Die christliche Bewegung der Zeugen Jehovas (ZJ) gehört zu den problematischen Glaubensgemeinschaften mit deutlichen sektenhaften Zügen. Dazu gehört vor allem auch das Verbot der Bluttransfusion.
Es ist irr: Die Gläubigen sterben lieber bei Unfällen, Operationen oder schweren innerlichen Blutungen, als dass sie sich fremdes Blut durch eine Infusion geben lassen. So sterben immer wieder Gläubige, weil sie den Aberglauben der Gemeinschaft verinnerlicht haben.
Deshalb kommt es in Spitälern gelegentlich zu dramatischen Szenen. Die Ärzte wollen das Leben ihrer Patienten retten, doch die Zeugen Jehovas verbieten es ihnen. Unterstützt werden die Gläubigen von Krankenhauskomitees, die überwachen, dass die ZJ nicht einknicken und sich die Ärzte an das Verbot halten.
Ein aktueller Fall aus Spanien zeigt, dass Spitalärzte in Teufels Küche kommen, wenn sie das Leben von ZJ mit Bluttransfusionen retten wollen.
Eine Gläubige aus Ecuador, die in Spanien lebt, wurde im Sommer 2018 mit starken inneren Blutungen in ein Spital in Madrid eingeliefert. Sie hatte schriftlich festgehalten, dass sie keine Bluttransfusion erlaube. Die Ärzte erkundigten sich im Eilverfahren bei einem Bereitschaftsrichter, ob sie trotzdem eine Bluttransfusion vornehmen dürften, um das Leben der Frau zu retten. Dieser gab grünes Licht. Das Spital unterliess es, die richterliche Anordnung der Patientin und ihrer Familie mitzuteilen.
Bei der Operation wurde eine Transfusion als lebensrettende Massnahme nötig. Als die Zeugin danach davon erfuhr, ging sie rechtlich gegen das Spital vor. Der Richter, der die Transfusion abgesegnet hatte, erklärte in dem Verfahren, er sei nicht vollumfänglich über den Sachverhalt und das schriftliche Verbot der Patientin informiert worden. Trotzdem wies das spanische Verfassungsgericht die Klage ab.
Die Zeugin liess nicht locker und gelangte an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Dieses kassierte das Urteil aus Madrid und sprach der Zeugin Jehovas im Urteil vom 17. September dieses Jahres Schadenersatz zu. Sie sei in ihren Rechten nach Artikel 8 und 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt worden.
In der Urteilsbegründung hielt das Gericht fest, dass die Ärzte die Autonomie der Patientin nicht genügend respektiert hätten. Es sei ein fundamentales Prinzip des Gesundheitsgesetzes, dass Patienten entscheiden könnten, wie sie behandelt werden möchten. Dieses Prinzip sei durch die EMRK geschützt.
Der Europäische Gerichtshof würdigte zwar die Entscheidung des Bereitschaftsrichters, der das Leben der Frau retten wollte. Durch die fehlenden Hintergrundinformationen habe er aber auf einer falschen Informationsbasis entschieden. Dadurch sei die Frau in ihrem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie ihrer Religionsfreiheit verletzt worden.
Der EGMR verurteilte den Staat Spanien zu einer Zahlung von 12.000 Euro wegen immaterieller Schäden sowie zu einer Zahlung von 14.000 Euro wegen der entstandenen Kosten gegenüber der Frau.
Die ZJ leiten das Verbot der Bluttransfusion von der Bibel ab. Der Lebenssaft ist für sie heilig. Durch die Blutvermischung werde auch die Identität tangiert, eben vermischt. Die ZJ befürchten, dass Gott die betroffenen Gläubigen am jüngsten Tag nicht mehr richtig zuordnen könne.
Gott stünde also quasi vor dem Dilemma: Steht das Original Heidi Müller oder die Blutspenderin Annemarie Schmid vor mir? Oder ein namenloses Mischwesen? Es scheint, als hätten die ZJ wenig Vertrauen in ihren Gott und seine angebliche Allmacht.
Das Urteil des EGMR ist aus formaljuristischer Sicht kaum zu beanstanden. Aus menschlicher oder moralischer Perspektive schreit es aber zum Himmel. Denn es ist nicht primär der freie Wille der ZJ, lieber zu sterben als Bluttransfusionen zuzulassen, sondern ein knallhartes Gebot oder Dogma der sektenhaften Gemeinschaft.
Denn das Verbot gehört zur DNA der Glaubensgemeinschaft und ist integraler Bestandteil des Glaubens. Deshalb ist der moralische Druck auf die Gläubigen enorm, das Verbot schriftlich festzuhalten.
Es gibt vermutlich kaum ein Zeuge, der sich weigert. Er könnte Gefahr laufen, ausgeschlossen zu werden. Denn alle wissen: Wenn ich mich taufen lasse, muss ich das Verbot einhalten.
Deshalb gäbe es durchaus andere rechtliche Möglichkeiten. Man könnte beispielsweise die Führungsgremien der ZJ mitverantwortlich für den Tod jener Gläubigen machen, die gestorben sind, weil sie eine Transfusion verweigerten.
Ein Beispiel mehr, das zeigt, wie gefährlich ein Glaube sein kann, selbst wenn er auf der Bibel beruht. Statt Gläubigen in allen Lebenssituationen zu helfen, müssen sie im Notfall ihr Leben für einen unsinnigen Glauben opfern. Besonders tragisch wird es, wenn eine schwangere Frau stirbt, weil sie die Transfusion verweigert. Sie reisst dann unter Umständen ihr ungeborenes Kind mit in den Tod.
Das Urteil des EGMR ist für die ZJ ein Präjudiz und ein Triumph. Nun wissen alle Ärzte und Spitäler, dass sie mit Klagen und einer Verurteilung rechnen müssen, wenn sie das Leben von ZJ mit einer Bluttransfusion retten wollen. Aus moralischer Sicht könnte man das Transfusionsverbot der ZJ als Beihilfe zu einer tragischen Form von Suizid betrachten.