Können wir erst mal mit dem alten Klischee aufräumen, wir von der watson Redaktion seien alles vegane Fixie-Hipster? Zumindest einer der Belegschaft fährt nämlich das hier:
Ja, das ist ein 1966er Chevrolet Impala SS 396. Er hat einen 6,5-Liter-V8-Motor mit dreihundertwahnsinnigviel PS (325 davon bringt er dann schlussendlich auf die Hinterreifen), und er hört sich an wie der Hammer der Götter.
Und so parkiert er sich:
Nein, ich fahre damit nicht jeden Tag zur Arbeit, denn ich habe tatsächlich ein Velo. Ich wohne nun mal in der Stadt und fahre im Arbeitsalltag fast ausschliesslich Rad und ÖV. Weshalb also besitze ich ein solches Monstrum, und was soll daran nun so grossartig sein?
Ein erster Grund liegt auf der Hand. Tja, schaut es euch einfach mal an:
Komfort, Wirtschaftlichkeit, Sicherheit, Handlichkeit et cetera – dafür gibts moderne Autos. Unglaublich cool aussehen – das können alte Autos besser. Den Chevy zu lenken, ist Autofahren auf Prozac.
«Ja, aber die Parkplatzprobleme, der Spritverbrauch und die Strassenverkehrsamtskosten», rufen die Mahner. Nun, meistens benutzt man einen Oldtimer ja auch nicht für den Alltag. Im Gegenteil – man nimmt ihn nur bei gutem Wetter raus, oder? Man poliert ihn und geht dann mit anderen Kumpels vom Oldtimer-Club ein Ausfährtli machen.
Ihr kennt das: Eine Kolonne schöner alter Autos, die allesamt von weissbärtigen Männern mit Käpplis gelenkt werden. Die mit ihrer sorgsamen, vorsichtigen Fahrweise eine Selbstzufriedenheit ausstrahlen, für die es eigentlich einen Waffenschein geben müsste.
Für die Ambitionierten darunter gibt es eine weitere Vorstufe zur Hölle: die «Oldtimer-Rallye». Hier geht es nicht um Geschwindigkeit, sondern um das Einhalten von Zeitdifferenzen und … ach, mich ödet alleine schon die Beschreibung an.
Nichts gegen die nötige Pflege, aber, wisst ihr was? Hört auf, die Dinger zu pützeln und polieren, und benutzt sie mal richtig! Ich plädiere dafür, möglichst viele alte Autos auf der Strasse zu erhalten. Nein, nicht um damit im urbanen Pendlerstau zu stehen, sondern um richtige Strecken zu machen. Road Trip ist hier das Stichwort.
Hey, ich bin einmal mit einem Alligator auf dem Rücksitz von Avignon nach Zürich gefahren. Es war die grossartigste Reise meines Lebens.
Ich war mit dem Impala in Frankreich, Deutschland, Italien, fuhr einmal gar nach London und zurück via Paris. Man nimmt sich etwas Zeit dabei, besucht vielleicht Bekannte unterwegs, bucht sich sein Hotelzimmer stets erst kurzfristig vor der Ankunft mit der App.
In Zeiten, in denen eine rapide Reise an einen Ort, wo man möglichst schnell wieder dem Konsum frönen kann, die Norm ist, hat ein Road Trip mit einem Chevy fast etwas Meditatives. Nachdem man innerhalb der ersten 100 Kilometer bereits fünf verschiedene Geräusche mitbekommen hat, die potentiell auf ein mechanisches Problem hindeuten könnten, entwickelt man eine Zen-mässige Ruhe, wie man sie sonst nur von kalifornischen Surfern kennt.
Ausserdem hat das Ding keine richtigen Sitzgurte, man sitzt auf einer Sofa-ähnlichen Bank, die keine Kopfstützen hat, und sollte es jemals eine Frontalkollision geben, würde sich die Lenkstange mir durch die Brust bohren, womit – in den Worten Jim Morrisons – «the future’s uncertain and the end is always near». Man ist, wie die Dame mit der sexy Stimme in jener Yoga-Nidra-Anleitung auf YouTube es ausdrückt, «awake and alert» – und dadurch erstaunlich entspannt.
Entspannt muss man alleine schon wegen der Pannen sein, die unweigerlich auftreten werden (50 Jahre altes Auto – halloo?). Anfänglich klemmte die Schaltung gerne im 2. Gang (anhalten, unter den Wagen kriechen, mit dem Geissenfuss den Gang rauswürgen, weiterfahren), bis ich nachgab und für viel Geld eine moderne 5-Gang Corvette-Schaltung einbauen liess.
Und seit man mich überredete, eine elektronische Zündung zu erstehen, will die Elektronik nicht mehr so richtig: Alternator, Batterie – irgendwie geigt’s nicht wie’s sollte, und so geschah mir, dass ich vor ein paar Tagen während meines letzten Road Trips an einem heissen Sommersonntag im italienischen Finale Ligure stehen blieb:
Der Pannendienstler überbrückt, wir fahren zu seiner Werkstatt. Das Problem wird schnell identifiziert, das Ersatzteil (Alternator) wird bestellt und kann eingebaut werden … übermorgen. Aha.
Und so befinde ich mich ungeplant in einem hübschen ligurischen Küstenstädtchen, wo ich die nächsten zwei Tage damit verbringe, am Strand herumzulungern und mit grossartigen ligurischen Leckereien mir den Bauch voll zu schlagen. Mit einem gewöhnlichen Auto wäre man einfach daran vorbeigebraust.
Viel wird heutzutage von grassierender Hektik und Stress gesprochen. Davon, dass man ausklinken soll, oder «die Langsamkeit entdecken». Man bucht Yoga-Kurse und Meditations-Seminare. «Slow-Up» ist auch so ein Stichwort. Das alles tue der Seele gut. Die Wellness-Industrie verdient sich eine goldene Nase daran.
Ich brauche keinen Meditations-Kurs, um zu Ausgeglichenheit und inneren Frieden zu finden. Ein fünfzig Jahre altes Auto tut’s auch.