Woher komme ich?
Wer bin ich?
Was ist meine Geschichte?
Mann, das ist sowas von #2017! Sowas von #millennial!
Vielleicht. Fakt ist, dass Themen wie Ahnenforschung sich aktuell grosser Beliebtheit erfreuen. TV-Serien wie «Who Do You Think You Are?», in der Promis ihre Herkunft erforschen, sind Publikumsrenner. Clips wie der hier gehen viral:
In der Tat ein hübsches Video – nicht zuletzt weil die Genetik tatsächlich das Totschlag-Argument par excellence gegen Rassismus ist. Bist stolzer Engländer? Armenier? Oder Bangladeshi? Ätsch – genetisch bist du deutsch! Türkisch! Indisch!
Nun, ich persönlich halte ohnehin wenig von Nationalismus und deshalb wäre es doch ganz lustig, wenn ich mittels DNA-Test herausfände, dass ich am Ende vielleicht gar kein Engländer oder Italiener oder wasweisich bin. Bloss, wie zuverlässig sind derartige Tests, von denen es online eine reichliche Auswahl gibt?
Ich beschliesse, zwei unabhängige Tests zu machen. Decken sich die Resultate beider, darf ich davon ausgehen, dass sie stimmen. Ich wähle zwei der grösseren Anbieter aus: MyHeritageDNA und 23andMe.
Das Vorgehen ist bei beiden identisch: Man erstellt ein Web-Profil und bestellt dann ein Personal Genome Kit. 71 Euro kostet der Spass bei MyHeritageDNA inklusive Versandkosten, bei 23andMe kommt man auf insgesamt 147.99 Dollar. Auf beiden Sites kann man bei Bedarf einen Stammbaum erstellen, dabei Namen, Verwandtschaftsgrad und so weiter aller bekannten lebenden und verstorbenen Familienmitglieder auflisten. Dies in der Absicht, ein kompletteres Bild über die Provenienz des eigenen Ichs zu bekommen. Ebenfalls funktionieren beide Anbieter auch als Social Network, in dem man sich mit Mitgliedern der engeren genetischen Familie vernetzen kann.
Innerhalb weniger Tage treffen dann zwei Pakete ein:
Bei beiden ist das Vorgehensprinzip dasselbe: Da reinspeuzen, versiegeln und im mitgelieferten wattierten Couvert zurücksenden.
Bei 23andMe ist das ein vorfrankiertes FedEx-Paket, das vom Kurier abgeholt wird; bei MyHeritageDNA muss man selbst frankieren und abschicken (deshalb wohl der grosse Preisunterschied).
«Ready to discover who you are?» Mit solchen bedeutungsschwangeren Fragen wird einem per Mail die Wartezeit bis zum Eintreffen der Resultate verkürzt. Hui, die Spannung steigt.
Aufgrund des langsameren (billigeren) Postwegs dauert es bei MyHeritageDNA gut 5 Wochen. Weniger als zwei Wochen nach der Registrierung aber heisst es von 23andMe bereits:
Bevor wir dazu kommen, zuerst meine Herkunft, wie man sie mir stets von Familienseite erklärte: 1/2 Brite (davon 1/4 Engländer und 1/4 Waliser), 1/4 Italiener, 1/8 deutsch-jüdisch, 1/8 unbekannt (letzteres bedingt dadurch, dass von meiner adoptierten Schweizer Grossmutter nur deren leibliche Mutter bekannt war). Aber das sind lediglich die Nationalitäten meiner Verwandtschaft, nicht deren genetische Herkunft. Was sagt nun 23andMe?
Jap, ich bin Whitey McWhiterson. So weit, so voraussehbar. Im Detail heisst das:
Reichlich unspektakulär vielleicht, aber durchaus nachvollziehbar: Zum grössten Teil bin ich also Brite und ansonsten «broadly Northwestern European» (ergo kein Mittelmeerbewohner, kein Slawe, kein Skandinavier). Dass nur 3,7% Südeuropäer dabei ist, geht ebenfalls auf, da die Baroni aus Corbetta bei Milano wohl Lombarden waren und deshalb genetisch zu den germanischen Stämmen zählten.
Mit reichlicher Verspätung treffen dann die Resultate von MyHeritageDNA ein. Ob sie sich mit denen von 23andMe decken?
... a twat ... ja, was denn?
Oh.
Im Detail:
Scandinavian? Echt jetzt?
Und wo sind die «French & German» hin? Und nun soll ich also doch zu einem beträchtlichen Teil Südeuropäer sein?
