Die Szenerie ist idyllisch. Gedreht wurde in Trogen in Appenzell Ausserrhoden. Das Thema ist düster. Der Film handelt von der Abstimmung über das Frauenstimmrecht 1971 und den Widerständen, die die Frauen nicht nur, aber insbesondere in der ländlichen Schweiz überwinden mussten. «Die göttliche Ordnung» läuft seit Donnerstag in den Kinos und hat mit 36'000 Zuschauern bis Sonntagabend den besten Filmstart des Jahres nach «Fifty Shades Darker» hingelegt.
Man ist positiv überrascht. Derartige Erfolge gelingen dem heimischen Filmschaffen sonst nur mit populären Heile-Welt-Stoffen wie «Heidi» und «Schellen-Ursli». Ein politischer Film als Publikumsmagnet – Autorin und Regisseurin Petra Volpe hat ein kleines Kunststück vollbracht. Was aber taugt der Film, wird er den üppig wuchernden Vorschusslorbeeren gerecht?
Ich habe ihn am Dienstagabend gesehen, im «Le Paris», einem der schönsten Kinos von Zürich. Die Frauen waren im altersmässig gut durchmischten Publikum klar in der Überzahl. Mein Interesse an dem Film entsprang nicht nur meiner Arbeit als politischer Journalist, sondern auch persönlicher Betroffenheit. Ich habe die damalige Zeit selbst erlebt, auch wenn ich mich an den Kampf ums Frauenstimmrecht (ich war knapp acht Jahre alt) nicht erinnern kann.
In dem Bauerndorf im Zürcher Unterland, in dem ich aufwuchs und das sich sukzessive in eine Agglogemeinde transformierte, bekam man die politischen Stürme jener Zeit kaum mit. Den Zeitgeist aber hat der Film gut getroffen. Das betrifft nicht nur das Dekor, obwohl ich mich besonders über die originalen Vivi-Kola-Fläschchen gefreut habe. Er zeigt auch sehr anschaulich, wie schwierig das gesellschaftliche Umfeld für die Frauen generell war.
Für uns Kinder war es selbstverständlich, dass die Mütter zu Hause blieben und kochten und putzten, während der Vater die Brötchen verdiente. Ich kann mich nicht erinnern, dass im Dorf nur eine Mutter meiner «Gschpänli» nebenbei einer bezahlten Arbeit nachging. Dazu hätte sie die Einwilligung des Ehemannes gebraucht, was im Film sehr schön gezeigt wird. Bestürzend auch, wie schnell man «versorgt» werden konnte, wenn man sich nicht konform verhielt.
Der Film selbst ist nicht das Meisterwerk, zu dem er teilweise gehypt wurde. Er ist solides, unterhaltsames, etwas braves Mainstream-Kino. Während Hauptdarstellerin Marie Leuenberger glaubwürdig wirkt, sind die Nebenfiguren teilweise an der Grenze zur Karikatur gezeichnet. Und die holprigen Dialoge bleiben ein ewiges Ärgernis in Schweizer Film- und Fernsehproduktionen.
Sein Ziel aber erreicht er mühelos. «Die göttliche Ordnung» verdeutlicht, wie rückständig die Schweiz im Ringen um die Frauenrechte war. Während des Landesstreiks 1918 war das Frauenstimmrecht eine Forderung der Arbeiterschaft. Damals hatten es erst wenige Länder eingeführt, die Schweiz hätte eine Pionierrolle einnehmen können. Sie hat die Chance verpasst. Erst 1957 wurde es auf kommunaler Ebene erstmals beschlossen, in Unterbäch im tiefschwarzen Oberwallis.
Zwei Jahre später fand die erste Abstimmung auf nationaler Ebene statt. Die Männer sagten klar Nein, und das zu einer Zeit, als Länder wie Ägypten, Syrien und die Mongolei die Frauen teilweise schon seit Jahrzehnten an die Urnen liessen. Es brauchte noch einmal zwölf Jahre und die gesellschaftlichen Umwälzungen der 1960er-Jahre, bis die Schweizer Männlichkeit sich nicht mehr durch politisierende Frauen bedroht fühlte, wie es im Film schön gezeigt wird.
Schon während der Pause und nach dem Ende des Films war die Betroffenheit im Publikum spürbar. Viele der jüngeren Besucherinnen und Besucher haben wohl erstmals realisiert, wie schwer es ihre Mütter und Grossmütter damals hatten. Und vielleicht ist ihnen auch klar geworden, dass die Schweiz in dieser Hinsicht noch immer keine vorbildliche Rolle spielt. Im Gegenteil.
Bei der Gleichberechtigung und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hinkt sie den meisten europäischen Ländern hinterher. Noch immer gibt es zu wenig Tagesschulen. Die Zahl der Kitas wächst, aber sie sind oft teuer und die Öffnungszeiten eine Zumutung für Menschen mit flexiblen Arbeitszeiten. Die Berufswelt ist auf den Karriere machenden Mann ausgerichtet. Selbst wenn er das Pensum reduzieren will, kann er es oft nicht. Es ist die Frau, die Teilzeit arbeitet.
In den Chefetagen nimmt die Zahl der Frauen zu, aber nur im Schneckentempo. Die Ungleichheit der Löhne von Mann und Frau schrumpft ebenfalls nur wenig. Frauen müssten in den Gesprächen eben selbstbewusster auftreten. Halten sie sich an diese Empfehlung, werden sie schnell als zickig empfunden, während Männer in der gleichen Situation als willensstark gelten. Man hat in der Tat oft das Gefühl, dass sich in den Köpfen in den letzten bald 50 Jahren wenig geändert hat.
«Die göttliche Ordnung» könnte einen Beitrag zur Sensibilisierung leisten. So nebenbei zeigt der Film, dass politisches Kino in der Schweiz funktionieren kann. In dieser Hinsicht wünscht man sich häufig etwas mehr Mut, nicht nur bei historischen, sondern auch bei aktuellen Themen. «Grounding» hat gezeigt, dass man damit das Publikum mobilisieren kann. Und die Abwahl von Christoph Blocher als Bundesrat etwa wäre Stoff für einen formidablen Polit-Thriller.
Zum Frauenstimmrecht war ein Spielfilm längst fällig. Besser spät als nie, kann man nun sagen. Wie mein Vater 1971 gestimmt hat, weiss ich übrigens nicht. Ich habe ihn nie gefragt und kann es auch nicht mehr. Aber ich vermute, er hat das Frauenstimmrecht befürwortet.