In esoterischen Kreisen herrscht die Meinung vor, der Tod sei vorbestimmt. Manche Esoteriker schreiben es dem Gesetz von Ursache und Wirkung zu, andere der Karmatheorie und Dritte der Akasha-Chronik. Diese enthält angeblich das übersinnliche Weltgedächtnis, in dem sämtliche Informationen der Menschheit gespeichert sein sollen.
Auch fromme Christen glauben, dass Gott die Lebensuhr der Gläubigen kontrolliert. Selbst viele Ungläubige klammern sich an die vom Volksmund oft formulierte Vorstellung des vorbestimmten Todes.
Das Phänomen hat aber auch einen psychologischen Aspekt. Dahinter steckt ein Fatalismus. Man übergibt sein Leben Gott und muss sich nicht weiter um existentielle Fragen des Lebens kümmern. Dieser Glaube nimmt vielen Menschen ein Stück weit die Angst vor Krankheiten und Tod. Frei nach dem Motto: Das Schicksal liegt eh nicht in meinen Händen, es kommt, wie es kommt.
Damit geben die Gläubigen einen wichtigen Teil der Verantwortung für ihr Leben ab. Weshalb soll ich mich wehren, weshalb kämpfen, wenn alles vorbestimmt ist? Dieser Fatalismus scheint ein krasser Widerspruch zu den meisten Heilslehren zu sein. Denn Glaubensgemeinschaften suggerieren, dass Zukunft und Wohlergehen der Gläubigen von ihrem Glaubensleben abhängen. Belohnt wird, wer viel betet oder meditiert und ein gottgefälliges Leben führt.
Auf den zweiten Blick hat dieses Paradox aber eine innere Logik, denn viele Gläubige flüchten sich in radikale Glaubensgemeinschaften, weil sie Mühe haben, das eigene Leben auf die Reihe zu kriegen oder selbstverantwortlich zu meistern. Es sind oft ängstliche Personen, die unter den vermeintlichen Schutzschirm eines religiösen Führers und seiner Gruppe schlüpfen.
In Wirklichkeit geben sie nicht nur die Verantwortung ab, sondern auch die Freiheit. Sie lassen sich fremdbestimmen und verlieren die geistige Autonomie.
Der Glaube an die Vorbestimmung des Todes ist deshalb auch ein Akt des Verdrängens. Was soll ich mich allzu sehr mit dem Leben und dem Tod auseinandersetzen, wenn bereits alles «im Buch des Lebens» festgeschrieben ist?
Der Glaube an die Vorbestimmung und das Verdrängen sind eine Form des Selbstbetrugs. Oder ein Aberglaube. In Wirklichkeit können die meisten von uns ein Stück weit mitbestimmen, wie alt wir werden. Denn mit einem gesunden Lebenswandel kann der Todeszeitpunkt hinausgezögert werden.
Ausserdem verlängern die medizinischen Fortschritte, die weder mit Gott noch Esoterik zu tun haben, das Leben der meisten Menschen. Ärzte bestimmen oft den Todeszeitpunkt. Den Beweis liefern die Statistiken zur Lebenserwartung, die innerhalb der letzten 100 Jahre massiv gestiegen ist.
Ein bisschen Vernunft und Verstand könnten helfen, den Irrglauben vom vorbestimmten Leben zu entlarven. Es bräuchte auch ein bisschen Willen, religiöse Dogmen zu analysieren und zu hinterfragen.
Doch viele Gläubige haben mehr oder weniger bewusst Angst, dass dabei ihr Glaube ins Wanken geraten könnte, und stecken den Kopf in den Sand. Eine Lebensstrategie, die böse enden kann.