Ach, ist doch hübsch, dass ich Sarde, Grieche und ein klein wenig Afghane bin. Findi guet. Aber gerade deckungsgleich mit der eindeutig britsch-irisch-deutsch-französischen Herkunft von 23andMe ist das nicht gerade. Wie lässt sich diese Divergenz erklären?
Meine erste Vermutung liegt darin, dass MyHeritageDNA vielleicht einen historischen Schritt weiter geht. Ergo was bei 23andMe als «British & Irish» gilt, stellt sich bei näherer Betrachtung zum Hauptteil als skandinavisch heraus. Wäre nachvollziehbar – die Briten sind ja nicht irgendwelche Sprosse, die aus dem Boden spriessen, sondern ein buntes Mischvölkchen aus Kelten, Römern, Wikingern, Angeln, Sachsen, Normannen und vielen mehr. Und schon bin ich wieder bei der historisch-kulturellen Betrachtungsweise gelandet. Hier geht es aber um Genetik.
Auf Anfrage gibt MyHeritageDNA ein langatmiges Statement ab, wie alle Menschen ohnehin 99,9% ihrer DNA teilen und wie bei den restlichen 0,1% man unterschiedliche Parameter benutzen kann um DNA-Übereinstimmungen festzustellen ... ergo ein Jekami-Disclaimer, das das Ergebnis alles und nichts bedeuten kann. Schwach.
23andMe spricht das Thema der unterschiedlichen Resultate in den umfangreichen FAQs gleich selbst an (ohnehin wirkt 23andMe etwas seriöser und fundierter als die Konkurrenz). Auch für den Laien verständlich wird etwa erklärt, dass die Briten und Iren die frischeste Zutat meines Gen-Cocktails sind, während man für die Franzosen und Deutschen ein Jahrhundert weiter zurück gehen muss.
Allerdings gelten diese Resultate nur mit 50% Confidence Level. Ergo: Mittels empirischer Quervergleiche zu anderen Tests werden Vermutungen angestellt (wissenschaftlich begründete Vermutungen zwar, aber dennoch bloss Vermutungen). Geht man allein von dem aus, was meine Spucke an DNA hergibt (90% Conservative Level) ist nur das Britisch-Irische als Subgruppe innerhalb von «broadly European» erkennbar.
Weiter weist 23andMe lediglich darauf hin, dass unterschiedliche Resultate anderer Anbieter in der Anwendung verschiedener Parameter zu begründen sind. Aber:
Will heissen: Herkunftsanalyse mit der im Online-Test-Speichel zur Verfügung stehenden DNA ist eine ziemlich ungenaue Wissenschaft. In medizinischen Kreisen steht man dem ablehnend gegenüber (wie etwa in diesem Guardian-Artikel beschrieben). Besonders wenn es um die Resultate geht, die auf gesundheitliche Fragen Antworten liefern sollen (bei den meisten Anbietern kann man bei Bedarf weiterführende Untersuchungen vornehmen lassen, um genetische Veranlagungen, etwa von Brustkrebs oder Depression, festzustellen). Deshalb findet man auf Schritt und Tritt Gewährleistungsausschlüsse und Disclaimers, die statuieren, dass sämtliche Befunde in keinster Weise Diagnosen im medizinischen Sinne darstellen.
Trotzdem bleibt die Frage offen: Bin ich nun Brite oder Skandinavier? Oder was nun?
Klar, ein endgültiges wissenschaftliches Fazit dazu wäre hübsch. Aber über das eigene Ich sagt es letztendlich nichts aus. «Amaze yourself»? «Discover yourself»? «Oliver, you are ...»? Ach, das sind bloss berechnende Marketingsprüche für die narzisstischste aller bisherigen Generationen! Wenn man sich discovern (ja, das ist ein Wort, ab jetzt) will, dann ist die DNA sicher der falsche Ansatz. Lässt sich meine Vorliebe für Curry dadurch begründen, dass ich eventuell ein klein wenig pakistanische DNA habe? NEIN.
Identität ist mannigfaltig definiert, aber am wenigsten spürbar durch eine etwaige genetische Verwandtschaft zu einer Volksgruppe mit der man zeitlebens kaum etwas zu tun hat (was übrigens die ganze doofe Debatte über Fahnentreue bei Doppelbürgerschaft ebenfalls hinfällig macht, aber dies nur nebenbei). Alltag, Freundeskreis, Gesundheit, Kindheit, Wohnort und und und – dies alles definiert WHO YOU ARE.
Sagt der afghanische Sarde 😉