Jüngst schlug Food-Historiker Luca Cesari gehörige Wellen mit der Entdeckung des aller-allerersten publizierten Rezepts von Spaghetti Carbonara. Diese war nämlich ... anders als erwartet.
Knoblauch?
Gruyère??
Wie bitte???
Gut, schauen wir uns das mal genauer an!
Über die Ursprünge der Carbonara herrscht bekanntlich Unklarheit. Diverse Theorien geistern umher – die von den US-Soldaten, die nach Eiern und Speck verlangten, etwa, oder die von den Kohle-Bergarbeitern der Region, nach denen das Gericht benannt sein soll. Alle Thesen sind nachvollziehbar, aber letztlich historisch ungenügend belegt, und keine abschliessend bewiesen.
Was aber sehr wohl Fakt ist, dass im Jahr 1954 spaghetti alla carbonara ein neues Gericht war. Eines, das noch daran war, italienweit Fuss zu fassen. Standardisiert war da noch gar nichts.
Anders heute. Internet sei Dank, weiss jeder und jede, dass es für dieses regionale Gericht aus Lazio die korrekten Zutaten braucht, sonst ist's keine Carbonara: Spaghetti, Guanciale, Pecorino Romano, Eigelb, schwarzer Pfeffer ... e basta. Rahm, Zwiebeln, Knoblauch oder andere Albernheiten sind für Amerikaner und Nordeuropäer, und Anlass für grosse Belustigung unter italienischen Köchen.
Heute ist Carbonara mehr als nur ein Gericht. Es ist eine Metapher. Ein Emblem für die Ägide, dass italienische Rezepte nur wenige Zutaten brauchen, letztere aber stets qualitativ hochwertig zu sein haben. Und dafür, dass diese sich geschmacklich und von der Konsistenz her perfekt ergänzen: die leicht pikante Säure des Pecorino, die Deftigkeit des Guanciale, das Geschmeidige des Eigelbs und so weiter. Italians do it better.
Der flüchtige Beobachter sieht die italienische Küche gerne als in ihren Gewohnheiten festgefahren, sich bequem auf ihren Lorbeeren ausruhend. In Wahrheit ist und war dies mitnichten der Fall. Wie jede Küche der Welt befindet und befand sich auch die italienische stets im Wandel. Dies bedeutet, dass Gerichte sich nicht nur über die Zeit verändern, sondern auch, dass solche, für die es inzwischen eine allgemein anerkannte Zubereitungsmethode gibt, über die Jahrzehnte einen Entwicklungsprozess durchlaufen haben; einen, in dem ebendiese Zubereitungsmethode entstanden ist.
Und deshalb folgert Luca Cesari wohl richtig, dass das heute als regional und authentisch anerkannte Carbonara-Rezept nicht die Ur-Methode darstellt, sondern das Resultat von über 70-jähriger Veränderung und Entwicklung ist.
Während also la pasta alla carbonara im Jahr 1954 gewiss schon ein Weilchen existierte, war die erste historisch nachweisbare Publikation des Rezepts aber im August des Jahres – in «La Cucina Italina», der seit 1929 existierenden «Zeitschrift für Gastronomie und Konvivialismus»:
Ohne Illustration und mit dem Hinweis «Ricetta richiesta» (ergo ein «gewünschtes», wohl von der Leserschaft «angefordertes Rezept») lauten die Zutaten wie folgt:
(Für 4 Personen)
(Wir zitieren ...)
Optisch ist es genau so, wie Luca Cesari es beschreibt: Eine im Vergleich zum heutigen Carbonara-Standard eher trockene Angelegenheit. Nichts da mit dem heutigen Ideal mit cremina – das Ei ist zum Teil gestockt, die Gruyère nicht komplett geschmolzen.
Zugegeben, der erste Biss ist ein klein wenig enttäuschend. Dies, weil das Konzept «Carbonara» in meinem Kopf wohl mit einer Erwartung eines spezifischen Geschmackserlebnisses verbunden ist. Und hier fehlen die Geschmackskomponenten des Guanciale und des Pecorino.
Dies bedeutet aber nicht, dass an dieser historischen Carbonara irgendwas Grusiges wäre. Es mundet ganz okay.
Ganz okay – aber auch nicht grossartig. Und, wenn ich ehrlich bin, letztendlich ein klein wenig ... langweilig? Speck und Gruyère verbinden sich geschmacklich zu einer vagen Salz-Fett-Fusion und sind nicht so eindeutig unterscheidbar wie die viel charakteristischeren Geschmacksprofile des Guanciale und des Pecorino. Ich halte es wie Luca Cesari – auch von mir gibt es die Hand-Wackel-Bewegung.
Interessant: Je mehr ich davon esse, umso mehr werden Kindheitserinnerungen geweckt. Wenn ich mich an die Spaghetti alla Carbonara zurückbesinne, die meine Mutter kochte, dann war dies tatsächlich ein eher trockenes Gericht mit zum Teil gestocktem Ei. Guanciale war kaum erhältlich, weshalb Pancetta benutzt wurde. Zum Teil auch hundskommuner Frühstücksspeck. Und darüber wurde Parmesan gestreut.
Rahm, indes, war aber damals schon verboten.