Mitarbeiter der Versicherung Bâloise müssen künftig erst ab dem elften Krankheitstag ein Arztzeugnis einreichen. Das hat laut Mediensprecher Roberto Brunazzi zwei Gründe: Einerseits werde das Vertrauen in die Mitarbeiter gestärkt. Andererseits will das Unternehmen einen Beitrag zur Senkung der Gesundheitskosten leisten.
Laut dem «TagesAnzeiger» kommt der Beschluss bei den Angestellten gut an. Für Achim Elfering, Arbeitspsychologe an der Universität Bern, ergibt die Massnahme durchaus Sinn: «Wenn wir in der betrieblichen Gesundheitsförderung mit Erfolg das selbstgesteuerte Gesundheitsverhalten verbessern wollen, ist es ein Widerspruch, von mündigen Mitarbeitern bereits nach zwei oder drei Tagen ein Arztzeugnis einzuverlangen.»
Ein Arztzeugnis würde den Druck verstärken, möglichst schnell wieder am Arbeitsplatz zu erscheinen, sagt Elfering. So steigt nicht nur die Gefahr, dass andere Mitarbeiter angesteckt werden. Die Arbeitsleistung ist ebenfalls beeinträchtigt und könne zu Fehlern führen.
Aus einer Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz geht hervor, dass immer mehr Arbeitnehmer halb krank an den Arbeitsplatz zurückkehren. Laut der Befragung im Jahr 2014 tat dies jede zweite Person einmal – und jede zehnte Person gab an, mehr als zehn Tage am Stück in diesem Zustand gearbeitet zu haben.
Gemäss dem Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitsrecht an der Universität St. Gallen ist der Präsentismus – krank zur Arbeit gehen – ein ernst zu nehmendes Problem für die Volkswirtschaft. Konkrete Zahlen gibt es zwar nicht. Jedoch geht man davon aus, dass dadurch Schäden in Milliardenhöhe verursacht werden.
Felix Schneuwly von Comparis begrüsst das Vorgehen bei der Versicherung Bâloise. Er hofft, dass weitere Firmen dem Beispiel folgen werden, wie der «TagesAnzeiger» berichtet.
Auch Daniella Lützelschwab vom Schweizerischen Arbeitgeberverband unterstützt die neue Regelung: «Insbesondere bei unproblematischen kurzen Krankheitsabsenzen erachten wir es als sinnvoll, dass nicht in jedem Fall ein Arztzeugnis eingefordert wird.»
Lützelschwab befürchtet aber, dass Arbeitgeber ihre Fürsorgepflicht vernachlässigen könnten, sollte auf ein Arztzeugnis bei längerer Abwesenheit verzichtet werden.
Unia-Zentralsekretärin Corinne Schärer ist gleicher Meinung: «Gleichzeitig müssen die Arbeitgeber auch ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen, sich für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter interessieren und allenfalls auch dazu anhalten, einen Arzt aufzusuchen.»
Wann ein Attest als Nachweis über einen krankheitsbedingten Ausfall vorgelegt werden muss, ist je nach Unternehmen unterschiedlich. In der Regel wird dies nach drei bis fünf Abwesenheitstagen verlangt – in einigen Betrieben bereits nach einem Tag.
Jedoch gibt es keine gesetzlichen Bestimmungen. In den meisten Fällen wird das im Arbeitsvertrag geregelt. Klar ist jedoch eines: Durch das Einholen von Arztzeugnissen entstehen hohe Gesundheitskosten.
2014 hat der Nationalrat einen entsprechenden Vorstoss von Ruth Humbel ans Parlament überwiesen – passiert ist aber nichts. Die Gesundheitspolitikerin der CVP will deshalb in der kommenden Frühlingssession nachhaken. (vom)