Rituelle Waschungen gehören in vielen Religionen zu den wichtigen, oft gar heilige Handlungen. Im Islam erfolgen sie nach klaren Regeln vor dem Gebet, im Christentum wusch Jesus die Füsse seiner Jünger vor dem Abendmahl.
Meister darin sind aber die Hindus, für die die Waschung eine Reinigung im spirituellen oder religiösen Sinn ist. Wer in einen heiligen Fluss taucht, wird angeblich von Belastungen und Sünden befreit. Und Gläubige, die zum Beispiel nach dem Tod im Ganges gewaschen und anschliessend verbrannt werden, finden den direkten Weg ins Jenseits.
Welche Bedeutung die rituelle Waschung in Indien hat, demonstriert das Festival Kumbh Mela, das zurzeit in der nordindischen Stadt Allahabad stattfindet. In den nächsten Wochen werden rund 150 Millionen Gläubige erwartet. Es ist weltweit das grösste Massenereignis und für Hindus vergleichbar mit der Pilgerfahrt Haddsch von Moslems nach Mekka.
Speziell an diesem religiösen Fest ist, dass es auf astrologischen Grundlagen beruht. Die Gestirne bestimmen also, wann der Zeitpunkt für eine rituelle Waschung günstig und aus religiöser Sicht wertvoll ist.
Eine besondere Wirkung entfaltet das Ritual angeblich nur, wenn Jupiter, Mond und Sonne in einer bestimmten Konstellation sind. Es sind also nicht primär die Götter, die die Gläubigen spirituell reinigen, hauptsächlich verantwortlich sind die heiligen Flüsse und astrologische Bedingungen. Das ist eine Potenzierung des Aberglaubens.
Allahabad eignet sich speziell als Festivalgelände, weil in dieser Gegend die heiligen Flüsse Ganges, Yamuna und Saraswati zusammenfliessen. Die Hindus waschen sich nicht nur darin, sie trinken auch davon. Dabei kümmert es sie nicht, dass das Wasser schwer belastet ist, vor allem auch mit Schwermetall. Fachleute sprechen von einer Kloake. In der Schweiz würde wohl ein Badeverbot ausgesprochen.
Sadhus, also Bettelmönche, sagten mir bei einem Besuch vor ein paar Wochen, das Wasser sei nur biologisch nicht sauber, spirituell aber äusserst rein. In Varanasi, wo regelmässig Leichen versenkt werden, trinken sie fast ausschliesslich Flusswasser.
Das Festival in Allahabad findet auf einem Gelände statt, das sich über viele Quadratkilometer erstreckt, wie ein Augenschein zeigte. Eine Zahl dokumentiert das Ausmass. Die Organisatoren haben 122‘000 mobile Toiletten über die riesige Zeltstadt verteilt, die täglich geleert werden. Ausserdem wurden riesige Wassertanks in den Boden versenkt.
Auf dem Gelände haben viele religiöse Bewegungen und Hindusekten ihr Zentrum eingerichtet. Darunter finden sich radikale Gruppen, die die Bandbreite religiöser Strömungen aufzeigen.
Die Auffälligsten dürften die Aghori sein, die Furchtlosen. Sie provozieren die Gesellschaft und brechen mit Vorliebe Tabus der gröberen Art. Sie trinken gern Urin aus Totenköpfen. Ausserdem wird ihnen nachgesagt, sie würden auch mal Menschenfleisch essen, wenn sich die Gelegenheit ergebe. (In Indien sterben viele Namenlose in der Öffentlichkeit.)
Das ist möglicherweise eine Legende, doch die Aghori kultivieren den Mythos gern. Der Verzehr von Fäkalien gehört zur Abhärtung und gilt als Ritual. Ihren Körper reiben die Aghori gern mit der Asche von Kremierten ein.
Die Aghori wenden sich radikal von der Welt ab und leben asketisch. Drogen gehören allerdings zur Grundnahrung. Sie streiten ab, psychedelische Substanzen als Genussmittel zu konsumieren. Vielmehr würden diese die Konzentration bei der Meditation fördern.
Dass sich viele Menschen vor ihnen und ihren angeblich magischen Kräften fürchten, scheint ihnen gelegen zu kommen. Sie geniessen den Status der Gefürchteten und Wahnwitzigen.
Kumbh Mela ist ein buntes, lärmiges und fröhliches Festival, das die Vielfalt des Hinduismus dokumentiert. Es zeigt aber auch, wie Religion die Fantasie der Gläubigen unheilvoll anregen und aberwitzige Auswüchse produzieren kann.