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Fall Böhmermann: Türkischer Fake-Bericht, deutsches Fake-Interview und Promis, die (echt) Stellung beziehen

Fall Böhmermann: Türkischer Fake-Bericht, deutsches Fake-Interview und Promis, die (echt) Stellung beziehen

13.04.2016, 19:0314.04.2016, 06:35

Kein Tag ohne Neuigkeiten in der Causa Böhmermann: Langsam wird es schwer, den Überblick in dem Satire-Krieg zu behalten. Wir versuchen dennoch, euch den aktuellen Frontverlauf aufzuzeigen. Den Anfang machen zwei perfide Täuschungsmanöver.

So peinlich berichtet ein türkischer Sender aus Deutschland

Der Sender «A-Haber» gilt als staatsnah. Wenn also einer deren Reporter aus der Türkei nach Mainz zum Sitz des ZDF fährt, darf man vielleicht keinen objektiven Rapport erwarten. Doch das, was der Meldegänger der Sendung «Yaz Boz» aus dem feindlichen Deutschland berichtet, ist nichts anderes als «vier Minuten Realsatire», wie der Spiegel einordnet.

Das Gespräch des ZDF-Sprecher Alexander Stock mit dem Dolmetscher des türkischen TV-Teams wird plötzlich zu einem Wutausbruch – und wenn jemand die Pressefreiheit nicht achtet, dann sind es angeblich die Deutschen. Sieh selbst:

So peinlich fälscht der «Bild»-Chef ein Böhmermann-Interview

Was ist bloss in Kai Diekmann gefahren? Der Chefredaktor der «Bild» hat auf Facebook ein «Exklusiv-Interview mit Jan Böhmermann» veröffentlicht. «Der Grund für dieses Interview ist, dass es nichts gibt, wofür ich mich schämen oder verstecken müsste», wird der Moderator von «Neo Magazin Royale» beispielsweise zitiert.

Allein: Diekmann hat nie mit Böhmermann gesprochen. Alles bloss erfunden. Die deutsche Website Meedia ätzt: «Die Diekmann’sche Möchtegern-Satire ist nicht komisch angelegt, überzogen oder entlarvend. Sie ist einzig und allein darauf ausgelegt, andere reinzulegen.» Mit Erfolg: Einige deutsche Presseprodukte fielen auf den Unsinn herein.

Bleibt die Frage: Warum das Ganze? Der Journalist selbst liefert diese dünne Begründung:

Team Böhmermann: Martin Sonneborn

«Eine lustige Reaktion des Irren vom Bosporus», nennt Martin Sonneborn den Strafantrag von Recep Tayyib Erdogan: Der frühere Chef des Satiremagazins «Titanic» und heutige EU-Abgeordnete von «Die Partei» stärkt Böhmermann im N24-Interview den Rücken.

«Diese Schmähungen stehen ja in einem Kontext, der von vielen Kommentatoren offenbar übersehen wird», gibt er zu bedenken. «Kollegin Merkel» verhalte sich dagegen «devot». Sein Rat: «Es wäre interessant, wenn man vor einem Gericht mal Erdogans Umgang mit Ziegen klären kann.»

Michael Mittermeier hat kein Mitleid mit Erdogan.
Michael Mittermeier hat kein Mitleid mit Erdogan.
Bild: Getty Images Europe

Team Böhmermann: Michael Mittermeier

Comedian Michael Mittermeier äusserte sich im Spiegel: «Es geht bei diesem Gedicht nicht um einzelne Aussagen. Es ist eine inszenierte Provokation im Rahmen einer Satiresendung, und als solche hat sie ja wohl funktioniert. Die Grenzen der Satire sind für mich überschritten, wenn es auf Schwächere geht. Es sollte nie nach unten, sondern nach oben getreten werden. Und wenn ich mir das Ego und die Selbstherrlichkeit von Erdogan so anschaue, muss man schon sehr weit mit dem Bein nach oben ausholen.

