Die älteren Leserinnen und Leser mögen sich noch erinnern: Zwischen 1982 und 1985 ging es der Videospielbranche in den USA gar nicht gut. Verschiedene Firmen, die Videospielkonsolen und Spiele herstellten, mussten Konkurs anmelden. Der Markt war übersättigt. Es gab zu viele Spielkonsolen und zu viele Spiele. Der Abstieg einer noch jungen Industrie begann.
Es war eine Zeit des Chaos: Viele Spiele mit schlechter Qualität wurden in hoher Stückzahl auf den Markt geworfen. Das Angebot war grösser als die Nachfrage. Viele Händler blieben auf ihren Spielen sitzen. Die Preise sanken massiv, doch niemand wollte kaufen. Das Vertrauen in das noch junge Medium verschwand. Viele Firmen mussten geschlossen werden und Programmierer verloren ihre Arbeit.
In Japan kam es zu keinem Crash, denn dort sorgte Nintendo im Jahr 1983 mit der hauseigenen Konsole «Famicom» (bei uns und in den USA später als NES bekannt) für einen Boom, der zwei Jahre später schliesslich auch in den USA dafür sorgte, dass Videospiele wieder hoch im Kurs waren.
Durch den Videospiel-Crash in den USA verlagerte sich der Schwerpunkt der Videospiel-Industrie nach Japan. Nintendo und Sega waren die klaren Marktführer. Während in den USA alles zusammenbrach, erfreute man sich derweil in Europa mehr an den damals revolutionären Heimcomputern, die technisch den Spielkonsolen oft überlegen waren.
Der Videospiel-Crash kam damals unerwartet und rüttelte die Branche kräftig durch. Die klaren Gewinner dieser Ereignisse sind japanische Traditionshersteller wie Nintendo oder Sega, die den Markt für viele Jahre mit hoher Spielqualität dominierten und Stabilität brachten. Der Videospielbranche geht es heute grundsätzlich bestens. Doch es gibt durchaus Anzeichen dafür, dass ein Videospiel-Crash wieder passieren könnte.
Im letzten Jahr wurden alleine auf der Internet-Vertriebsplattform «Steam» über 6000 Games veröffentlicht. Tausende Smartphone-Spiele buhlen zusätzlich in diversen App-Stores um Aufmerksamkeit. Viele sind von minderer Qualität. Es kamen noch nie so viele AAA-Titel (ein Videospiel, das für seine Entwicklung und für das Marketing ein sehr hohes Budget erhält) in so kurzen Abständen wie in den letzten Jahren auf den Markt, die uns mit viel Inhalt wochenlang an die Bildschirme fesselten. Das Angebot ist schlicht riesig, oft unüberschaubar und der Überschuss an Spielen wird von Monat zu Monat grösser. Viele (Indie-)Titel bekommen gar keine Beachtung und gehen schnell in der Masse unter. Die Blase droht zu platzen.
Dass Firmen fusionieren ist auch in der Videospielbranche nichts Neues. Das muss auch per se nicht schlimm sein. Doch der Aufkauf von kleineren, nicht mehr rentablen Studios und die damit einhergehende Fokussierung von grossen Playern sorgen für eine ungesunde Marktdominanz. Somit entscheiden immer mehr grössere Firmen, was für Videospiele auf den Markt kommen und mit dickem Werbepaket auch am meisten Beachtung erhalten.
Innovative Spielkonzepte bleiben durch die Dominanz von grossen Firmen grösstenteils auf der Strecke und der Markt wird mit Einheitsbrei zugeschüttet. Der Erfolgsdruck der Branche, ein Topspiel auf den Markt zu bringen, ist riesig. Wenn ein Spiel nicht den erhofften Ertrag liefert, fehlt dem Unternehmen viel Geld. Der Druck auf die Hersteller wird grösser, man wagt kaum neue Projekte und setzt auf bereits bekannte Spielprinzipien. Spielerinnen und Spieler werden somit mit Produkten zugedeckt, die man schon zu Genüge kennt. Sättigungserscheinungen bei Konsumentinnen und Konsumenten sind mögliche Folgen.
Der Kaufpreis von Videospielen wird, wenn das Spiel nicht sofort einschlägt, schon kurz nach der Veröffentlichung stark reduziert. Waren Videospiele in den 90er-Jahren beispielsweise über Jahre gleich teuer, sinken heute die Preise von grossen Spielen schon nach wenigen Wochen – weil das Angebot eben grösser als die Nachfrage ist. Das haben auch die Käuferinnen und Käufer bemerkt und viele warten ab, bis der gewünschte Titel günstiger im Handel erhältlich ist.
