Es tut weh. Das Bild von Liam*; wie die Speckröllchen über seinen aufgeblähten Bauch rugeln, währenddem er das Wasser in der nicht mal halb gefüllten Badewanne zu schlagen versucht. Seine Mutter, die das Bild auf Facebook geladen hat, hat sein «Schnäbeli» mit lasziv anmutendem Emoji verdeckt. Es ist einfach niedlich.
Auch der Insta-Post, der die einjährige Muriel* beim familiären Ausflug ins Fastfood-Restaurant zeigt, klaubt ein Wonnegefühl aus jeder noch so finsteren Magengrube heraus. Wie mit aller Not und Mühe diesen Burger, fast so gross wie ihr Kopf, packen will: 😍 😍 😍
Kinderbilder in den Social Media sind ein Herzchen-Hit. Sie sind lustig, süss und verleiten sogar manch bewusst kinderlosen Mingle zu «ah bububu»-Konversationen mit ihrem Smartphonebildschirmen. Doch was Erwachsenen zum Schreien komisch oder zum Schmelzen süss vorkommt, ist der Kinder bitteren Ernst.
Kinderrechtler*innen wollen diesem Ernst nun Achtung zollen. Wieso? Weil Kinder, sobald sie eigenständig denken können, nicht aus denselben Gründen lachen wie Erwachsene. Vielleicht mag Liam seine Badewannen-Nudes mal recht lustig finden. Doch vermutlich erst post-pubertär und erst nachdem seine Primarschulgschpöndli das Instagram-Profil seiner Mutter entdeckt und sein ehemaliges, medial festgehaltenes Waschprozedere zum Anlass eines Klassengelächters gemacht haben.
Beim Anblick des Instagram- und Facebook-Auftritts gewisser Generation-Y-People, die gerade ihre Genpools in einem neuen Menschen versammelt haben, schütteln so manche Medienethiker den Kopf: Ein Kinderlachen mutiert in letzter Zeit zum Synonym für digitalen Fame. Ohne Rücksicht und meistens auch ohne nachzudenken. Das Internet ist voll von Beispielen.
Etwa dieser Baumann-Bub hier, der gerade zu faul war, seine Hausaufgaben zu machen. «Ich will doch nur Bagger-Fahren!», protestiert der kleine Junge gegen seine Hausaufgaben und wurde prompt zum jüngsten viralen Hit der deutschsprachigen Social Media. Als Baggerfahrer müsse er doch nicht schreiben und lesen können, argumentiert der Knirps mit Kinderlogik. Das Video ist lustig und wurde von allen grossen Klick-Mich-Facebook-Seiten übernommen und vermarktet.
Erst am Schluss des Videos realisiert der Kleine, dass sein Vater komischerweise die ganze Zeit sein Handy auf ihn gerichtet hatte. Seine Meinung zum paternalen Voyeurismus bleibt im Off verborgen.
Was bei den amerikanischen Windel-YouTube-Stars Mila, 2 Jahre und Ava, 6 Jahre Off-Camera alles so abgeht, kann man nur vermuten. Klar ist, die beiden generieren gehörig Klicks, indem sie mit piepsiger Kleinkindstimme die Attitude einer angehenden und etwas sehr quirkyigen Kim Kardashian nachäffen.
Ava hat ihrer Mutter so zu 765'000 Instagram-Followern verholfen …
Bei Milas Mutter sind es inzwischen 3 Millionen!
Die beiden Mädchen haben zusammen also in etwa ein Publikum, das knapp der Grösse der Deutschschweiz entspricht. Ihr Entwicklungsstand und ihr affektiertes Gequassel – das, Hand auf's Herz, wohl oft aus mässig gut geschriebenen Skripts ihrer Mütter, die sich nun Manager nennen, entspringt – rollt also tagtäglich durch die Newsfeeds wildfremder Menschen rund um den Globus.
Sich mit den tapsigen Missgeschicken und der Affektierheit seiner Nachkommenschaft selbst medial zu profilieren sei für viele Eltern wichtiger, als die Intimität ihrer eigenen Kinder zu bewahren. Dies stellt das Deutsche Kinderhilfswerk jüngst in einer Medienmitteiliung fest und beruft sich dabei auf eine Studie des Forschungsinstituts Kantar Public.
34 Prozent der befragten Eltern sagen darin, dass sie ihre Kinder überhaupt nicht einbeziehen, wenn sie Bilder und Videos von ihnen auf Facebook und Instagram stellen oder via WhatsApp verbreiten. Immerhin behaupten 30 Prozent der Befragten, dass sie ihre Kinder darüber informieren, wenn sie Inhalte von ihnen ins Internet stellen, wobei 31 Prozent beteuern, ihre Brut ausdrücklich um Erlaubnis zu bitten, bevor sie posten.
Rein rechtlich gesehen ist dieses Mehrheitsverhalten verwerflich. Eltern sind verpflichtet, ihre Kinder darüber zu informieren, wenn sie ihre Bilder verwenden. Sobald Kinder 14 Jahre alt sind – davon geht auch das Schweizer Recht aus – ist die Urteilsfähigkeit soweit gegeben, dass das Kind bei jeder Form von visuellen und auditiven Inhalten um Erlaubnis gebeten werden muss.
Denn auch wenn man bei Bilderposts auf Facebook Urheber des Bildes bleibt, behält das Netzwerk gemäss seinen allgemeinen Geschäftsbedingungen volles Nutzungsrecht. Will heissen, dass Facebook unsere Bilder frei an Werbepartner weitergeben darf und die damit ihre Algorithmen frisch fröhlich frisieren dürfen.
Aber nicht nur Werbepartner verfügen über die digital festgehaltenen und Kinderalben auf sozialen Netzwerken. Solange ein Profil öffentlich gehalten wird, hat im Grunde jede und jeder freien Zugang auf das Bildmaterial, das beispielsweise den kleinen Liam füdliblutt in der Badewanne zeigt.
Die Facebook-Seite «Little Miss & Mister» machte Anfang dieses Jahres schon mal auf diesen Misstand aufmerksam. Sie kopierte Kinderbilder von öffentlichen Facebook- und Instagram-Seiten und bat die Urherber darum, die Bilder wenn, dann nur auf «für Freunde sichtbar» zu stellen.
Via Facebook will nun auch das Deutsche Kinderhilfswerk Sensibilisierungsarbeit leisten. Während drei Wochen werden einer ausgewählten Zielgruppe Schmollmünder mit verpixelten Augen gezeigt. Einmal niedlich im Giraffen-Kostüm, ein anderes Mal neckisch das Toilettenpapier vor der WC-Schüssel abrollend und ein drittes Mal dramatisch einen Teller Spaghetti verwüstend. Jeweils begleitet von einem Warnzusatz:
Auch Schweizer Kinderrechtler begrüssen das Vorgehen der Deutschen. Auf Anfrage von watson sagt Unicef-Mediensprecherin Charlotte Schweizer: «Kinder sollten in die Prozesse des Alltags einbezogen werden. Das gilt auch für das Aufnehmen von Bildern und das Aktivsein in sozialen Netzwerken. Partizipation steigert das Verantwortungsbewusstsein und kann das Kind zu einer eigenen Entscheidung bemächtigen.»
Vorschriften, so Schweizer, würden diesen Prozess verunmöglichen, aber die Haltung «oh, mein Kind ist süss, dass muss ich gleich dem Internet zeigen» zeuge auf jeden Fall nicht von einer wertschätzenden und gesunden Kind-Eltern-Beziehung.