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Du «gefällst mir» nicht: Wie der Nicht-Like unsere Beziehungen verändert

Du «gefällst mir» nicht: Wie der Nicht-Like unsere Beziehungen verändert

Bild: bansky via imgur
Na? Heute schon das Foto der Kollegin absichtlich nicht geliked? 
29.04.2017, 11:4430.04.2017, 11:12

Solange wir in einer Gesellschaft leben, in der Likes, Retweets und Shares als Messlatte für unser eigenes Ego gelten, kann eines nicht ignoriert werden: der Nicht-Like.

«Wie?», wird manch einer jetzt fragen.

«Etwas, das nicht stattfindet, kann doch kaum Bedeutung zugeschrieben werden?»

Und ob.

Gerade dort, wo sich online viele Menschen austauschen, gedeihen bittere Möglichkeiten der Ignoranz.

Man denke nur an Ghosting. Eine Praxis, bei der ein Gegenüber seinem Gesprächspartner aus verschiedensten Gründen nicht mehr antwortet («Hallo, was ist denn los mit dir?»), seine Anrufe ignoriert («Sie haben 3 Anrufe in Abwesenheit») und schliesslich möglichst unauffällig und schmerzbefreit in den Untiefen des Internets verschwindet, ohne jemals wieder ein direktes Lebenszeichen von sich zu geben.  

Nun sind die Lebenszeichen («Chillen mit Bae in Bali») dank Facebook und Instagram nicht mehr ganz so schwer ausfindig zu machen, selbst wenn der Geschmähte ignoriert wird. Und genau in dieser Problemzone setzt auch der Nicht-Like an. Ähnlich wie beim Ghosting zollt man seinem Gegenüber auf Teufel komm raus keinen Respekt.

Obwohl man digital verbunden ist und sich gegenseitig folgt, wird nicht auf «Gefällt mir» oder das Herz-Symbol gedrückt. 

Nie. Niemals. Never.

Nicht bei der Beförderung, nicht beim Urlaubsfoto, nicht beim Umzug.

Alles Zufall?

Klar gibt es Menschen, die lediglich passiv online sind (sogenannte Lurker) und nie Dinge liken, auch nicht die ihrer Freunde. Der bewusste Nicht-Liker unterscheidet sich jedoch von den Lurkern. Merken können das Betroffene, wenn gemeinsame Freunde oder Bekannte sehr wohl von der Like-Praxis des onlineaffinen Nicht-Likers profitieren und der bewusste Ausschluss sichtbar wird.  

«Warum liked mein Studienkollege immer die Fotos unseres gemeinsamen Freundes Leandro, aber nicht von mir?», fragt Gregor. So leid es mir tut: Weil er dich nicht besonders mag – oder zumindest nicht genug. Vielleicht bist du in seinen Augen zu ehrgeizig, zu selbstbewusst, zu beliebt.

Vielleicht hast du aber auch ein paar klassische Social Media Turn Offs begangen, wie zu viele (>3000) oder zu wenige (100) Freunde auf Facebook zu haben. Die Autorin Shana Lebowitz schreibt auf Business Insider über «9 Dinge, die dich sofort unsympathisch erscheinen lassen». 

Zu viele Fotos, Angeberei und Nahaufnahmen bei Profilfotos gehören dazu.

Repräsentative Studien zur genauen Motivation von Nicht-Likern lassen aktuell noch auf sich warten.  

Zugegeben: Es scheint sich auf den ersten Blick um ein oberflächliches Problem zu handeln, das vor allem diejenigen betrifft, die nicht genug Grösse besitzen, um drüberzustehen. Auf den zweiten Blick jedoch offenbart Liking und Nicht-Liking eine Hierarchie.  

Angenommen, Chefs liken nur die Beiträge gewisser Mitarbeiter und jene der anderen nicht, was bedeutet das für das Arbeitsklima? Der Fleiss-Stern, der früher noch allen Schülern nacheinander ins Heft geklebt wurde, ist einigen wenigen Hervorhebungen im Netz gewichen. Was bedeutet der Nicht-Like für Freundschaften, Cliquen auf dem Schulhof?  

bild: bansky via tumblr

Internetnutzern stehen immer mehr Kanäle zur Verfügung, gleichzeitig werden sie dort von Menschen, Bots und journalistischen Produkten zugeballert. Dass man da nicht alles lesen, teilen, loben kann – geschenkt. Zur Erinnerung: Ende 2016 hatte Facebook knapp 1,79 Milliarden monatlich aktive Nutzer weltweit.