Der letzte Lootbox-Skandal von EA hat für einen gewaltigen Aufschrei in der Videospielwelt gesorgt. Viele Spielerinnen und Spieler waren und sind immer noch verärgert über diese gierige Vorgehensweise. Die grossen Entwickler scheinen mit immer raffinierteren Möglichkeiten zu versuchen, dem Endkonsumenten das Geld ohne Transparenz aus der Tasche zu ziehen. Auch wenn die meisten dieser Möglichkeiten freiwillig sind, sie alle zeigen, dass bestimmte Hersteller nach neuen, teilweise sehr dubiosen Wegen suchen, aus dem veröffentlichten Spiel noch mehr Geld herauszuholen. Das bringt nicht nur Ärger auf der Konsumentenseite mit sich, sondern mindert auch generell das Vertrauen in die grossen Spielhersteller.
Man darf den Pessimismus aber auch gerne abstreifen und die positiven Aspekte der aktuellen Videospiel-Industrie in den Vordergrund stellen und aufzeigen, dass wir von einem Videospiel-Crash weit entfernt sind.
Sony, Microsoft und Nintendo teilen sich als die drei grossen Hauptplayer den Videospielmarkt auf. Es gibt also keine vergleichbare Konkurrenz unter den Hardware-Herstellern wie damals in den 80ern. Die Gefahr ist so klein wie noch nie, dass sich plötzlich zahlreiche Firmen mit einer neuen Konsole auf den Markt drängen und so für einen Hardware-Überschuss sorgen. Das ändert sich auch nicht grundlegend, wenn Google 2018 tatsächlich einen Game-Streaming-Dienst samt Konsole präsentieren sollte.
Was in den 80ern vor dem Videospiel-Crash alles auf den Markt geworfen wurde, war teilweise eine grosse Frechheit. Zwar gibt es heute auch immer wieder schlechte Spiele, die das Licht der Game-Welt erblicken, aber total unspielbare Titel sind eine Seltenheit. Auch die schlechteste Software ist heute nicht vergleichbar mit den Auswürfen kurz vor dem Crash.
Auch wenn man mal gegen einen Hersteller oder Entwickler meckert, das Vertrauen in die Branche ist gefestigt. Das Medium Video- und Computerspiele ist erwachsen geworden und hat heute einen viel wichtigeren Stellenwert als damals, wo es noch als reine Spielerei abgetan wurde. Durch jahrelange Anbindung an eine Marke ist ein grosses Vertrauen seitens der Konsumenten entstanden, das für Sicherheit auf dem Markt sorgt.
Waren in den 80er-Jahren die Konsumenten hauptsächlich männlich und in den jüngeren Jahren, sind Videospiele heute ein Medium, das in alle Altersschichten vorgedrungen ist. Auch das Geschlecht spielt heute keine Rolle mehr. Männlein als auch Weiblein, egal welches Alter und Herkunft, beschäftigen sich heute intensiv mit der interaktiven Unterhaltung und sind potentielle Käuferinnen und Käufer.
Heute existiert eine grosse Videospielpresse, die sich kritisch mit dem Medium auseinandersetzt und somit auch frühzeitig vom Kauf eines schlechten Produktes abraten kann. Dabei fungieren Medien als vierte Gewalt und sorgen für Aufklärung. Das wiederum sorgt dafür, dass extrem schlechte Spiele kaum oder zumindest seltener an den Kunden gelangen, was wiederum das Vertrauen der Konsumenten ins Medium Videospiel stärkt.
Die Nintendo Switch verkauft sich seit dem Release immer noch sehr gut. 2017 wurden weltweit knapp 15 Millionen Einheiten verkauft. Das neue Konzept, die Mischung aus stationärer und mobiler Gamekonsole, kommt bei vielen Käuferinnen und Käufern sehr gut an. Auch der Verkauf der Xbox One X von Microsoft lief zum Start Ende des letzten Jahres gut. Und das, obwohl es kaum Spiele zum Launch gab, die extra für diese Konsole konzipiert wurden. Fazit: Neue Spielkonsolen werden auf dem Markt mit offenen Armen empfangen und sorgen dafür, dass die Game-Industrie weiterläuft.