Wieder einmal beschäftigt eine mysteriöse Vergiftung die Polizei in Grossbritannien. Etwas mehr als zehn Jahre nach dem Tod des ehemaligen russischen Geheimdienstlers Alexander Litwinenko in einem britischen Krankenhaus ringt erneut ein ehemaliger russischer Spion auf der Intensivstation mit dem Tod.
Sergei Skripal und eine Begleiterin wurden bewusstlos auf einer Parkbank in Salisbury gefunden und mit Verdacht auf Vergiftung ins Krankenhaus gebracht. Der 66-Jährige hatte als Doppelagent für die Briten gearbeitet und war nach seiner Enttarnung in Russland zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden. 2010 kam Skripal im Rahmen eines Gefangenenaustauschs nach Grossbritannien.
Der rätselhafte Vorfall erinnert an diverse mörderische Aktionen von Geheimdiensten. Deren morbide Fantasie scheint kaum Grenzen zu kennen, wenn es darum geht, missliebige Personen auf kreative Weise auszuschalten. Wie in diesen zehn Fällen:
Das Bild des todkranken Alexander Litwinenko mit dem kahlen Schädel in einem Londoner Krankenhausbett ging im November 2006 um die Welt. Seine Agonie dauerte mehrere Wochen. Der ehemalige Offizier des russischen Geheimdienstes FSB war ein überzeugter Putin-Gegner und arbeitete nach seiner Flucht in den Westen für den britischen Dienst MI6.
Erst kurz vor Litwinenkos Tod fanden die Ärzte die Ursache für sein qualvolles Siechtum: Im Urin des Todkranken stellten sie eine hohe Dosis des Isotops Polonium-210 fest. Das chemische Element ist radioaktiv; bei seinem Zerfall gibt es Alphastrahlung ab, die aus Heliumkernen besteht.
Wer immer Litwinenko vergiftete – die britische Polizei, und nicht nur sie, glaubt an einen Mord im Auftrag des Kremls –, musste sich nicht vor dem Polonium-210 fürchten. Alphastrahlung durchdringt die Haut nicht. Erst wenn das Isotop in den Körper gelangt, zum Beispiel über das Essen, zerstört die Strahlung Körperzellen. 0,1 Mikrogramm – ein Staubkorn ist so gross – reichen: Der Vergiftete stirbt an der Strahlenkrankheit.
Kim Jong Nam hat vielleicht geahnt, welches Schicksal ihn erwartete. Der Halbbruder des nordkoreanischen Diktators Kim Jong Un führte in seinem Rucksack zwölf Tabletten Atropin mit sich, als er am 13. Februar 2017 am Flughafen von Kuala Lumpur ermordet wurde. Atropin dient zur Behandlung von Magenkrämpfen – kann aber auch als Gegengift gegen das Nervengift VX verwendet werden. Und genau dieses Nervengas brachte Kim um.
Das Attentat auf den bei seinem Halbbruder in Ungnade gefallenen Kim führten zwei junge Frauen aus – eine Vietnamesin und eine Indonesierin, beide angeblich Agentinnen für Nordkorea. Die eine lenkte den 45-Jährigen ab, die andere griff von hinten an und rieb ihm mit einem präparierten Handschuh das tödliche Nervengift ins Gesicht. Kim Jong Nam starb auf dem Weg ins Krankenhaus.
Der chemische Kampfstoff VX – eine farb- und geruchlose, ölige Flüssigkeit – wird über Haut, Augen, Nahrung oder Atemwege in den Körper aufgenommen, führt zu Übelkeit und lähmt dann die Atemmuskulatur. Der Tod tritt innerhalb weniger Minuten ein. Das ursprünglich als Pestizid entwickelte Gift gilt als stärkster Nervenkampfstoff überhaupt; bereits ein Tropfen davon ist letal.
Das Attentat auf ihn war vielleicht eine Art Geburtstagsgeschenk für seinen mächtigen Feind: Der bulgarische Regimekritiker Georgi Markow wurde am 7. September 1978 in London vergiftet, an dem Tag, als der bulgarische Staatschef Todor Schiwkow 67 Jahre alt wurde.
