Wir Menschen tun uns schwer mit dem Tod. Das ist verständlich. Wir wissen nicht, wie sich das Ableben anfühlen wird, und es setzt unserem irdischen Dasein ein unwiderrufliches Ende. Das verunsichert, macht Angst, schmerzt.
So ziemlich alle Menschen und alle Glaubensgemeinschaften sind sich einig, dass der Tod das irdische Dasein endgültig besiegelt. Die milliardenfache Erfahrung lässt keinen Interpretationsspielraum offen. Lebendigen Leibes von den Toten aufgestanden wir praktisch nur in der Bibel.
Doch damit hört die Einigkeit der Zehntausenden von Heilslehren auf. Die metaphysische Frage, was danach passiert, entzweit die Glaubensgemeinschaften. Jede religiöse oder spirituelle Heilslehre oder Gemeinschaft bietet ein anderes Modell.
Die Palette der Heilsvorstellungen ist breit. Um sie ranken viele Legenden, Mythen und Spekulationen. Sie dienen vor allem dazu, uns eine neue Existenz zu versprechen. Ausserdem verfolgen sie den Zweck, dem Tod den Stachel zu nehmen. Und uns darüber hinweg zu trösten, dass unser Körper nach dem Tod zerfällt.
Aus religiöser Warte ist es besonders schwer erträglich, dass unser toter Körper verwest und sogar eine Gefahr für die Hinterbliebenen sein kann. Speziell in tropisch-heissen Weltgegenden können Leichen gefährliche Ansteckungskrankheiten verbreiten. Deshalb werden im Hinduismus und Buddhismus Tote oft in rituellen Zeremonien verbrannt.
Das ist ein herber Kontrast: Auf der einen Seite ein von Würmern zerfressener, entstellter Körper, auf der anderen Seite der Glaube ans Paradies oder die Wiedergeburt. Der Tod weckt bei vielen Menschen irrationale Ideen und Vorstellungen.
Dieser Umstand zeigt sich aktuell bei der Diskussion um die Initiative zur Organspende, die in diesen Tagen lanciert worden ist. Mit diesem politischen Vorstoss soll die tiefe Quote an Organspenden in der Schweiz angehoben werden.
Heute können Ärzte bei Verstorbenen nur dann Organe entnehmen, wenn diese zu Lebzeiten eine schriftliche Einwilligung gegeben haben und eine Organspende-Karte besitzen. Ist dies nicht der Fall, können Angehörige über die Organentnahme verfügen.
Die Erfahrungen zeigen aber, dass diese ungern und eher selten einwilligen, weil sie auf keinen Fall gegen den allfälligen Willen des Verstorbenen handeln oder entscheiden wollen. Ausserdem ist die Vorstellung, dass das verstorbene Familienmitglied aufgeschnitten wird, nicht erbaulich.
Die Initiative will deshalb das Verfahren umkehren und das Widerspruchsprinzip einführen: Wer nicht will, dass ihm nach dem Tod die Organe entnommen werden, muss sich in ein offizielles Register eintragen. Sonst können die Ärzte die Organe von Verstorbenen entnehmen. Ein neuer Artikel in der Verfassung soll dies regeln.
Der Widerstand gegen die Initiative – falls sie denn zustande kommt – wird gross sein. Das zeigt sich allein schon an der Tatsache, dass nur etwa 35 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer eine Spende-Karte besitzen. Und in rund 60 Prozent der Todesfälle lehnen die Angehörigen eine Organentnahme bei Verstorbenen ab.
Das führt einerseits dazu, dass todkranke Patienten ein Jahr und mehr auf ein Spenderherz, eine Lunge usw. warten müssen. Andererseits sterben in der Schweiz jährlich mehrere Personen, weil sie nicht rechtzeitig ein neues Organ bekommen. So geht dem qualvollen Ableben der todkranken Patienten oft ein monatelanges Bangen und Leiden voraus. Ein sinnloser Tod in Raten.
Der Hauptgrund für die Weigerung, Organe zu spenden, ist im Glauben zu suchen, wie Chirurgen und Vertreter von Swisstransplant erklären. Im Glauben ans Paradies und an ein ewiges Leben. Sterbende oder Hinterbliebene glauben, die Organentnahme sei eine Art Amputation, der das Wesen der betroffenen Person verändere. Und das Eingehen ins Paradies erschwere oder gar verhindere. Sterbende sollen «unversehrt» in den Himmel gelangen.
Solche Überlegungen sind irrational und müssen im Bereich des Aberglaubens angesiedelt werden. Die Organe der Verstorben sind eh «verloren». Sie werden bei der Kremation von den Flammen und der Hitze versengt oder im Grab von Würmern zerfressen. Ein Fakt, der auch Gläubige verstehen sollten. Ausserdem sind beispielsweise die Leichen nach einem Flugzeugabsturz derart zerfetzt, das von einer Unversehrtheit keine Rede sein kann. Kommen diese Opfer deshalb nicht in den Himmel?
Um sich von den irrationalen Ideen rund um den Tod zu befreien, braucht es lediglich ein wenig Einfühlungsvermögen. Stellen Sie sich vor, Ihre Tochter wird auf der Strasse von einem Auto angefahren und erleidet schwere innere Verletzungen. Sie werden ins Spital gerufen, und die Ärzte eröffnen Ihnen, dass Ihre Tochter nur überleben wird, wenn sie rasch eine Spenderleber bekommt.
Der Chirurg ruft in Ihrem Beisein Swisstransplant an. Der Kollege sagt ihm, dass vor wenigen Minuten ein Mann an einer Hirnblutung gestorben sei. Er habe aber keine Spendekarte, und die Angehörigen verweigerten die Entnahme der Organe aus religiösen Gründen.
Man kann sich die Verzweiflung der Eltern vorstellen, als ihre Tochter nach wenigen Tagen stirbt.
Ein Beispiel mehr, das zeigt, wie irrational ein unreflektierter Glaube sein kann und das Leben behindert. Dabei wäre eine Organspende eine Tat, die dem eigenen Tod einen Sinn gibt und als Akt der christlichen Nächstenliebe verstanden werden könnte.