Zum vierten Mal nach 2008, 2013 und 2014 ist Cristiano Ronaldo zum besten Fussballer des Kalenderjahres gewählt worden. Und so viele Fans wie jetzt haben ihm diese Auszeichnung wohl noch nie gegönnt.
Klar, fussballerisch überzeugt CR7 seit einem Jahrzehnt. Seine Trefferquote alleine spricht Bände. Doch immer haftete da ein Makel an. Mit «zu viel Ego, zu viel Show, zu viele Eitelkeiten» beschrieb ich mein Bild des Portugiesen vor der EM 2016 in Frankreich.
Denn was der Ausnahmekönner jahrelang noch treffsicherer platzierte als den Fussball, waren die selbstverliebten Aussagen. Beispiele?
Und natürlich war da auch immer das Duell mit Lionel Messi. Der Gaucho bietet mehr Kunst, weniger Kraft. Er ist fraglos der elegantere Fussballer. Ronaldo nervten die Vergleiche schon immer, gerne stichelte er auch in Richtung seines Rivalen. So wie im Frühling 2011, als Messi im CL-Halbfinal gegen – ein ab der 61. Minute dezimiertes — Real Madrid in der Schlussphase beide Tore zum 2:0 erzielte:
Oder natürlich sein wohl legendärster Spruch im September 2011 nach dem 1:0-Erfolg in der Königsklasse gegen Dinamo Zagreb, als er gefragt wurde, warum ihn die Fans seiner Meinung nach auspfeifen:
Immer schien es, als würde Ronaldo alles tun, um endlich beliebt zu sein. Als ob er dachte, er könne mit vielen Toren die Liebe der Fans gewinnen. So wie Eltern, die glauben, wenn sie den Kindern alle Wünsche erfüllen, würden diese sie noch mehr lieben.
Getrieben war Ronaldo. Getrieben von der Sucht nach Ruhm, nach Erfolgen, nach Toren. Nicht das Team stand im Vordergrund. Sondern vor allem er. Ein Sieg war nur gut, wenn er auch getroffen hatte; der Meistertitel einzig, wenn er auch Torschützenkönig wurde. Den inneren Frieden schien er rastlos zu suchen, aber nie zu finden.
Dann kam die EM 2016.
Ronaldo litt gegen Island. Ronaldo verzweifelte gegen Österreich. Ronaldo wurde belächelt. Ronaldo hätte zum tragischen Held werden können. Doch Ronaldo liess sich nicht beirren.
Erst führte er die Portugiesen mit einem Kopfball für die Ewigkeit in den Final. Dort «coachte» er sie von der Seitenlinie zum EM-Titel. Vermutlich hatte es bei ihm kurz danach Klick gemacht. Vermutlich in dem Moment, als er einige Minuten nach dem Triumph in der Kabine folgende Worte an seine Teamkollegen richtete:
Ronaldo dankte dem Trainer, er dankte den Mitspielern und dankte dem Staff. Und am Ende sagte er das, was man sich nie hätte vorstellen können, würde es den Beweis nicht geben: «Das war die Trophäe, die in meiner Karriere fehlte. Dank euch habe ich sie gewonnen.»
Der grösste Ego-Drache des Fussballs bedankte sich nach seinem grössten Triumph bei den Mitspielern. Es schien, als würde eine unglaubliche Last von seinen breiten Schultern fallen.
Ronaldo – so scheint es – muss jetzt nichts mehr beweisen. Beispiele?
Früher hätte sich Ronaldo nicht auswechseln lassen. Sicher nicht ohne Nebentöne. In dieser Saison liess ihn Trainer Zinédine Zidane schon dreimal auf der Bank und wechselte ihn dreimal aus. Ronaldo akzeptierte. Ohne Murren.
Ein weiteres Beispiel:
Im Cupspiel gegen Sevilla vor wenigen Tagen wurde er von Kameras eingefangen, wie er im Spielertunnel seinen Mitspielern zum Sieg und James Rodriguez zu seinen zwei Treffern gratulierte.
Erstmals seit über zehn Jahren weist der Portugiese in einem Wettbewerb zudem die höhere Anzahl Assists als Tore aus (Champions League: 2 Tore, 4 Assists). Die Annahme, dass Ronaldo seit dem EM-Titel mehr Pässe spielt als zuvor, stimmt zwar nicht. Statistisch liegt er da mit rund 30 pro Partie knapp hinter dem Schnitt der vorherigen Saisons. Aber vielleicht wirkt Ronaldo seit der EM einfach sympathischer oder reifer und wird darum positiver bewertet.
Für seine Aussage mit dem Neid der gegnerischen Fans nach der Partie gegen Dinamo Zagreb entschuldigte er sich übrigens bereits 2014: «Das war ein Fehler. [...] Ich bin nicht perfekt. Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut, wie jeder. Ich weine, habe meine Probleme.»
Dass Ronaldo nicht perfekt ist, wurde der breiten Öffentlichkeit an der EM in der Vorrunde deutlich vor Augen geführt. Dass er ein Mensch aus Fleisch und Blut ist, spätestens nach oben erwähnter Kabinen-Ansprache. Es scheint fast, als ob Ronaldo mit dem EM-Titel seinen Frieden gefunden hätte.
Der Ballon D'Or ist die Krönung seines Märchensommers. Alles, was wir jetzt noch vom fast 32-Jährigen erleben dürfen, ist Zugabe.