Wisst ihr was, liebe Food-Blogger und Instagramer? Nichts gegen eure Acai Bowls, Seetang-Crackers und No-Carb-Zucchini-Spaghetti, aber so richtig, richtig freuen würde ich mich über ganz andere Food-Trends. Denn obwohl die Gastro-Auswahl in den meisten Schweizer Städten durchaus ordentlich ist, fehlt doch einiges. Zum Beispiel:
Wo sind sie geblieben, die Beizen der 70er Jahre? Die mit den grauenhaften orangen Tischtüchern und der Knorr-Maggi-Menage? Grösstenteils sind sie verschwunden – und dies übrigens absolut zu Recht, denn irgendwann merkten auch die stursten Restaurantbesucher, dass liebloses Geköchel mit Fertigprodukt-Pilzsösschen und Dosen-Früchten nun mal nicht so mundet wie die frischere Küche der neuen Gastro-Generation.
Das Kippen der Bedürfnisklausel Mitte der 90er Jahre lieferte den Beweis: Die Gäste wollten anderes Food. Gewiss, viele urchige Spunten, die seit jeher einen guten Ruf als Fressbeizen hatten, blieben bestehen. Doch um die Riz-Casimir-Fraktion war's geschehen.
Nun wäre es doch an der Zeit, Schweizer Retro-Cuisine wieder hochleben zu lassen. Die Gerichte aus eurer Kindheit, nur diesmal mit frischen Zutaten gekocht: Riz Colonial, Zigeunerschnitzel, Pastetli mit Brätkügeli und Konsorten. Und zum Dessert einen Bananen-Split! Oder eine Coupe Heisse Liebe (das war die mit der heissen Beeren-Sauce). Die orangen Tischtücher könnten man auch wieder hervorkramen und coole 1970er Design-Möbel gibt es in jedem Hipster-Café eh genügend.
Nun zu der ausländischen Cuisine? Was fehlt uns? Das hier:
Logisch, dass die Schweiz keine Curryhouse-Kultur wie etwa Grossbritannien hat. Will man hier Curry oder Dosa essen, geht man am besten zum Sri-Lankischen Cornershop, der mit einer Takeaway-Vitrine und ein paar Plastiktischchen ausgestattet ist. Dort isst man in der Regel gut, auch wenn die Neonröhren-Beleuchtung nicht gerade heimelig ist. Sucht man aber nach gediegeneren Restaurants, schnellen die Preise bald mal in die Höhe, während die Qualität oftmals mittelmässig ist. Schön wäre es, eine breitere Auswahl an indischen Restaurants zu haben, die eine frische, innovativere subkontinentale Küche bieten!
Wir haben Döner-Buden an jeder Ecke. Ein paar weniger könnten wir gut verkraften. Stattdessen: Ein paar traditionelle britische Büezer-Cafés, wo man bereits frühmorgens ein warmes Frühstück essen kann! Das geht auch Mittags ... oder gar spätnachts, wenn man angesäuselt aus der Bar torkelt; es heisst nicht umsonst All-Day Breakfast. Ausserdem hat es Sandwiches, die man sich nach Belieben frisch zubereiten lassen kann und selbstverständlich Tee à Discretion. Und im 21. Jahrhundert weiss auch jeder, wie man einen anständigen Kaffee zubereitet, für alle, die (wie ich) keine Tee-Trinker sind.
Getrost könnten wir auf die überteuerten Pseudo-Mexikaner verzichten, die uns seit Jahrzehnten weismachen wollen, dass mexikanisches Essen vor allem aus aufgewärmten Tiefkühlgerichten besteht (mit Refried Beans). Stattdessen täten mehr mexikanische Streetfood-Buden Not, wo man frisch zubereitete schmackhafte Tacos in allerlei Variationen bekommt. In Zürich existieren bereits zwei dieser Art, aber es gibt da noch Platz für mehr – und zwar schweizweit.
Ein paar Breakfast-Caffs, ein paar Taquerías – und es hätte immer noch genügend Döner-Buden für alle (denn auf Letztere wollen wir nicht verzichten – versteht mich nicht falsch).
