Ich schau recht viel Netflix. HBO. Amazon Prime. Filme, klassisch im Kino. Ich versuche, bei meiner Auswahl kein Snob zu sein. Die Filmemacher kriegen mich genauso mit Cashcows wie «Fantastic Beasts and Where To Find Them» und «Embrace» wie auch mit dem neuen Projekt von Charlotte Gainsbourg.
Sie kriegen mich mit der Neuauflage von «Dynasty» und sie bekommen mich mit dem BBC-Drama «Doctor Foster». Letztens war ich sogar bereit, mir «Anon» anzusehen, weil mein Freund an den Filmeffekten beteiligt war. Hauptsache, ich werde unterhalten.
... haben die drei Projekte nichts gemeinsam. «Dynastie» ist eine wahnsinnig schlecht gescriptete Soap-Opera, die mich fesselt wie einst «Desperate Housewives» und in der jeder mit jedem bumst oder verwandt ist. «Doctor Foster» – geschrieben von Autor Mike Bartlett und tatsächlich angelehnt an die griechische Tragödie «Medea» – handelt von einer Frau und Mutter, die betrogen wird und sich daraufhin in eine paranoide Vermutung nach der anderen verrennt. Und «Anon» handelt von ... ja, was eigentlich, war der dystopische Sci-Fi-Film doch so langweilig, dass ich mir lieber fünfmal hintereinander «Matrix» reingezogen hätte, als bis zum Ende dranzubleiben.
Plot-Kurzfassung: Ein geschiedener Detektiv Mitte 40 ist auf der Suche nach Anon, einem professionellem Hacker, dessen Bewusstsein mysteriöserweise nicht automatisch in einen cloud-ähnlichen Ether geladen wird wie von allen anderen Erdbewohnern, und inszeniert sich letztlich selbst als Köder, um die geheimnisvolle Person – «eine mysteriöse junge Frau» – zu catchen.
... vögeln in allen drei Werken schon wieder alte Kerle mit halb so alten Frauen, ohne, dass dieser Fakt irgendwem negativ aufgefallen wär.
In «Dynastie» heiratet der faltige +-55-jährige Blake Carrington seine model'eske PR-Managerin Cristal, die rein alterstechnisch auch seine Tochter sein könnte und von ebendieser tagein, tagaus dafür gemobbt wird.
«Doctor Fosters» Ehemann betrügt seine 38-jährige Ärztin-Ehefrau mit einer 21-jährigen Kellnerin und – als ob das nicht schon reichen würde – schwängert diese nebenbei, ohne, dass er einmal in zwei Jahren den Mumm gehabt hätte, seiner Ehefrau selbst etwas davon zu erzählen.
Und der geschiedene Detektiv aus «Anon» schafft es schliesslich auch wieder, seinen deutlich jüngeren und schlaueren Counterpart ins Bett zu kriegen: die von der 31-jährigen Amanda Seyfried gespielte Hackerin.
Wir leben im Jahr 2018 – und ich habe langsam keine Lust mehr, mir die vergangenheitsgetränkten Sexfantasien von Drehbuchautoren wie beispielsweise Andrew Niccol («Anon») zu geben, die die Menschheit schon viel zu lange mit falschen Vorstellungen der Wirklichkeit infiltrieren.
Oder, anders gesagt: Wieso kenne ich in meinem gesamten Umfeld – von Wien bis Berlin nach Zürich – nicht eine einzige u30-Frau, die lieber mit dem 50-jährigen Abteilungsleiter vögeln würde als mit ihrem gleichaltrigen, hotten Kollegen? Wieso haben alle meine Bekannten ungefähr gleichaltrige Partnerinnen und Partner? Und ich rede dabei durchaus von Altersunterschieden von bis zu zwölf Jahren. Sie 25, er 35 – ja, das gibt es. Er 28, sie 40. Auch das ist nicht ungewöhnlich. Aber ganz ehrlich:
Die Frau, für die Doctor Fosters Ehemann seine langjährige Partnerin verlässt, ist 21. Einundfuckingzwanzig.
