Ach, was haben alle da geschnaubt und gemeckert! Das neue Jaguar-Teaser-Video sei «woke» und habe nichts mit Jaguar zu tun.
Egal, was alle zum Teaser-Video meinten, Fakt ist, Jaguar musste das Kunststück hinbekommen, Interesse für sein Rebranding und Neupositionierung zu generieren ... Zu einem Zeitpunkt, in dem Jaguar gar keine Autos herstellt (!). Dies haben sie erreicht – so erfolgreich wie kaum eine Werbekampagne zuvor. Ja, es geht hier nun mal um «Brand Awareness» und Markenreichweite und «Identity» – alles so Wischiwaschi-Werbebranche-Zeugs, eben, das selbst ernannte «echte» Autofans hassen. Aber, wie ich im oben verlinkten Kommentar bereits feststellte: Sorry to break it to you, liebe Auto-Nerds, aber in diesem Fall seid ihr irrelevant. Menschen, welche die Marke Jaguar lieben, aber die Autos nicht kaufen, muss man nicht erreichen. (Analog wie «echte» Autofans die Marke Porsche wegen des 911er lieben, während die Verkaufsrenner dieses vermeintlichen Sportwagenherstellers die SUVs Macan und Cayenne sind.)
Nun ist das Konzeptauto da: Jaguar Type 00.
Gleich beim ersten Blick kann erkannt werden: Ja – alles neu. Aber auch: Ja – it's a Jag.
«A Jaaaaaaag», wie dies die alten «Top Gear»-Moderatoren Clarkson, Hammond und May zu sagen pflegten.
Will heissen: etwas verwegen. Etwas schurkenhaft, gar. Aber sowas von begehrenswert.
In der Bezeichnung lässt sich die Absicht erkennen, einen kompletten Reboot zu vollziehen. C-Type, D-Type, E-Type, F-Type ... Type 00.
Und doch sind da einige Parallelen zum Reveal des E-Types, damals im Jahr 1961 am Genfer Autosalon: das Profil mit der überlangen Fronthaube, etwa. Oder jenes helle opalisierende Blau, was eine typische Farbe früher E-Types war. «London Blue» nennt Jaguar die Farbe. Das zweite gezeigte Auto ist in «Miami Pink» lackiert – was zweifelsohne weiterhin die Anti-Woke-Debatte anstacheln sollte. Abwegig ist die Farbwahl indes nicht, ist Pastell-Pink die Farbe, die mit Miami assoziiert wird, wo die Lancierung des Autos stattfindet.
Die Designdetails sind unglaublich pompös, angefangen bei den riesigen 23-Zoll-Rädern. Und natürlich: Schmetterlingstüren (weil ein ungeschriebenes Gesetz vorsieht, dass die seit den Siebzigerjahren alle Konzeptautos haben müssen). Die Heckklappe wird als «Pantograph» bezeichnet und ist seitlich scharniert (wieder ein E-Type-Detail). Im Innenraum wird grosszügig mit Messing gearbeitet, einschliesslich einer 3,2 m langen Mittelstrebe, die freilich etwas im Weg sein dürfte, sollte man sich liebevoll umarmen wollen.
Technische Daten sind wenige bekannt – wohl wird das Teil die üblichen krassen EV-Fahrleistungen vorweisen. Eine Reichweite von 750 km wird angestrebt – dies dank einer vertieften Partnerschaft mit den «Battery Intelligence»-Entwicklern von Elysia. Doch letztendlich ist dies (noch) unwichtig, da es sich hier freilich um ein Konzeptauto handelt. Um ein Design-Statement. Um eine Ansage, in welche Richtung die zukünftige Designsprache gehen wird.
Nö, die Produktionsmodelle werden wohl kaum die Schmetterlingstüren dieses hier gezeigten Modells aufweisen, und auch wird das Interieur einiges weniger an Messing verwenden. (Und was genau ist diese jamesbondige Apparatur an der Seite?)
Doch die Weichen sind schon mal gestellt. Angeblich soll es drei verschiedene Produktionsvarianten geben, angefangen mit einer viertürigen Limousine, die 2026 auf den Markt kommen wird.
Alle, die Zeter und Mordio schrien und «go woke or go broke» lamentierten (yes, I mean you, liebe watson-Kommentierende), machten dies aus einer selbstzentrierten, hoch subjektiven Position des Betrachters heraus, welche aber die aktuelle Marktposition der Mutterfirma Jaguar Land Rover Ltd. komplett ausser Acht lässt: 2019 verkaufte JLR 660'000 Autos pro Jahr, erwirtschaftete aber keinen Gewinn. Bis 2023 sank das Volumen auf 300'000 Einheiten, aber mit einer positiven Bilanz. Laut Forbes.com machen die Range-Rover- und Land-Rover-Modelle jetzt im Durchschnitt jeweils 25'000 Dollar Gewinn pro Auto. Nicht aber die Jaguar-Modelle. Auch machten im Jahr 2023 die Modelle Range Rover, Range Rover Sport und Defender etwa 80 % aller JLR-Verkäufe aus. Jaguar war immer noch eine Nettobelastung für die Ressourcen und machte pro Fahrzeug einen Verlust. Die 2021 angekündigte und Anfang 2023 konkretisierte «Reimagine»-Strategie sah das Ende aller Verkäufe von Verbrennungsmotoren und einen Neustart als reiner Elektroautohersteller für Jaguar vor. Und: eine Neupositionierung in der oberen Luxusklasse.
Jaguars Werbestrategie, welche konservativere Kreise derart vor Wut schäumen lässt, war kühn, riskant gar. Aber letztlich hypothetisch, solange kein Auto da war. Nun haben wir eines. Eines, worüber nun die ganze Welt spricht. Demnach funktioniert die Werbestrategie.