Mehr als 108'000 Kinder in der Schweiz sind von Armut betroffen, 615'000 Personen waren es 2016 insgesamt. Das lässt auch den Bundesrat nicht kalt. Er beurteilte den Problemdruck im April noch als «hoch». Damals bekräftigte er, sein Engagement fortführen zu wollen. Denn Ende Jahr läuft das Nationale Programm gegen Armut aus. Nächste Woche wird Bilanz gezogen.
Mit diesem Bekenntnis des Bundesrats will sich das Hilfswerk Caritas nun aber nicht zufriedengeben. Direktor Hugo Fasel hält es für «beschämend», dass der Bund sich künftig noch mit 500'000 Franken an der Armutsbekämpfung beteiligen will, zumal der im April veröffentlichte Bericht klare Handlungsfelder aufzeigt. «Trotzdem verabschiedet er sich aus der Armutspolitik», kritisiert Fasel. Das habe mit einer verfehlten Einstellung zu tun: «Der Bundesrat reduziert die Armutsfrage auf die Sozialhilfe.» Viel wichtiger sei es, die Armut zu verhindern, diese also präventiv anzugehen. Doch genau da fehle es an einer Verbindlichkeit des Bundes: Er überlässt diese Aufgabe weiterhin Kantonen und Gemeinden.
Natürlich lässt sich dagegenhalten, dass Armutsbekämpfung auf verschiedenen Ebenen stattfindet: Über Arbeitslosenversicherung oder die AHV sowie über Massnahmen zur Weiterbildung und Integration, für die der Bund viel Geld aufwirft. Caritas verlangt von ihm nun aber, in der präventiven Armutsbekämpfung eine «Leaderrolle» zu übernehmen.
Denn die Differenzen zwischen den Kantonen sind gross – nicht nur bei der Höhe der Sozialhilfe oder der Prämienverbilligung. Caritas nennt fünf Bereiche mit dringendem Handlungsbedarf. Dazu gehört neben einer Garantie zur Existenzsicherung und verbindlichen Zielen zur Reduktion der Armut vor allem die Verhinderung von Familienarmut. Denn Kinder gelten als grosses Armutsrisiko: Familien mit drei und mehr Kindern sowie Alleinerziehende sind überdurchschnittlich von Armut betroffen. Geht es nach Caritas, soll deshalb der Bundesrat dafür sorgen, dass alle Kantone Massnahmen umsetzen.
Ab wann gilt man in der Schweiz eigentlich als arm?
Video: srf
Zum Beispiel Tessin
Wie das funktionieren könnte, zeigt das Tessin. Eher unerwartet übernimmt der Kanton in der Armutsprävention eine Vorbildfunktion:
Bildung: Seit bald 90 Jahren bietet das Tessin einen freiwilligen Kindergarten für Kinder ab drei Jahren an, der um 8.30 Uhr beginnt und um 15.45 Uhr endet. Die Kinder essen am Mittag zusammen. Das ermöglicht den Eltern eine kostenlose Betreuung der Kinder durch geschultes Personal. Der Kindergarten bietet zudem eine frühe Förderung aller Kinder. Profitieren können vor allem jene, die aus bildungsfernen und sozial benachteiligten Familien kommen. Studien zeigen, dass diese Kinder in der Schule daraufhin besser abschneiden. Das ist nachhaltig. Denn die Wissenschaft geht davon aus, dass sich dadurch das Risiko verringert, Armut an die nächste Generation weiterzuvererben.
Ergänzungsleistungen für Familien: Als erster Kanton hat das Tessin 1997 Ergänzungsleistungen für Familien eingeführt. Über 3000 Familien werden unterstützt, wodurch das Armutsrisiko von Kindern laut Caritas wesentlich sank. Ergänzungsleistungen haben einen wesentlichen Vorteil gegenüber der Sozialhilfe: Sie müssen nicht zurückbezahlt werden. Die Familien verschulden sich dadurch nicht und haben so die Chance, sich aus der Armut zu lösen.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Während Zürich mit Pilotprojekten experimentiert, ist die Tagesschule im Tessin seit Jahrzehnten bereits weit verbreitet. Nicht nur die erwähnten Kindergärten bieten Mittagstische an, auch die meisten Primar- und Sekundarschulen. Die Schulen betreuen Kinder auch nach dem Unterricht. Für viele berufstätige Eltern ist die Kinderbetreuung ein wichtiger Faktor im Haushaltsbudget. Wenn diese nicht nur reibungslos gelingt, sondern auch noch kostenlos angeboten wird, wirkt sie effizient der Kinderarmut entgegen. (aargauerzeitung.ch)
(vom)
Haben die Milliardär-Bosse ein schlechtes Gewissen?
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Die beliebtesten Kommentare
Blitzesammler
28.08.2018 06:51registriert Mai 2015
Ich finde es immer wieder beschämend, dass in einem Land in dem fast täglich zu hören ist das viele unserer Firmen hunderte Milionen Reingewinn erziehlen, es solche Familien aber auch Einzelpersonen gibt, die sich kaum ernähren können. eine Schande so was!
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