Kein Tag ohne Neuigkeiten in der Causa Böhmermann: Langsam wird es schwer, den Überblick in dem Satire-Krieg zu behalten. Wir versuchen dennoch, euch den aktuellen Frontverlauf aufzuzeigen. Den Anfang machen zwei perfide Täuschungsmanöver.
Der Sender «A-Haber» gilt als staatsnah. Wenn also einer deren Reporter aus der Türkei nach Mainz zum Sitz des ZDF fährt, darf man vielleicht keinen objektiven Rapport erwarten. Doch das, was der Meldegänger der Sendung «Yaz Boz» aus dem feindlichen Deutschland berichtet, ist nichts anderes als «vier Minuten Realsatire», wie der Spiegel einordnet.
Das Gespräch des ZDF-Sprecher Alexander Stock mit dem Dolmetscher des türkischen TV-Teams wird plötzlich zu einem Wutausbruch – und wenn jemand die Pressefreiheit nicht achtet, dann sind es angeblich die Deutschen. Sieh selbst:
Was ist bloss in Kai Diekmann gefahren? Der Chefredaktor der «Bild» hat auf Facebook ein «Exklusiv-Interview mit Jan Böhmermann» veröffentlicht. «Der Grund für dieses Interview ist, dass es nichts gibt, wofür ich mich schämen oder verstecken müsste», wird der Moderator von «Neo Magazin Royale» beispielsweise zitiert.
Allein: Diekmann hat nie mit Böhmermann gesprochen. Alles bloss erfunden. Die deutsche Website Meedia ätzt: «Die Diekmann’sche Möchtegern-Satire ist nicht komisch angelegt, überzogen oder entlarvend. Sie ist einzig und allein darauf ausgelegt, andere reinzulegen.» Mit Erfolg: Einige deutsche Presseprodukte fielen auf den Unsinn herein.
Bleibt die Frage: Warum das Ganze? Der Journalist selbst liefert diese dünne Begründung:
«Eine lustige Reaktion des Irren vom Bosporus», nennt Martin Sonneborn den Strafantrag von Recep Tayyib Erdogan: Der frühere Chef des Satiremagazins «Titanic» und heutige EU-Abgeordnete von «Die Partei» stärkt Böhmermann im N24-Interview den Rücken.
«Diese Schmähungen stehen ja in einem Kontext, der von vielen Kommentatoren offenbar übersehen wird», gibt er zu bedenken. «Kollegin Merkel» verhalte sich dagegen «devot». Sein Rat: «Es wäre interessant, wenn man vor einem Gericht mal Erdogans Umgang mit Ziegen klären kann.»
Comedian Michael Mittermeier äusserte sich im Spiegel: «Es geht bei diesem Gedicht nicht um einzelne Aussagen. Es ist eine inszenierte Provokation im Rahmen einer Satiresendung, und als solche hat sie ja wohl funktioniert. Die Grenzen der Satire sind für mich überschritten, wenn es auf Schwächere geht. Es sollte nie nach unten, sondern nach oben getreten werden. Und wenn ich mir das Ego und die Selbstherrlichkeit von Erdogan so anschaue, muss man schon sehr weit mit dem Bein nach oben ausholen.
Und, by the way, der ist Präsident der Türkei und kein armer Flüchtling, der am Stacheldraht Europas dahinvegetiert. Es wäre traurig, wenn hier ein Strafverfahren eingeleitet werden würde. Was kommt denn als Nächstes? Wenn Donald Trump doch US-Präsident wird, und man einen Witz über ihn macht, wird man dann an die Wand der Mauer gestellt, die er zwischen Mexiko und den USA bauen lassen will?»
«Hände weg von Jan Böhmermann», twitterte der griechische Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis – der Politiker und der Moderator teilen eine gemeinsame Mediengeschichte.
Europe first lost its soul (agreement with Turkey on refugees), now it is losing its humour. Hands off @janboehm! https://t.co/w6bTJjp0QG
— Yanis Varoufakis (@yanisvaroufakis) 11. April 2016
Das Stichwort ist «Varoufake»: Böhmermann hatte vor einigen Monaten mit seiner «Fake-Fake-Satire rund um Varoufakis' Mittelfinger in der Griechenland-Krise heillose Verwirrung gestiftet», erinnert uns n-tv an das damalige Medien-Skandälchen aus dem Hause Böhmermann.
Gleich mehrere deutsche Künstler fordern in einem Offenen Brief die Einstellung des Verfahrens gegen den ZDF-Moderator: «Diskussionen über und Kritik an Jan Böhmermanns Erdogan-Gedicht gehören in die Feuilletons des Landes und nicht in einen Mainzer Gerichtssaal», heisst in dem Schreiben, das die Zeit am Donnerstag veröffentlichen wird.
Es sei die Aufgabe von Kunst und Satire, öffentliche Diskurse zu entfachen. Zu den Unterzeichnern des Offenen Briefes, der unter dem Titel «Liebe Regierung, jetzt mal ruhig bleiben!» steht, gehören Stars wie Klaas Heufer-Umlauf, Jan Josef Liefers und Katja Riemann.
«Der Präsident verspricht sich die Bestrafung des Betroffenen», sagt Erdogans Anwalt im «heute journal»-Interview.
(phi)