Und, by the way, der ist Präsident der Türkei und kein armer Flüchtling, der am Stacheldraht Europas dahinvegetiert. Es wäre traurig, wenn hier ein Strafverfahren eingeleitet werden würde. Was kommt denn als Nächstes? Wenn Donald Trump doch US-Präsident wird, und man einen Witz über ihn macht, wird man dann an die Wand der Mauer gestellt, die er zwischen Mexiko und den USA bauen lassen will?»

Team Böhmermann: Yanis Varoufakis

«Hände weg von Jan Böhmermann», twitterte der griechische Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis – der Politiker und der Moderator teilen eine gemeinsame Mediengeschichte.

Das Stichwort ist «Varoufake»: Böhmermann hatte vor einigen Monaten mit seiner «Fake-Fake-Satire rund um Varoufakis' Mittelfinger in der Griechenland-Krise heillose Verwirrung gestiftet», erinnert uns n-tv an das damalige Medien-Skandälchen aus dem Hause Böhmermann.

Klaas Heufer-Umlauf ist (natürlich) Team Böhmermann.
Klaas Heufer-Umlauf ist (natürlich) Team Böhmermann.
Bild: imago stock&people

Team Böhmermann: Klaas Heufer-Umlauf und Co.

Gleich mehrere deutsche Künstler fordern in einem Offenen Brief die Einstellung des Verfahrens gegen den ZDF-Moderator: «Diskussionen über und Kritik an Jan Böhmermanns Erdogan-Gedicht gehören in die Feuilletons des Landes und nicht in einen Mainzer Gerichtssaal», heisst in dem Schreiben, das die Zeit am Donnerstag veröffentlichen wird.

Es sei die Aufgabe von Kunst und Satire, öffentliche Diskurse zu entfachen. Zu den Unterzeichnern des Offenen Briefes, der unter dem Titel «Liebe Regierung, jetzt mal ruhig bleiben!» steht, gehören Stars wie Klaas Heufer-Umlauf, Jan Josef Liefers und Katja Riemann.

Team Erdogan: Sein deutscher Anwalt

«Der Präsident verspricht sich die Bestrafung des Betroffenen», sagt Erdogans Anwalt im «heute journal»-Interview.

(phi)

[phi, 10.5.] Satire, Politik & Pressefreiheit
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21 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Ruedi Ratlos
13.04.2016 21:18registriert August 2015
Wenn man als Satiriker in Deutschland einen grössenwahnsinnigen Narzissten nicht mehr durch den Dreck ziehen kann, ohne bestraft zu werden, dann Gute Nacht. Die EU sollte Gelder für Nothilfe und mehr für Flüchtlinge genehmigen, und zwar ohne Obergrenze.
Dass man an der Grenze Europas einen Diktator hofieren muss, ist absurd. Zum Glück gibt's einen Böhmermann, der die Eier hat, nach oben zu treten.
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LeChef
13.04.2016 21:00registriert Januar 2016
Ist der türkische Beitrag vielleicht auch satirisch gemeint...? Oder kann das wirklich deren Ernst sein? Deutschland hasst die Türkei weil der Berliner Flughafen nicht fertig wird?! So plump kann man doch nicht ernsthaft argumentieren. Wenn das die Standard-Debattenkultur bzw. das Niveau von "Informationssendungen" am Bosporus ist, verstehe ich, wie Erdogan auf 70% Zustimmung kommen kann.
Das heisst, nein, eigentlich verstehe ich es nicht. Welcher halbwegs intelligente Mensch fällt denn auf sowas rein?
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äti
13.04.2016 19:57registriert Februar 2016
Und wenn die türkischen Medien die Satiere als "ekelhaft", "widerlich", etc bezeichnen müssen, finde ich, diese Attribute spiegeln exakt Erdogan wider. Die Türkei braucht einen neuen für das Land fähigen Präsi, dringendst.
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