Jeden Tag posten sie eine Milliarde Statusmeldungen. Bei Twitter werden jeden Tag 400 Millionen Tweets abgesetzt, bei Instagram 80 Millionen Fotos geteilt. Und trotzdem: Laut einer Studie des Pew Research Centers, in der das Nutzungsverhalten von tausenden US-Amerikanern untersucht wurde, kam heraus, dass 44 Prozent aller Facebook-User den Content ihrer Freunde zumindest einmal pro Tag liken, 29 Prozent tun dies sogar öfters täglich.

Wenn Gregor zum fünften Mal bemerkt, dass er online von seinem Kollegen weniger Zustimmung erntet als Leandro, könnte das negative Effekte auf ihn haben. Das Internet und die dort ausgedrückte Zustimmung beziehungsweise Ablehnung ist real, genauso wie Mobbing in der Schule durch Nicht-Beachtung gang und gäbe ist.  

Im Kern des Problems steht eine grundsätzliche Frage:

Warum fühlt es sich überhaupt gut an, wenn jemand einen Post mit «Gefällt mir» versieht?

Die einfache Antwort: Weil das Belohnungszentrum im Gehirn aktiv wird, der Nucleus accumbens. Diese Hirnstruktur wird auch aktiv, wenn Menschen Süsses schmecken. Für den Urmenschen war das ein Hinweis auf besonders energiereiche Nahrung. Die Ausschüttung von Dopamin im Belohnungszentrum war ein Antrieb, solche Nahrung zu suchen und damit das eigene Überleben zu sichern. Heute hält diese feste Verdrahtung in unserem Gehirn eine milliardenschwere Süsswarenindustrie am Laufen.

Aber was verbindet den Urmenschen mit nicht gelikten Urlaubsfotos?

Ausgeschlossen zu werden, ist auch unter Naturvölkern das Worst-Case-Szenario. «Dieses Gefühl ist eines der schlimmsten Emotionen, die es gibt», sagt Eckart Voland, Soziobiologe an der Universität Giessen. «Bei vielen Naturvölkern ist es die höchstmögliche Strafe, Menschen auszustossen. Im schlimmsten Fall kann das einem Todesurteil gleichkommen.»

Laut Neurowissenschaftler Dar Meshi, er forscht an der Humboldt Universität Berlin, ist unser Drang nach sozialer Anerkennung ein starker Antrieb für die Nutzung sozialer Medien. Unser Gehirn ist darauf programmiert, hohes Ansehen und Gruppenzugehörigkeit mit einem guten Gefühl zu belohnen, weil ein soziales Netzwerk für den Urmenschen überlebenswichtig war.

Komme was wolle: Der Mensch wird als soziales Wesen mal mehr, mal weniger um Zustimmung konkurrieren. Bevor also das nächste Mal absichtlich nicht-geliked wird, sollte sich der User über die Auswirkungen seines Verhaltens bewusst werden. Kratzt ein Like wirklich am eigenen Ego? 

Social-Media-Manager Marius Notter, er betreut den Instagram-Account von Spiegel Online, warnt dennoch vor zu viel Paranoia: «Was wir in unserem Feed zu sehen bekommen, ist von Algorithmen beeinflusst. Wer einmal etwas nicht liked, bekommt manche Dinge in Zukunft gar nicht mehr angezeigt». Jemandem zu entfolgen, sei zudem laut Notter nichts im Vergleich zu einem konfrontierenden Dialog im Real Life.

Wir alle sind das Netz und müssen uns fragen, wie wir mit diesen Entwicklungen umgehen. Es ist dieser kleine Stich im Innersten, der uns inmitten all der Technologie zeigt, wie verletzbar wir trotz unserer glänzenden Biografien («Mother. Writer. Founder of») sind.

Bilder aus der prädigitalen Zeit: Die Fotografien eines Dorfwirts

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Eigentlich arbeitete er als Wirt in einer klassischen Dorfbeiz. Aber Alfons Rohrer (1925 - 1998) war ebenfalls ein unermüdlicher Fotograf. Bild: «Feuerwehrübung», Scheidegger & Spiess / Musée Jenisch Vevey
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20 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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seventhinkingsteps
29.04.2017 14:07registriert April 2015
...


Ich weine für diese Generation
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Barracuda
29.04.2017 13:08registriert April 2016
Sind das wirklich (echte) Probleme, die Einige haben? Ist man im Grunde genommen nicht selbst ein Stück weit Teil des Problems, wenn man sich mit solchen Fragen beschäftigt. Damit meine ich, wer den Facebook- und Instagram-Wahnsinn nicht mitmacht, dem würde erst gar nicht in den Sinn kommen, sich mit solchen Fragen rumzuschlagen.
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Willkommen
29.04.2017 14:38registriert März 2017
Ihr habt vielleicht probleme...
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