Wer einen Klub besucht, begibt sich leider immer noch in Gefahr. Es wird enger getanzt, als man das gerne möchte, es fallen erniedrigende Sprüche oder man wird ohne zu fragen an Stellen berührt, an denen man in diesem Kontext nicht berührt werden will.
Fünf Personen erzählen von Übergriffen in Nachtclubs, die nicht passieren dürfen.
«Es war ein Samstagabend. Meine Freundin kam irgendwie an eine private Lounge in einem Klub in der Zürcher Innenstadt, in dem vor allem Schlipsträger aus der Banker-Welt verkehren. Also gingen wir zu fünft dahin. Am Tresen, beim Bestellen, der Blick dem Barpersonal zugewendet, begrabschte eine Männerhand mit festem Druck meinen Arsch. Ich drehte mich um, keine Ahnung wer es war, und verdrehte die Augen. Sowas ist normal, eine Bagatelle, ich bin abgestumpft. Später auf der Tanzfläche kam ich ins Gespräch mit einem Typen. Er war nett, wir hatten's lustig, wir tanzten, das war alles.
Als sich die Nacht dem Morgen zuwandte und unsere Frauengruppe sich auf mich und eine Freundin dezimierte, setzten wir uns mit einem letzten Absacker in die separierte Lounge. Der Typ von der Tanzfläche wollte sich mit einem Kumpel zu uns setzen. So weit so gut, Platz hatte es ja. Die beiden setzten sich rechts und links neben mich und meine Freundin. Sie kesselten uns ein. Beide legten ihre Arme um uns, drückten uns in die gepolsterte Bank und nahmen uns damit die Chance, aufzustehen.»
Der Typ neben mir legte seine freie Hand auf meinen Oberschenkel. Er rieb auf und ab, bis seine Finger beinahe mein Geschlechtsteil berührten. Ich konnte nicht aufstehen. Links von mir blockierte mich der Körper meiner Freundin, dem gerade das Geiche widerfuhr wie meinem. Rechts fesselten mich die starken Arme des Widerlings auf der Couch. Sein Mund war inzwischen an mein Ohr gewandert und hauchte Sätze wie ‹Du bist so hübsch. Was hast du heute noch vor? Ich will dich!› Ich war wie gelähmt und wusste nicht, an wen ich mich wenden kann.
«Es war so: Ich tanze ausgelassen. Ein Typ tritt von hinten an mich heran. Ich habe noch nicht einmal sein Gesicht gesehen und da hat er mir in einer Bewegung seinen Halbsteifen an den Arsch gedrückt. Mit seinen Händen langt er mir unters Top und versucht, sie unter meinen BH zu schieben. Ich kenne das. Dieses Gefühl. Und ich kenn' da auch kein Pardon mehr. Ich hab' mich losgerissen, während des Umdrehens aufgezogen und ihm mit der Faust eine verpasst. Ich habe ihm die Nase gebrochen. Er hat dann geheult und ich war die blöde Schlampe. Der Security, den er holte um mich rauszuschmeissen, hat zum Glück geschnallt, was abging, und ihn dann rausgeworfen.»
«In der Gesellschaft werde ich als Mann wahrgenommen. So identifiziere ich mich selber zwar nicht, aber damit kann ich gut umgehen. An LGBT-Parys fühle ich mich deshalb sehr wohl, kann mich verhalten, wie ich will und anziehen, worauf ich gerade Bock habe. Zum Beispiel einen Rock.
Als ich einmal an so einer Party, bekleidet mit schwarzen Strumpfhosen und einem kurzen Rock, ausgelassen am Tanzen war, kam ein Typ auf mich zu. Er sagte, er bewundere mich, wie stolz und anders ich doch sei. Er bot mir ein Getränk an und ich stimmte zu. An der Bar sass er breitbeinig auf einen Hocker. Ich stand daneben. Er machte nicht den Anschein, als wollte er dem Barpersonal ein Signal geben, um eine Bestellung aufzugeben. Viel mehr war er daran interessiert, was ich ihm anzubieten habe. Er griff an mein Oberteil, zog mich an sich, legte eine Hand auf meinen Hintern und fragte mich, ob ich für etwas ‹Spass› mit ihm bereit wäre. Ich will mich aus seinem Griff lösen und höflich ablehnen.
Der Typ verhinderte mein Davonkommen, indem er mich in den Schwitzkasten nahm. Er fasste mir in den Schritt, griff nach meinen Genitalien und fragte, als wolle er sich noch einmal versichern, ob ich wirklich nicht ein bisschen ‹Spass› haben wolle. Gewaltbereit riss ich mich aus dieser Position. Niemand schritt ein. Sowas passierte mir noch nie, als ich Hosen an hatte. Ich bin mir sicher, dass solche Übergriffe mit der gesellschaftlichen Sicht auf Weiblichkeit zu tun haben.»
«Ich besuche ständig Clubs. Beinahe jedes Wochenende und ich kann mich spontan an keinen Abend erinnern, an dem ich NICHT dumm angemacht wurde. Wer will solchen Scheiss hören wie: ‹Was du willst, wartet bei mir zu Hause auf dich.› Als ich kürzlich in einem Klub die Treppe hinaufging, hat mir von hinten ein Typ unter den Rock gegriffen. Einfach so. Ich habe reflexartig nach hinten getreten. Ich weiss nicht, ob ich den Richtigen erwischt habe, es war in dem Moment auch scheissegal. Ich kann mich wehren. Aber ich bin es satt, das tun zu müssen. Andere Frauen können und wollen nicht so vorgehen wie ich.»