Die grossartige Küche des östlichen Mittelmeers erfreut sich hierzulande grosser Beliebtheit. Es ist aber bedenklich, wie schnell sich etliche libanesische Restaurants auf einen auf den Schweizer Gaumen runtergeschraubten Standard festgelegt haben. Ein einziger Besuch in einem der Restaurants des israelisch-britischen Kochs Yotam Ottolenghi genügt, um zu merken: Die Schweiz ist gastromässig ein Entwicklungsland. Butternuss-Kürbis-Salat mit roten Zwiebeln, Tahini und Za'atar, gegrillter Meeresbarsch mit Kurkurma-Kartoffeln in Rasam-Bouillon, Harissa-mariniertes Sirloin-Steak mit Zitronenkompott ... hach. Wenn die das können, warum nicht auch wir?
Und wisst ihr was auch noch fehlt? Gerne vergisst man es. Das hier:
... wo Pasta als Vorspeise serviert wird. Wo es keine «Cinque P» oder «Spaghetti mit Rahmsösseli und Kalbsfilet-Streifen» und ähnlichen Quatsch gibt. Wo man Mozzarella in Carrozza essen kann statt eiskalten Insalata Caprese. Wo der Kellner die Handvoll Primi und Secondi des Tages aufzählt und einem eine schmackhafte Auswahl an Salumi vorsetzt, um die Wartezeit auf den Risotto zu überbrücken ... kurz, echte italienische Küche, weil: #italiansdoitbetter.
China, dieses riesige Land mit seiner unglaublich vielfältigen, regional bestimmten Esskultur, findet hierzulande leider oft nur als generische Allerwelts-Menus in den panasiatischen Asia-Restaurants statt. Ein paar gute kantonesische Beizen, das wär's! Oder Szechuan-Restaurants. Wo bleiben sie?
Habt ihr euch mal gefragt, wie es die Franzosen schaffen, das viele rote Fleisch und all die gesättigten Fette in Käse und Foie Gras zu konsumieren, danach noch üppige Desserts zu verdrücken, dabei alles mit grosszügigen Portionen Wein runterzuspülen und dabei stets schlank und hübsch zu bleiben und kein erhöhtes Herzinfarktrisiko aufweisen? Eine Vermutung lautet: Man nimmt sich Zeit beim Essen. Selbst im noch so stressigen Arbeitstag macht man eine richtige Mittagspause, geht ins Restaurant, bestellt la formule mit zwei oder drei Gängen, trinkt etwas Wein und – ganz wichtig – schwätzt und lacht mit seinen Freunden. Die Schweizer sind vielleicht fleissige Arbeitsbienchen. Doch wir wären nicht minder effizient, wenn wir uns richtig erholsame Mittagspausen gönnen würden.
Es muss nicht zwingend eingeflogenes argentinisches Rindfleisch sein (das zugegeben meistens vorzüglich ist). Es geht um den Schnitt. Würden einige hiesige Metzger argentinische Rinds-Stücke anbieten – die Grillsaison wäre gerettet. (Und im Winter geht's auch im Ofen, nur so ...).
Cream Teas, Leute! Jene grossartige Spätnachmittags-Völlerei, der man in ländlichen Gefilden der britischen Inseln frönen kann: Tee mit Gebäck FTW! Coffee Cake, Sandwiches, Fruit Cake, Biscuits, Scones ... Scones, Leute, SCONES! Mit Erdbeer-Confi und Clotted Cream (gewissermassen Doppelrahm auf Steroiden). Das Nachtessen könnt ihr euch danach sparen.
Und ohne bärtige Hipster hinter dem Tresen, wenn wir gleich dabei sind! Okay, Letzteres ist nicht so wichtig. War nur ein Scherz.
In einer Bar abzuhängen, in der man seine Begleitung nicht anbrüllen muss, stellt mittlerweile eine ungemeine Wohltat dar. Wir haben ohnehin zu viel Ablenkung im Alltag. Wenn man mit jemand auf einen Drink abmacht, soll man Gespräche führen.