Ein Verkäufer von gefälschten Trikots packt aus: So läuft es in der Produkt-Piraterie
Eine Markthalle, irgendwo in Südosteuropa. Hier arbeitet Igor*. Stolz zeigt er seine beiden Stände, die er seit mehr als 12 Jahren betreibt. Die Auslage ist bis auf den letzten Quadratzentimeter gefüllt, an Stahlrohren hängt noch mehr Ware von Kleiderbügeln herunter, dahinter sitzt der Familienvater und lächelt zwischen einem halben Dutzend unausgepackter Kartons. Igor verkauft gefälschte Fussballtrikots – und sein Geschäft läuft exzellent.
Fussballtrikots will sich jeder Fan gönnen, doch sie sind längst zum Luxusgut geworden
Für ein neues Original-Replica-Shirt zahlt der Anhänger zur Bundesliga-Saison 2018/2019 gut 90 Euro (in der Schweiz ab 100 Franken) im Handel – ohne Namensbeflockung, die für die meisten Fans noch dazu gehört.
Igor kann über diese Preise nur den Kopf schütteln:
Bei ihm kosten Fussballtrikots gut 20 Euro, «Freundschaftspreise für Stammkunden und Mengenrabatt nicht einbegriffen», ergänzt er. Das Besondere an Igors Ware: Sie ist selbst für Kenner auf den ersten Blick nicht als Fälschung zu erkennen.
Eingestickte Logos, gewebtes Vereinswappen, grafische Details, Grössentabelle samt Markennamen im Nacken – Igors Trikots haben fast alle Details, die ein Originalprodukt von Adidas, Puma und Co. auch hat. Erst auf den zweiten oder dritten Blick lassen sich vereinzelt schlampige Nähte finden. Nur das geringe Gewicht entlarvt Igors Trikots als Fälschung.
Es war ein langer Weg zu den Trikots, die Igor jetzt verkaufen kann:
Die Zeiten von «Real Madrit» und «adibas» seien vorbei, sagt er. Seit vier, fünf Jahren seien die nahezu perfekten Fälschungen nun schon im Umlauf.
So funktioniert das illegale Geschäft
Die Ware, das lässt sich an der Verpackung und der Beschriftung der Pakete erkennen, stammt aus der Türkei und wird mit Hilfe von Mittelmännern an Verkäufer wie Igor vertrieben. Ob sie dort auch produziert wird, kann Igor uns nicht verbindlich sagen:
Der Endkunde, rechnet Igor durch, sei in dieser Prozesskette die fünfte Person, die das Trikot in den Händen hält.
Wie lange dauert es, bis er die Trikots an den Mann bringen kann?
Woher kommt der Preisunterschied zwischen Original und Fälschung? Das haben wir Adidas gefragt ...
Oliver Brüggen, Pressesprecher beim deutschen Sportartikelgiganten Adidas, dürfte über diese kurze Zeitspanne staunen. «Der Designprozess für ein Trikot startet rund vier Jahre vor einem Turnier», erklärt er auf Nachfrage. Der äusserst lange Entwicklungsprozess kann jedoch nicht die Antwort auf die Frage sein, warum der Verkaufspreis eines Herren-Fussballtrikots innerhalb der vergangenen 10-15 Jahre von knapp 60 auf 90 Euro angestiegen ist. Dazu sagt Adidas:
Sportmarketing-Experte Peter Rohlmann rechnet vor, dass die Produktion und der Transport eines Original-Fussballtrikots mit unter 9 Euro zu Buche schlägt, Adidas sich mit jedem einzelnen Trikot aber einen Minimum-Umsatz von gut 40 Euro zusichert. So fliesst je verkauftes Trikot ein Rohgewinn von circa 17 Euro sicher aufs Konto der Herzogenauracher (Berliner Morgenpost).
Was vielen nicht klar ist: Auch der jeweilige Verband oder Verein verdient pro produziertes Trikot: Bis zu 15 % des Verkaufspreises setzen sich aus Lizenzgebühren zusammen, die Hersteller wie Adidas beispielsweise an den DFB zahlen müssen, um dessen Wappen überhaupt auf ihr Shirt packen zu dürfen (Berliner Morgenpost). Kosten, die im illegalen Geschäft der Trikotfälschungen wegfallen.
Warum Adidas trotz der hohen Marge weiter in Niedriglohnländern wie Kambodscha produzieren lässt? Das Unternehmen belässt es bei einem knappen Allgemeinplatz:
Wie viel teurer würde ein Trikot mit Original-Adidas-Materialien bei ihm im Verkauf ausfallen?
Bedeutet das, es werden in naher Zukunft noch bessere Fälschungen, die sich den Originalen noch weiter annähern, erhältlich sein? Igor ist sich nicht so sicher – aus ökonomischen Gründen:
Ob Igor diese schrillen, kuriosen und hässlichen Trikots auch verkaufen könnte?
Wie lange wird Igor die Ware noch anbieten können?
Bei Igors Geschäft handelt es sich um Produktpiraterie. 2014 beschlagnahmte der deutsche Zoll 13’262 gefälschte Fussballtrikots (Ruhrnachrichten).
«Produktpiraterie ist ein weltweites Problem und nicht neu», sagt Oliver Brüggen. «Beliebte Marken oder Ideen wurden schon immer gerne kopiert und so lange es eine Nachfrage gibt – also bewusst Plagiate gekauft werden – wird es leider auch künftig einen Markt für Fälschungen geben.» Durch die Zusammenarbeit von Unternehmen und Fahndern wird es auch für Igor immer schwieriger, ein breites Produktportfolio anzubieten.
Wie viel verdient Igor denn eigentlich an einem Fake-Trikot? «Über solche Dinge wird nicht gesprochen», winkt er ab – eine Sache, die er mit Adidas teilt.
Und was heisst das Ausscheiden des deutschen Teams?
Mit solchen Problemen muss sich Adidas nicht herumschlagen. Für sie funktioniert das Trikotgeschäft längst unabhängig von Hochzeiten wie einer Weltmeisterschaft. Trotz des frühzeitigen Ausscheidens der deutschen Nationalmannschaft bei der Fussball-WM rechnet Oliver Brüggen mit neuen Höhenflügen.
Igor wird beim Thema DFB-Team und WM schmallippiger:
Igors aktuell grösstes Problem: Der CR7-Wechsel zu Juve
Doch so ist das Geschäft mit der heissen Ware Fussballtrikots: Manchmal verbrennt man sich an ihr die Finger – so wie beim Wechsel Cristiano Ronaldos zu Juventus Turin. Plötzlich sass Igor auf einem riesigen Stapel für ihn als Verkäufer wertloser Real-Madrid-Trikots.
Igor fackelte nicht lange, rief seinen Mittelsmann an und bestellte eine neue Fuhre CR7-Trikots – diesmal mit dem Wappen von Juventus Turin. Während Adidas mit Lieferproblemen zu kämpfen hat, konnte er wenige Tage später seine Auslage bereits mit den neuen Juve-Trikots dekorieren. Nein, ein CR7 kann Igor so schnell nicht aus der Bahn werfen – dafür läuft sein Geschäft einfach zu gut.
*Name von der Redaktion geändert.