«Ich tanzte mit einem Typen. Ich habe ihn aufgerissen, ich wollte es. Denn das war früher eine Art Hobby von mir. Wir tanzten sehr eng aneinander. Von aussen hätte man denken können, wir seien ein Paar und unsere Innigkeit das Resultat einer lange währenden Liebe. Aber es war nur ein heisser Flirt, was für uns beide total in Ordnung war. Dann aber kam ein anderer Typ in unsere Nähe. Er hatte wohl auch Bock auf das Eine, das ich schon mit dem anderen Typ hatte. Ohne ein Wort mit mir zu wechseln, schmiegte er sich an mich heran.
Und dann war ich plötzlich in einem nach Moschus duftenden Testosteron-Sandwich gefangen: Hinter mir der Typ, mit dem ich eigentlich tanzte, vor mir einer, der aus dem Nichts kam und mir einfach den Hals küsste, beziehungsweise den Hals anknabberte und dabei auf eklige Art und Weise knurrte. Es war schmerzhaft und daneben. Aber ich war zu verwirrt, um zu reagieren. Auch der Typ hinter mir hat nichts unternommen. Der ekelhafteste und schamvollste Knutschfleck, den ich je hatte.»
Die Geschichten sind ergreifend, aber lassen sie uns nicht trotzdem irgendwie kalt? Sind wir nicht ob ihrem ständigen Rauschen bereits total abgestumpft? Hören wir nicht schon zum x-ten Mal von der Freundesfreundin, der im Nachtklub in den Schritt gefasst wurde, von zwei gesichtslosen Händen, die von hinten ihre Hüfte umschlungen haben, oder gegen deren Hintern sich im Halbdunkeln ein sich anbahnender Ständer drückte?
Auch wenn wir uns dieses Missstandes bewusst sind, bleibt die Frage, was wir dagegen tun. Wie machen wir das Nachtleben sicherer und uns selber aufmerksamer, um Missbräuchen wie den geschilderten vorzubeugen?
Alexander Bücheli, Mediensprecher der Bar & Club Kommission Zürich (BCK), plädiert dafür, dass man sich in solchen Situationen beim Barpersonal oder bei den Securitys melden soll. Da nicht alle explizit auf die Thematik sensibilisiert sind, bietet die BCK ab Herbst Workshops zu dieser Thematik an.
Dass es auch dann immer noch eine grosse Hemmschwelle zwischen den Opfern und den mutmasslichen Helfern gibt, sieht Bücheli zwar ein, diese Diskrepanz sei für ihn jedoch fehl am Platz. Gegenüber watson sagt er:
Diese Hemmschwelle sei in den Zürcher Klubs des Kaufleuten keine Barriere, sagt Corina Freudiger, Pressesprecherin des Kaufleuten. Bei ihnen werde zum einen das Sicherheitspersonal darauf geschult, solchen Vorfällen vorzubeugen. Zum anderen werde darauf geachtet, dass das Personal jeweils auch durch Frauen besetzt sei.
Die Hemmschwelle liege viel tiefer, einer Frau von einem Übergriff zu erzählen, sei er sexueller oder anderer Art, als sich einem Securitas anzuvertrauen. «Zudem sind Frauen meist viel aufmerksamer, was das Aufspüren solcher Übergriffe anbelangt. Deshalb sind zum Teil auch Frauen, die bei uns im Service arbeiten, mit einem Funkgerät ausgerüstet.»
Claudette Chang findet, dass das Bewusstsein und die gegenseitige Sorgfalt nicht nur auf institutioneller, sondern auch auf gesellschaftlicher und individueller Ebene gesteigert werden muss. Für ein Festival, das diesen Sommer stattfinden wird, rekrutiert sie im Vorfeld ein sogenanntes «Awareness-Team».
Menschen, die Teil dieser Gruppe sind, werden am Festival eine vermittelnde Rolle einnehmen. Ihr Aufgabe ist es, die Räume der Veranstaltung «safer» und «braver» zu machen. Das bedeutet, dass in Situationen, in denen sexistische, rassistische, homo- oder transphobe Vorfälle ins Spiel kommen, der Mut aufgebracht werden soll, gegen diese einzugreifen.
In den Workshops, die im Vorfeld gehalten werden, wird deshalb viel über gesellschaftliche Privilegien und die damit verbundene Verantwortung gesprochen. Das Ziel, sagt Chang, sei es, dass dieses Bewusstsein nach aussen getragen werde, sodass ein «Awareness-Team» langfristig überflüssig werde. In einer solchen Utopie wäre die Gesellschaft derart sensibilisiert, dass solche Vorfälle gar nicht mehr vorkommen.
In Deutschland hat die Frauenberatungsstelle Frauennotruf Münster letzten Dezember das Codewort «Luisa» ins Leben gerufen. Das Konzept funktioniert folgendermassen: Fühlt sich jemand unangenehm belästigt oder hat sonst ein Problem, mit dem er oder sie nicht alleine zurechtkommt, kann an der Bar die diskrete Frage «Ist Luisa hier?» gestellt werden. Die betroffene Person wird dann an einen ruhigen Ort begleitet, wo ihr das Personal zum Beispiel ein Taxi rufen, Freunde kontaktieren oder nach anderen Lösungen suchen kann.
Mittlerweile wurde das Codewort auch in anderen deutschen Städten umgesetzt. Damit Opfer von sexueller Belästigung das Angebot wahrnehmen, werden in den Clubs, meistens auf der Toilette, Flyer aufgelegt. Auf diesen wird das Konzept erläutert. Auch beim BCK ist man von der Idee angetan. Sie können sich vorstellen, dass sich Luisa auch im Schweizer Nachtleben etablieren könnte.