«Isch aber nid gsund, gället Sie! Grad i Ihrem Alter», völlig affektiert mit hochgezogenen Augenbrauen und herunter geschobenem Kinn «konfrontiert» mich die Kioskdame jeden dritten Tag mit denselben Worten. Keine Ahnung, ob sie für diese «Awerness-Speach» von der Gesundheitslobby subventioniert wird oder ob sie von den unzähligen Bildern von gammligen Lungen, sterbenden Spermien und faulen Zähnen unheilbar traumatisiert wurde.
Ich entgegne ihr mit einem verdrückten Lächeln und wende mich Schulter zuckend ab. Ich stecke mir gleich die erste Kippe in den Mund und zünde an. Jedes Mal. Immer gleich. Und jedes Mal frage ich mich:
Dann rauche ich und denke nach. Darüber, wieso ich rauche. Schräg, irgendwie. Ich zwinge mich zu einer Rechtfertigung. Ich gestehe mir dann meistens ein: Ich rauche, weil ich süchtig bin. Weil mich Nikotin beruhigt. Weil ich als Teenie mal damit angefangen habe und es «mega cool» fand. Oder um es in meiner damaligen Sprache auszudrücken: Es hat mich «voll geflasht». Obwohl ich die meisten Glimmstängel aus reiner Sucht anzünde, gibt es da noch andere Gründe, wieso ich den Kippen derart fröne:
Vintage-Werbungen aus Zeiten, in denen sich niemand fürs «Schloten» schämte:
Als ich die letztere Erkenntnis – in etwas holperigeren Worten – mit einer guten Freundin teilte, schimpfte sie mich einen romantischen Trottel. Sie meinte, ich würde Substanzensucht verharmlosen. Und sie – als strikte Nichtraucherin notabene – behauptete, dass es keine anderen Raucher und Raucherinnen gäbe, die ihre Abhängigkeit so geschwollen rechtfertigen würden, wie ich es tue: «Die machen das einfach, weil sie nicht mehr aufhören können!»
Eine Woche später, das Wetter noch immer fürchterlich regnerisch und grüselig, laufe ich kettenrauchend durch Zürich und schwatze jede Person an, die einen Glimmstängel zwischen Zeige- und Mittelfinger eingeklemmt hat. Jedes Gespräch fange ich mit den gleichen Worten an. Fast ein bisschen wie die Kioskfrau:
Mein rauchender Spaziergang beginnt am Limmatplatz. Ich tue so, als würde ich auf ein Tram warten und zünde mir eine Zigarette an. Sarina wartet wirklich. Wir kommen ins Gespräch. Sie erzählt mir die Geschichte eines Italien-Urlaubs. Der Vater ihrer Freundin gab ihnen damals Geld, um ein Eis zu kaufen. In der Gelateria um die Ecke stand dann aber ein Zigi-Automat. Der war irgendwie interessanter als eine Kugel Stracciatella. Und so ist es passiert.
Von Sarinas Lächeln geblendet, erhoffe ich mir ein leichtes Spiel mit vielen freundlichen Rauch-Gesprächen. Ich werde jedoch eines anderen belehrt ...
Bis ich mit Alberto vor einer Latina-Bar in einer Seitengasse der Langstrasse die nächste Zigarette aus der Schachtel hole, muss ich mit viel Ablehnung umgehen. Zirka 12 Mal höre ich Sätze wie «Lass mich in Ruhe!», «Kümmer' dich um deinen eigenen Scheiss!» und «Ich muss gleich auf den Bus!». Es fühlt sich so an, als würde ich die Leute mit meiner kurzen Frage peinlich berühren. Reflexartig sträuben sie sich, mir zu erklären, warum sie das tun, was sie gerade tun.
Alberto ist da anders. Er sagt, er wolle so gerne aufhören mit dem Rauchen. Aber er kann nicht. Zwei Mal hat er es geschafft, einmal für zwei, einmal für sechs Monate. Seit er 17 ist, leert er tägliche mindestens eine Packung. Er hustet trocken und wir verabschieden uns.
Ich halte es nicht mehr aus, dass mich gestresste Passanten anfauchen und mich als «Drecksjournalisten» beschimpfen. Also suche ich gezielter nach Personen. Personen die genüsslich qualmen und nicht mit irren Blicken in den Augen ihre Tabakstängel bis kurz vor den Filter aussaugen. Eli ist eine davon. Sie sagt mir, sie mache bloss mit, weil ich ihr «little boy» sein könnte. Nun denn ...
Auch Manu verflucht das Rauchen mehr als sie es liebt. Sie findet es toll, das die Jungen heute nicht mehr so arg viel qualmen. Und als ich ihr erzählte, dass mich die meisten hier in Zürich bei meiner Umfrage abblitzen lassen, stimmt sie gleich in ein Gespräch über Gott, die Welt und die soziophobe Schweiz ein.
Auf dem Weg zurück ins Büro treffe ich noch Marianne an. Sie beschreibt ihre Sucht als Freiheit. Ihre Aussage ist die, die mich am meisten ins Grübeln bringt. Sucht als ein Gefühl der Befreiung?
Fast schon wieder beim Schreibtisch angekommen, gable ich im Hauseingang noch Lukas auf. Er arbeitet im Büro zwei Stockwerke höher. Normalerweise zucke ich nur lässig mit dem Kopf, wenn wir per Zufall gerade zur selben Zeit unseren Nikotin-Verlangen nachgehen. Heute hatten wir eine nette Unterhaltung über unsere (womöglich) einzige Gemeinsamkeit: Das Rauchen.
Ja, ich bin ein romantischer Trottel. Vielleicht ist meine schöne Erklärung vom kontemplativen Rauchen ein Schutzmechanismus, weil ich selbst genauso ratlos bin, wie all die Menschen, die ich auf meinem Spaziergang getroffen habe.
Was ich jedoch wirklich mitgenommen habe, ist ein völlig ausgetrockneter Hals, ein stechender Schmerz in der Schläfe und eine geleerte Schachtel Zigaretten.