Mit einer Serie neu zu beginnen, ist eine Sache, die vor allem eines erfordert: Disziplin! Wer zur Risikogruppe gehört, dem Binge-Watching-Syndrom zu verfallen, sollte deshalb jetzt mit «Black Mirror» beginnen. Die Serie entwickelt zwar einen gewaltigen Sog, trotzdem liegt sie etwas schwer im Magen, sodass man eine Folge besser erst einmal verdaut. So bist du dann durch, wenn die neue Staffel «Game of Thrones» erscheint und hast mit deiner Zeit mal wieder etwas Schlaues angefangen: Anspruchsvolles Fernsehen betrieben.
Charlie Brooker stellte sich folgende Frage:
Als Antwort darauf erschuf er «Black Mirror».
Eine Serie, an der keiner vorbeikommt, ohne sich die Frage zu stellen, wohin unser digitales Alltagsverhalten einst führen wird. Die Serie ist treffsichere Gegenwartsanalyse und erschreckendes Horrorszenario in einem – und zeigt, dass beides nicht weit voneinander entfernt ist.
Wer einen Beweis sucht, dass «Black Mirror» immer wieder klare Zukunftsprognosen offenbart, findet diesen in der Folge «The Waldo Moment». In dieser Folge kandidiert die Cartoon-Figur Waldo für ein politisches Amt. Waldo ist der Liebling der Briten, denn er sagt, was er denkt, auch wenn er dabei auf Political Correctness pfeift und seinen Sexismus so offen ungeniert zelebriert.
Na, die Parallelen schon erkannt? Falls nicht – es wird noch deutlicher: Waldos TV-Sender stellt ihn für die Wahl auf und die populistische Comicfigur erobert die Weltherrschaft.
Was sich anhört wie eine billige Kopie der Amerikanischen Wahlkampf-Tragödie, flimmerte allerdings schon im Februar 2013 über die Bildschirme, als Trump noch der schrullige Unternehmer war, der Barack Obamas Legitimität als Präsident anzweifelte, ansonsten aber noch keine wirkliche Bedrohung darstellte.
Natürlich hatte «Black-Mirror»-Macher Brooker in keine Kristallkugel geschaut. Aber der Mann hat ein Gespür für gesellschaftliche Entwicklungen wie kein anderer und schafft es, mit fast jeder neuen, plot-technisch unabhängigen Folge, den Finger auf die Wunde des digitalen Fortschritts zu legen.
Die dritte Staffel startete dabei mit der Geschichte der zuckersüssen Lacie. Sie lebt in einer futuristischen Welt, in der sich die Menschen gegenseitig mit kleinen smartphone-ähnlichen Geräten bewerten. So sieht jeder, wie beliebt sein Gegenüber ist. Wie eine Disney-Prinzessin spaziert Lacie durch ihre pastellfarbene Like-Klassengesellschaft, lächelt den Leuten zu und erkundigt sich nach deren Befinden, in der Hoffnung selbst möglichst gut bewertet zu werden.
Trotzdem schafft es Lacie nicht über die viereinhalb Sterne, die sie braucht, um sich ein schickes Appartement zu kaufen, einen besseren Mietwagen zu fahren und in der gesellschaftlichen Elite mit dabei zu sein.
Als eine Kindheitsfreundin Lacie bittet, ihre Brautjungfer zu sein, wittert Lacie die Chance, ihr Ranking ein wenig aufzumöbeln: Vor der gesamten Hochzeitsgesellschaft will sie eine Rede halten, die zu Tränen rührt und dadurch Sternchen-Bewertungen en masse einheimsen. Eine Odyssee beginnt, die dem Zuschauer immer wieder den schwarzen Spiegel vorhält und hartnäckig nach der eigenen Status-Besessenheit in den sozialen Netzwerken fragt.
Nicht nur während den wenigen Episoden aus dem Horror-Genre ist einem unwohl, auch die sarkastischen Folgen lassen einen in Unbehagen vor dem Bildschirm zurück. Zwingen einen, nachzudenken.
Oder sind wir womöglich schon mitten in einer Welt, in der der Britische Premierminister dazu gezwungen werden könnte, vor laufender Kamera mit einem Schwein zu kopulieren (ja, das passiert in der allerersten Folge!)? Wie schnell kann es gehen, bis man von einem Hacker erpresst wird, der einen beim Onanieren gefilmt hat? Und wie weit würden wir gehen, damit die Welt unsere Masturbations-Filmchen nicht zu Gesicht bekommt?
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— Black Mirror (@blackmirror) 21. Oktober 2016
Trotz oder gerade wegen der quälenden Fragen ist die Serie selbst so etwas wie eine Droge – man kommt nicht mehr so schnell los, sollte aber nicht überdosieren. Dass «Black Mirror» auf Netflix verfügbar ist, macht die Serienwelt noch ein bisschen besser.