Markow starb vier Tage später. Bei der Obduktion wurde ein 1,5 Millimeter grosses Metall-Kügelchen gefunden, das zwei Bohrlöcher aufwies. Darin hatten sich die rund 200 Mikrogramm Rizin befunden, die Markow töteten. Subkutan verabreicht wirkt das hochtoxische Pflanzengift schon ab winzigen Dosierungen tödlich.
Das Kügelchen mit dem Gift war Markow auf höchst ungewöhnliche Weise verabreicht worden. Der Attentäter, wahrscheinlich ein bulgarischer Agent, hatte Markow an einer Bushaltestelle mit einem Regenschirm gestochen. Dessen Spitze war – vermutlich vom sowjetischen Geheimdienst KGB – präpariert worden und injizierte das tödliche Gift in Markows Unterschenkel.
Bis nach Mexiko war Leo Trotzki geflüchtet, doch der lange Arm seines Widersachers Stalin holte ihn auch dort ein. Am 20. August 1940 zertrümmerte Ramon Mercader, ein Agent im Dienste des sowjetischen Geheimdienstes NKWD, dem russischen Revolutionär den Schädel. Tatwaffe: ein Eispickel.
Trotzki, der einst die Rote Armee gegründet hatte, war von Stalin aus der Macht und aus dem Land gedrängt worden. Er wusste, wie gefährlich Stalins paranoide Rachsucht war; sein Haus in Coyoacán glich einer Festung. Doch sein Mörder hatte sich unter falschem Namen an eine junge Trotzkistin herangemacht, die als Sekretärin für Trotzki arbeitete. Als deren Verlobter erhielt er Zugang zum Anwesen – was er für sein Attentat ausnutzte.
Blausäuregas wurde am 15. Oktober 1959 dem ukrainischen Nationalisten und Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera zum Verhängnis: Der sowjetische Agent Bogdan Staschinski lauerte Bandera im Eingang seines Hauses in München auf und sprühte ihm das giftige Gas ins Gesicht. Der KGB-Killer verwendete dazu eine spezielle doppelrohrige Sprühpistole mit zwei Glasampullen, in denen sich die Blausäure befand.
Das Gift führte schnell zu einem Herzstillstand, der wie ein Herzversagen erschien. Zunächst ging man tatsächlich von dieser Todesursache aus – bis Staschinski 1961 in den Westen überlief und sich den westlichen Geheimdiensten offenbarte. Er wurde zu einer Haftstrafe verurteilt und dann mit einer neuen Identität ausgestattet.
Der kubanische Maximo Líder starb im November 2016 im Alter von 90 Jahren. Ein Wunder, wenn man bedenkt, wie viele Anschläge auf ihn verübt wurden – der ehemalige kubanische Abwehrchef Fabián Escalante behauptet, es seien nicht weniger als 638 gewesen. Die CIA gab immerhin acht davon zu. Castro soll dies mit der Bemerkung kommentiert haben:
Mehr als einmal versuchte die CIA, die Schwäche des kubanischen Machthabers für Zigarren – Castro rauchte am liebsten Cohiba – auszunutzen. Doch weder die Exemplare, die beim Anzünden explodieren sollten, noch jene, die mit Botox oder anderen Giften präpariert waren, schafften es, Castro zu beseitigen.
Neben diesen Plänen gab es noch zahllose weitere Versuche, die alle ebenfalls fehlschlugen, wie wir heute wissen. Einer der skurrilsten war, den leidenschaftlichen Taucher Castro in die Nähe einer mit Sprengstoff gefüllten Muschel zu locken. Nachdem Attentatspläne 1973 bekannt geworden waren, verbot der damalige CIA-Chef William Colby solche Aktionen.
Der Bombenbauer der Hamas war leichtsinnig geworden. Schon sechs Monate wohnte Jahja Ajasch im gleichen Haus in Bait Lahiya im Gazastreifen. Und sein Freund Osama Hamad, bei dem er sich einquartiert hatte, hatte einen Onkel, der nicht vertrauenswürdig war.
Mit den Bomben, die Ajasch gebaut hatte, tötete die Hamas zwischen 1993 und 1995 über 50 Menschen. Der «Ingenieur», wie der Bombenbauer genannt wurde, war ein Ziel höchster Priorität des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet. Die Israeli wählten eine neue Methode: ein mit Sprengstoff präpariertes Handy.
