Es bedarf beinahe perverser Schamlosigkeit, Gebrauch von den auf dem Festivalgelände befindlichen Nasszellen zu machen. Während der soziale Stellenwert von Hygiene im helvetischen Alltag kaum hoch genug eingeschätzt werden kann, gilt für das Leben im ekstatischen Kosmos musikalischer Übersteigerung eher das Gegenteil. Aus folgenden Gründen:
Diese penetranten Kopfschmerzen, die an ein Heinzelmännchen mit Presslufthammer unterhalb der Schädeldecke erinnern lassen? Dieser Herzschlag, der sich am Takt eines tibetanischen Freejazz-Impro-Quartetts orientiert? Diese latente Übelkeit, die unweigerlich eine bildliche Assoziation zu einem langsam vor sich hingärenden Kompost hervorruft? Normal, mein Freund. Alles gut. Denn der kathartische Abbau sozialen Weltschmerzes kostet seinen Preis. Und die Zeit heilt alle Wunden (siehe 7. Gesetz)!
Gleich geht's weiter mit den ungeschriebenen Gesetzen, vorher ein kurzer Hinweis:
Und nun zurück zur Story ...
Manchmal habe ich auch keine Lust auf die Nase zu fallen. Aber dann findet das Gesetz der Gravitation trocken: «Na und?». Ähnlich verhält sich das Gesetz der Realität, wenn es um die Konvergenz zwischen akribischer Planung und effektiver Durchführung geht.
Du willst Band XY unbedingt sehen? Rate mal, wer dann gerade mit neuen besten Freunden unterwegs ist und die Zeit vergisst. Oder im Zelt seinen Kater kuriert. Oder sich plötzlich beim Lauschen einer unbekannten anderen Band ertappt. Spoiler: Du.
ABER: Trostpflaster! Diese Ach-so-tollen-die-muss-ich-unbedingt-sehen-Bands sind meistens gar nicht das Highlight. Stattdessen wirst du, so lautet das Gesetz, eine unbekanntere Band sehen, die dich umhaut. Dann wirst du nach deren Durchbruch allen Freunden und Bekannten erzählen können: «Die hab ich am Festival XY gesehen, als sie noch niemand gekannt hat. Imfall.»
Beglückt man das Festivalgelände auch nachts mit seiner Anwesenheit, so wird man nicht nur unmittelbarer Zeuge des nächtlichen Balzverhaltens, sondern erlebt ebenfalls (für weiche Stadtmenschen) verstörende klimatische Phänomene.
In Kombination mit allfälligem Alkoholkonsum und gepeinigt von einem sich anbahnenden Tinnitus sinkt die Temperatur in der Nacht gefühlt gut und gerne mal unter den Gefrierpunkt, ehe sie sich pünktlich zum Sonnenaufgang in der Region des Siedepunkts befindet.
Da mittlerweile urban-hipstriger Slow-Food und fancy-pantsy Fusion-Streetfood den in seiner Plumpheit wunderbar authentischen Fastfood abgelöst und sich diese neu vorherrschende Form der Kulinaristik praktischerweise als teurere Variante erfunden hat, erweist es sich als lohnenswert, sich im Vorfeld über Privatinsolvenz zu informieren.
Denn Vertreter dieser neo-noblen Gastro-Gilde werden von Festivals angezogen, wie ein Pop-Up-Street-Café Schnäuze anzieht. Wieso das so ist? Weil man sich im Kollektiv darauf einigt, sich ja sonst nichts zu gönnen. Darum: Gönn dir!
Ja, es schmerzt, jemanden ziehen zu lassen, im Wissen darum, diese geschätzte, ja geliebte Person eine unbestimmte Zeit nicht mehr zu sehen. Das Festival bietet diesbezüglich ein ideales Lernfeld. Denn wie es das Gesetz will, wirst du alle deine Freunde immer verlieren. Ob «kurz aufs WC» oder «noch rasch ein Bier holen» – es wird das Letzte gewesen sein, was du von dieser Person gehört hast. Für eine gewisse Zeit.
Nachdem einem knapp bewusst geworden ist, wie wenig es braucht, um glückliche Tage zu verbringen – überteuertes Essen, mangelnde Hygiene, kritische Wohnumstände, aber vermutlich trotzdem etwas, das in bester Erinnerung bleibt – setzt die Phase der Rekonvaleszenz ein. Diese bemisst sich primär an der Anzahl absolvierter Tage. Sekundäre Faktoren bilden das Alter, die Trinkfestigkeit, die Vorbereitung und das Umfeld.