Israel ist Impfweltmeister! Wie haben dies die Israeli nur gemacht, fragt sich der Rest der Welt. Während in vielen Ländern ein erbitterter Kampf um den Impfstoff entbrannt ist, kann das kleine Land im Nahen Osten bereits von der Normalisierung des Alltags träumen.
Der Erfolg Israels lässt in den sozialen Medien Spekulationen ins Kraut schiessen. War Ministerpräsident Benjamin Netanjahu der beste Dealer? Hat er besonders gute Verbindungen zur Pharmabranche? Zahlte er höhere Preise?
Die Erfolgsmeldung weckte aber erwartungsgemäss auch antisemitische Reflexe. Der Tenor ist seit Jahrhunderten der gleiche: die Juden! Mehr müssen Antisemiten nicht sagen. Ein Hinweis aus zwei Wörtern genügt, um in den Köpfen vieler das immer gleiche Zerrbild zu zeichnen: So sind sie halt, «die Juden».
Sie waren es (angeblich) schon im Altertum und im Mittelalter. So sind sie auch heute noch.
Diese dumpfen Stereotypen, diese permanente Stigmatisierung sind ein never ending Sündenbock-Phänomen. Es hat sich so tief in unser Bewusstsein gefressen, dass der Reflex auch heute unvermindert durch die Volksseelen dieser Welt geistert.
Die Urmutter dieser Stereotypen: Israel bedeutet Judentum, oft pauschal orthodoxes Judentum. Das ist nachweisbar kreuzfalsch. 49 % der Israeli sind säkular, 29 % traditionell jüdisch, 13 % modern-orthodox und nur 9 % ultra-orthodox. Mit der Religion hat die hohe Impfquote also kaum etwas zu tun.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Israel ist keine Musterdemokratie. Und die neun Prozent orthodoxen Juden haben vermutlich einen überproportionalen politischen Einfluss und viele Privilegien. Was die Siedlungspolitik, die annektierten Gebiete, der Umgang mit den Palästinensern betrifft, muss sich Israel Kritik gefallen lassen. Doch diese politischen Prozesse haben nur bedingt religiöse Ursachen und Aspekte. Es geht primär um einen Machtkampf.
Die Vorurteile liegen tiefer und gehen weit, teilweise sehr weit zurück. Sie manifestierten sich schon in der Bibel. Die Johannesevangelium enthält die klarsten antijudaistischen Aussagen. In 8:44 sagt der Jude Jesus pauschal über die Juden: «Ihr habt den Teufel zum Vater!»
Der Supergau war dann die Kreuzigung von Jesus. «Die Juden», das auserwählte Volk Gottes, gelten für viele Christen heute noch als Gottesmörder. Ihnen ist ausserdem ein Dorn im Auge, dass das Judentum in Jesus nicht den Sohn Gottes sieht, sondern lediglich einen Propheten.
Die Juden wurden in allen Epochen schikaniert, unterdrückt und verfolgt. Federführend dabei waren meistens christliche Geistliche, die viel Einfluss auf die Politik hatten.
Im Mittelalter wurden die Juden als Brunnenvergifter und Wucherer stigmatisiert. In Zürich durften sie kein Handwerk ausüben. Sie waren gezwungen, ihren Lebensunterhalt mit der Geldausleihe zu finanzieren. Als sie dabei reich wurden, galten sie als geldgierig und skrupellos. Dabei spielte auch Neid eine grosse Rolle.
Auch die Reformatoren bedienten sich dem Stereotyp von den «gottlosen» Juden. Erinnert sei an die Schrift von Martin Luther mit dem Titel «Von den Juden und ihren Lügen». Darin schreibt er, dass Gott die Juden aufgegeben habe. Sie würden «von Jugend auf erzogen mit Gift und Groll wider unsern Herrn».
Weiter wirft er ihnen Arroganz vor: «Es ist nicht zu sagen, noch zu begreifen, welch ein störriger, ungezähmter, verzweifelter Hochmut in dem Volke steckt.»
Die Vorurteile führten Anfang des 20. Jahrhunderts dazu, dass die «Protokolle der Weisen von Zion» populär wurden. Dieses gefälschte Pamphlet verbreitete die Verschwörungsideologie, reiche und einflussreiche Juden hätten eine geheime Weltregierung gegründet, um die globale Macht an sich zu reissen.
Auch Hitler bediente sich dieser Vorurteile. Er rechtfertigte den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust unter anderem mit diesen Verschwörungsideen. Die verheerenden Folgen sind hinlänglich bekannt.
Auffallend in dieser unseligen Zeit war, dass die deutschen Kirchenführer nicht dadurch auffielen, sich auf die Seite der verfolgten Juden zu schlagen und die Judenverfolgung zu brandmarken.
Obwohl uns der Holocaust aufzeigte, wohin die Stigmatisierung der Juden führen kann, ist dem Judenhass nicht beizukommen. Im Gegenteil: Rechtsradikale Gruppen und Parteien, die teilweise den Holocaust leugnen, haben Aufwind. Auch die Fake-News-Unkultur und der politische Populismus befeuern den Judenhass.
Da überrascht es nicht, dass das Impftempo in Israel benutzt wird, um die Vorurteile weiter zu schüren.