Osama Hamads Onkel Kamal schenkte das Mobiltelefon seinem Neffen. Am 5. Januar 1996 um 9 Uhr klingelte es – das Gespräch war für Ajasch. Osama gab ihm das Handy und ging nach draussen. Als er nach fünf Minuten wieder hereinkam, lag Ajasch am Boden. Sein Kopf war weg. Weg war auch Kamal. Es wird spekuliert, dass er für seinen Verrat eine Million Dollar, einen gefälschten Pass und ein Visum für die USA erhielt.
Die Killer kamen aus verschiedenen Ländern und sie waren schon wieder weg, als ihr Opfer am 20. Januar 2010 gefunden wurde. Mahmud al-Mabhuh, genannt der «Fuchs», lag tot in einem Hotelzimmer in Dubai. Der hochrangige Waffenschmuggler der Hamas war zuerst betäubt und danach vermutlich mit einem Kissen erstickt worden.
Die Tat erregte Aufsehen, weil erstmals eine geheimdienstliche Aktion von Überwachungskameras festgehalten worden war. Die als Touristen verkleideten Mossad-Agenten – zehn Männer und eine Frau – arbeiteten hochprofessionell. Sie reisten mit verschiedenen Pässen ein, beschatteten den Hamas-Mann beim Einchecken und buchten ein Zimmer auf derselben Etage.
Als al-Mabhuh sein Zimmer verliess, drangen vier Männer dort ein und warteten auf ihn. Nach seiner Rückkehr dauerte es 22 Minuten, bis sie das Zimmer verliessen – in dieser Zeit geschah der Mord. Die Aktion hatte ein diplomatisches Nachspiel, weil der Mossad gefälschte Pässe westlicher Länder verwendet hatte.
Mordechai Vanunu outete Israel 1986 als Atommacht – und bezahlte teuer dafür. Der Sohn jüdisch-marokkanischer Einwanderer hatte zuvor einige Jahre als Techniker im geheimen israelischen Atomkomplex Dimona gearbeitet. Seinen Scoop machte er in London, wo er Fotos und Informationen an Zeitungen weitergab.
Noch bevor die «Sunday Times» Vanunus Bombe platzen liess, tappte der Atomtechniker in eine Honigfalle, die ihm der Mossad gestellt hatte. Die Agentin Cheryl Ben Tov machte sich als «Cindy» an Vanunu heran und lockte ihn für einen Kurztrip nach Rom. Aus dem Kurztrip wurden 18 Jahre Haft in einem israelischen Gefängnis: Vanunu wurde in Rom von Mossad-Agenten entführt und nach Israel verschleppt, wo er vor Gericht landete.
Vanunu, von den einen als Friedensheld gefeiert und von den anderen als Landesverräter geschmäht, wurde nach seiner Freilassung noch mehrere Male verhaftet, weil er gegen die extrem strengen Bedingungen verstossen hatte, die ihm auferlegt wurden. Auch nach seiner Haftzeit sagte er noch, er könne nicht glauben, dass «Cindy» eine Mossad-Agentin war.
Die Aktion war ein Desaster: Als kanadische Touristen getarnte Mossad-Agenten verübten am 25. September 1997 einen Anschlag auf den Chef des jordanischen Zweigs der Hamas, Chalid Maschal. Der wollte gerade sein Büro betreten, als ihn ein Mann ansprach; als Maschal sich ihm zuwandte, spritzte ihm ein zweiter Mann von hinten mit einem kleinen Gerät ein langsam wirkendes Nervengift ins Ohr.
Während Maschal ins Krankenhaus gebracht wurde, verfolgte sein Leibwächter die Agenten, die wenig später gefasst wurden. Der jordanische König Hussein verlangte vom israelischen Premierminister – der hiess damals auch Benjamin Netanjahu – die Herausgabe eines Gegengifts. Netanjahu, der die Geheimdienstaktion angeordnet hatte, weigerte sich – erst auf Druck von US-Präsident Clinton bequemte er sich zähneknirschend dazu, das Gegengift zu schicken.
Maschal überlebte in letzter Minute. Die israelischen Agenten kamen frei, im Gegenzug entliess Israel den Hamas-Gründer Scheich Jassin aus der Haft. Doch die Beziehung zwischen Israel und Jordanien, die erst kurz zuvor Frieden geschlossen hatten, war schwer beeinträchtigt.
Dieser aktualisierte und ergänzte Artikel erschien in seiner ursprünglichen Version im Februar 2017.