Welche reiche, 21-jährige Frau bei Verstand würde sich einen 40+ Mann mit Kind anlachen, der noch dazu verheiratet ist, wo so viele ledige gleichaltrige Konkurrenten existieren?
Und selbst wenn: Lieben wie diese mögen in der Realität zwar vereinzelt vorkommen. Aber bei Weitem nicht so oft und nicht so selbstverständlich, wie ich das schon in Serien erlebt habe, wohingegen genderverkehrte Fälle von älteren Frauen, die 21-jährige Kerle lieben, quasi non-existent sind. Also, abseits von Melissa Broders neuem Roman.
In Mainstream-Serien, da scheint es das natürlichste der Welt, dass sich schöne Twenty-Somethings zu habgierigen, distanzierten A-löchern hingezogen fühlen, die ...
... oder d) gleich alles zusammen sind, während jede Frau ihrer Freundin in der Realität von solchen romantischen Vorhaben abraten würde.
Feministischen Bestrebungen und Selbstwert sei Dank. Auch in «Dynastie» ist die junge Cristal viel Kritik ausgesetzt. Ihr wird vorgeworfen, sie sei nur auf Blakes Geld aus, während er natürlich nach wie vor sein Imperium regiert und von den meisten respektiert und gefürchtet wird. Na, gratuliere!
Warum ich den Scheiss trotzdem schau? Aus denselben Gründen, warum ich mich nicht ausschliesslich von Bioprodukten ernähre: es ist kostspielig, rechercheintensiv und die Auswahl an qualitativ hochwertigen Alternativen begrenzt.
Sobald ich eine queere Indie-Serie («Please like me» <3) durchgesüchtelt habe, sind gefühlt drei neue Trash-Hydras mit weniger nuancierten Charakteren und Beziehungsgefügen erschienen. Und leider, manchmal schmecken sie mir trotzdem besser als zuckerfreie Schokoriegel, obwohl ich die Produktionsbedingungen kenne. Trash hat auch seine Berechtigung.
Nur, weil ich Serien und Filme kritisch konsumiere, heisst das nicht, dass es andere auch tun. Da sind immer noch zu viele junge Frauen und Burschen da draussen, die 10 Jahre nach meiner eigenen Jugend mit seltsamen Serien-Paarkonstellationen auf dem Bildschirm aufwachsen, obwohl wir längst in einer anderen Zeit leben. Dachte ich zumindest.
Ich finde:
Wenn schon Scheisse gebaut wird, vor den Augen Hunderter, dann macht doch bitte das Beste draus, liebe Drehbuchautoren, und verfallt nicht vor lauter brancheninternem Desinteresse in jahrhundertealte Klischees, die auf der Couch nur noch für müde Gähner sorgen. Über Trash lässt sich streiten. Über Cliffhanger, Intrigen und schlechte Explosionen. Aber nicht über Sexismus des Sexismus Willen, der nirgendwo hinführt, der keinen Zweck hat – anders als in «Mad Men».
Zum Glück gibt es immer mehr Serien, die bewusst auf Klischees verzichten oder diese zumindest reduzieren («Nola Darling», «The OA», «Good Girls», «Love») und sie erfreuen sich trotzdem – Überraschung, Überraschung – einer so grossen Beliebtheit, dass die Trope «Alter Mann vögelt junge Frau» an anderen Stellen beinahe unbeachtet sein Unwesen treiben muss. Die Frage ist: wie lange noch?
Die Auswahl auf Netflix lässt vermuten, dass Rezipientinnen keinen Bock mehr auf verstaubte Narrative haben – und Produzenten langsam aber stetig anfangen, ausgelutschte Genres neu zu interpretieren. So zum Beispiel Reese Witherspoon, unter deren Produktionsfirma Pacific Standard schon Filme wie «Gone Girl», «Wild» und die HBO Dramaserie «Big Little Lies» produziert wurden.
Also, los geht’s an die Drehbuchkorrekturen. Produziert Romance, produziert Trash, produziert Comedy. Aber bitte ohne, dass sich 50 Prozent der Zuseher dabei ekeln müssen.