Aus Sorge vor einem offenen Konflikt mit Russland ringt der Westen weiter um eine Reaktion auf den mutmasslichen Chemiewaffenangriff in Syrien. Während zwischen Washington, London und Paris Einigkeit über die Notwendigkeit einer gemeinsamen Reaktion herrschte, stand jedoch eine Entscheidung am Freitag weiter aus.
«Es wurde keine endgültige Entscheidung getroffen», sagte US-Präsident Donald Trumps Sprecherin Sarah Sanders am Donnerstag (Ortszeit) nach einem Treffen Trumps mit seinen Nationalen Sicherheitsberatern. Die US-Regierung werte weiter Geheimdiensterkenntnisse aus und führe Gespräche mit ihren Partnern und Verbündeten.
Trump hatte am Mittwoch zunächst einen Raketenangriff der US-Streitkräfte in Syrien angekündigt, seine Drohung einen Tag später aber relativiert.
US-Verteidigungsminister Jim Mattis sagte vor US-Abgeordneten, die Notwendigkeit, «die Ermordung Unschuldiger zu stoppen», müsse abgewogen werden gegen das Risiko, dass die Lage eskaliere und «ausser Kontrolle» gerate.
In einem Telefongespräch Trumps mit der britischen Premierministerin Theresa May bekräftigten beide ihre Überzeugung, dass es eine Reaktion auf den mutmasslichen Chemiewaffenangriff in Syrien geben müsse.
Trump wollte sich zudem mit Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron beraten. Dieser hatte am Donnerstag erneut eine Reaktion Frankreichs angekündigt, ohne sich auf einen Zeitraum festzulegen. Es gebe Beweise für den Einsatz von Chemiewaffen durch die syrische Regierung, sagte er.
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hatte am Donnerstag eine Beteiligung Deutschlands an einer militärischen Aktion ausgeschlossen. Aussenminister Heiko Maas forderte am Freitag in Brüssel eine geschlossene Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf den mutmasslichen Chemiewaffenangriff in Syrien.
Macron seinerseits appellierte in einem Telefonat am Freitag an Präsident Wladmir Putin, gemeinsam «den Frieden und die Stabilität in Syrien wiederherzustellen», wie der Elysée-Palast mitteilte. Anders als der Westen unterstützt Moskau den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad.
Bei dem Gespräch bedauerte Macron das neuerliche russische Veto im Uno-Sicherheitsrat. Dieses habe «eine gemeinsame und deutliche Antwort verhindert». Zum Schutz der Bevölkerung müsse es «so bald wie möglich Verhandlungen über einen glaubwürdigen und umfassenden politischen Prozess geben», fügte der französische Präsident hinzu.
Währenddessen wurde die Evakuierung der lange Zeit von islamistischen Kämpfern kontrollierten Stadt Duma in der Region Ost-Ghuta in Syrien am Freitag fortgesetzt.
Laut der in Grossbritannien ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte verliessen nach Mitternacht 4000 Menschen die Stadt – darunter Kämpfer der Rebellengruppe Dschaisch al-Islam und Zivilisten. Sie sollten in von Rebellen gehaltene Gebiete in Nord-Syrien gebracht werden.
Die Evakuierung von Duma soll gemäss der Beobachtungsstelle abgeschlossen sein, bevor Experten der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) am Samstag in der Stadt mit ihren Untersuchungen zum mutmasslichen Chemiewaffenangriff beginnen. Bei dem Angriff am letzten Samstag wurden örtlichen Ärzten und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge mehr als 40 Menschen getötet.
Am Freitag kam es derweil zu gegenseitigen Beschuldigungen. Igor Konaschenkow, Sprecher der russischen Armee, sagte, Moskau habe «Beweise» für eine «direkte Beteiligung Grossbritanniens an der Organisation dieser Provokation in Ost-Ghuta». London habe bei der Inszenierung des mutmasslichen Giftgasangriffs «starken Druck» auf die Zivilschutzorganisation der Weisshelme ausgeübt.
Die USA wiederum warfen Moskau vor, den Chemiewaffeneinsatz erst möglich gemacht zu haben. «Wenn Russland seine Verpflichtungen erfüllt hätte, würde es heute keine Chemiewaffen in Syrien geben», sagte die US-amerikanische Uno-Botschafterin Nikki Haley in einer Sitzung des Sicherheitsrats am Freitag in New York.
Russland habe sein Veto-Recht im Rat zwölf Mal genutzt, um die Regierung von Präsident Baschar al-Assad zu schützen – unter anderem, um Ermittlungen über Giftgasangriffe im Land zu stoppen.
Russlands Uno-Botschafter Wassili Nebensja wiederum bezeichnete einen Militärschlag gegen syrische Truppen als eine «illegale Kampfhandlung gegen einen souveränen Staat». Er beschuldigte die USA zudem, sich fahrlässig zu verhalten und ihrer Rolle als ständiges Mitglied im Uno-Sicherheitsrat nicht gerecht zu werden. Es wirke, als wolle Washington das Bürgerkriegsland «kategorisch» angreifen.
Uno-Generalsekretär António Guterres hatte zu Beginn der Ratssitzung von einem «Chaos im Nahen Osten» und einer Rückkehr des Kalten Krieges gesprochen. (sda/afp/dpa)