Die Bibel behauptet, Gott wirke in die Welt. Jahrhunderte lang zweifelte kaum ein Gläubiger diesen zentralen Aspekt der christlichen Heilslehre an. Doch seit uns die Medien aktuelle Nachrichten aus der ganzen Welt frei Haus liefern, glauben aufgeschlossene und aufgeklärte Christen nicht mehr so recht an dieses Dogma.
Angesichts der täglichen Horrormeldungen – aktuell zu den Waldbränden in Griechenland – glauben sie, Gott glänze vornehm durch Abwesenheit.
Fromme Christen lassen sich aber nicht beirren. Für sie sind Katastrophen und Krankheiten von Menschen verursacht. Oder eine Strafe Gottes. Womit gleichsam bewiesen wäre, dass Gott über uns wacht, in der Welt agiert und Gläubige beschützt.
Da sie die Bibel als von Gott inspiriert betrachten, ziehen sie besonders gern den Heiligen Geist als Beweis heran. Denn dieser tritt an vielen Stellen als Mittler zwischen Gott und den Menschen auf. Was die schwer fassbare Gestalt oder Figur des Heiligen Geistes im göttlichen Triumvirat zu suchen hat, bleibt unvoreingenommenen Beobachtern ein Rätsel. Nicht aber den strenggläubigen Christen. Für sie ist der Heilige Geist die göttliche Instanz, die für die Geistesgaben zuständig ist.
Geistesgaben? Was ist denn das schon wieder, werden sich viele fragen. Wer so reagiert, kennt sich bei den traditionalistischen Katholiken und Freikirchen nicht aus. Für sie sind die Geistesgaben ein zentraler Aspekt des Glaubens und der Kern der religiösen Hoffnung.
Und diese Geistesgaben haben es in sich. Der Theologe und ehemalige Jesuit Dr. Ignaz Reisenbichler erklärt: «Die Geistesgaben sind die Kraft Gottes, die in und durch Menschen wirksam wird.» In 1 Korinther 12; 8-10 sind alle neun Geistesgaben aufgezählt, die der Heilige Geist den Gläubigen angedeihen lassen kann. Dies sind unter anderem die Gabe zu heilen, Wunder zu bewirken, Prophezeiungen zu machen (prophetische Rede), in Zungen zu reden und die Gabe, das durch den Heiligen Geist vermittelte Gebrabbel auszulegen.
Wie das funktioniert, erklärt Reisenbichler so: «Wir Menschen besitzen die Gaben nicht, sondern der Heilige Geist. Und er verteilt sie, wie er will, auch an uns alle. Jeder von uns hat spirituelles Potenzial in sich schlummern. Es bleibt oft ungenutzt, weil wir gar nicht darum wissen. Der Heilige Geist verteilt diese Gaben zum Nutzen aller, wie er will.»
1 Korinther 12; 6,7 und 11 sagt das ganz deutlich: «Und es sind verschiedene Kräfte, aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allem.» Reisenbichler empfiehlt, den Heiligen Geist immer wieder um seine Gaben zu bitten und sie zu nutzen.
Die Geistesgaben sind wahre Wunderkräfte. Reisenbichler sagt zum Beispiel, die Gabe der Erkenntnis bewirke «ein Teilhaben an Gottes Verstand als Erkenntnis in einer konkreten Angelegenheit» und beziehe sich auf Gegenwart und Vergangenheit. Die Zungenrede dient laut Reisenbichler der persönlichen spirituellen Entwicklung und ist «geistlicher Austausch in Form eines unmittelbaren Gespräches mit Gott».
Die Auslegung erfordere aber eine hohe spirituelle Sensibilität des Versammlungsleiters. In der Regel also des Pastors. Er dürfe aber keine geistliche Autorität oder Vertrautheit mit Gott vortäuschen.
Zur prophetischen Rede sagt Reisenbichler, dass Paulus in Korinth die prophetisch Redenden bremsen musste, «weil sich jeder als Geistbegabter hervortun wollte». Dieser Missbrauch bestehe allerdings auch heute noch.
Bei der Gabe des Wunderwirkens greife der Heilige Geist mit übernatürlicher göttlicher Power unmittelbar ein und führe sofortige Lösung eines Problems oder Gesundung herbei. Wörtlich sagt Reisenbilchler: «Bei der Gabe der Wunderwirkung verschwindet zum Beispiel ein körperliches Gebrechen sofort und die Person gewinnt augenblicklich die Gesundheit wieder. Ähnliches gilt für psychische und geistige Defizite. Diese Gabe teilt der Heilige Geist nur wenigen Menschen zu.»
Wunder über Wunder also. Doch wo sind die Gläubigen mit der prophetischen Geistesgabe? Welche Vorhersagen konnten sie dokumentieren? Und was ist mit den Tausenden von Propheten, die mit Hilfe des Heiligen Geistes die Apokalypse prognostiziert und datiert haben? Die Hunderttausende in Angst und Schrecken versetzten? Und die samt und sonders eine prophetische Pleite erlebten?
Wo sind die Zehntausenden von Gläubigen, die angeblich mit der Gabe des Heilens und Wunderwirkens gesegnet worden sind? Wo sind ihre Geheilten?
Der Hokuspokus mit den Geistesgaben dokumentiert in erster Linie, was Illusion und Suggestion in verblendeten radikalen Glaubensgemeinschaften anrichten können.