprechende Taten folgen lassen – mit dem Angriff auf den Luftwaffenstützpunkt. Wird dieser Militärschlag nun aber zu einer Eskalation im syrischen Drama führen? Nein. Baschar Assad ist ein Überlebenskünstler. Dies stellte er 2013 unter Beweis, als Obama seine «roten Linien» markierte. Assad kam damals einem US-Angriff zuvor, indem er sich zur Vernichtung seines Chemiewaffen-Arsenals bereit erklärte.
Es war absehbar, dass Assad einen Teil davon verstecken würde. Nun dürfte er seine Lektion gelernt haben und in Zukunft die Finger vom Giftgas lassen. Auch Trump wird sich wieder vom alltäglichen Horror in Syrien abwenden. Die Leidtragenden sind die Menschen in dem geschundenen Land. Der Krieg wird weitergehen, die Verhandlungen werden ergebnislos verlaufen. Ein Ende ist erst in Sicht, wenn Russland und Iran Assad fallen lassen.
Wenn Trumps Muskelspiel auf politischer Ebene einen Verlierer kennt, dann ist es Wladimir Putin. Er muss endgültig zur Kenntnis nehmen, dass der neue US-Präsident unberechenbar ist. Deshalb ist eine Eskalation auf anderen Schauplätzen nicht auszuschliessen. Aber aus Syrien will sich Trump weiterhin möglichst heraushalten.