Vor einer Woche habe ich von Google ein unscheinbares Paket erhalten, vielleicht 20 Mal 15 Mal 10 cm gross. Darin ein Gamepad und ein Chromecast, also ein kleiner Streaming-Stick für den Fernseher. Denn mehr braucht es nicht, um mit Googles Gamestreaming-Dienst Blockbuster-Spiele wie «Assassin's Creed Valhalla» oder «Red Dead Redemption 2» auf dem Fernseher zu spielen.
Um es gleich vorwegzunehmen:
Ja, Gamestreaming mit Stadia funktioniert (auch ohne ultraschnelle Internetverbindung) und ich hatte in den letzten Tagen meinen Spass damit.
Und nein, Stadia ist kein Netflix für Gamer und kann derzeit weder die Konsolen von Sony, Microsoft oder Nintendo noch PC-Gaming ersetzen (könnte aber eine spannende Ergänzung sein).
Das Zauberwort bei Stadia heisst Streaming. Games werden nicht heruntergeladen und installiert, sondern wie Musik oder Videos über das Internet auf Fernseher, Laptop, Tablet oder Smartphone gestreamt. «Kein Warten auf Downloads, Updates oder Installationen!», preist Google die verheissungsvolle «neue» Gaming-Welt an. Technisch ist Game-Streaming aber ein, zwei Stufen komplexer und bedingt primär eine stabile Internet- bzw. Mobilfunkverbindung.
Googles Versprechen: Auf Knopfdruck werden Blockbuster-Titel in maximal 4K-Auflösung mit flüssigen 60 FPS und kontraststarker High-Dynamic-Range-Technik (HDR) direkt aus der Google-Cloud gestreamt. Gespielt wird im Browser auf dem Computer, der Stadia-App auf dem Smartphone oder auf dem Fernseher via angeschlossenem Chromecast Ultra.
Die Idee überzeugt auf den ersten Blick: Da die Spiele in Rechenzentren ausgeführt werden, können die neusten Games auf Endgeräten gespielt werden, die dafür eigentlich zu wenig Rechenpower haben.
Zunächst braucht man ein Google-Konto, sprich eine Gmail-Adresse, um einen Stadia-Account zu erstellen. Danach kann man direkt loslegen. Rund 100 Spiele können zum Start gestreamt werden, doch wie so oft im Leben gibt es einen Haken: Wer das Abo für 11 Franken pro Monat löst, hat damit nur Zugriff auf einen kleinen Teil der Spiele-Bibliothek. Die neuen Hit-Games müssen meist separat gekauft werden. Das ist, als ob man bei Netflix für neue Filme oder Serien bezahlen müsste. (siehe Punkt 7)
Wer auf dem Fernseher spielen möchte, braucht den Stadia Controller (79 Franken) und einen Chromecast Ultra. Im Starter-Set (Stadia Premiere Edition) kostet beides zusammen 120 Franken. Der kleine TV-Dongle wird direkt am TV angeschlossen und kann per Google-Home-App eingerichtet werden. Ich hab den Chromecast per WLAN verbunden, er hat aber auch einen LAN-Anschluss. Für Gamestreaming wäre LAN die optimale Lösung.
Wer übrigens einen Android-TV-Fernseher hat, braucht (künftig) keinen Chromecast Ultra mehr.
Der Stadia Controller ist Googles Pendant zu den Gamepads von Sony und Microsoft und qualitativ mit ihnen auf Augenhöhe. Er fühlt sich wertig an und ähnelt optisch dem Xbox- und Switch-Pro-Controller.
Auf einem PC, Mac oder Chromebook läuft Stadia direkt im Browser. Nebst Chrome funktioniert auch Edge. Gespielt wird mit Maus und Tastatur oder dem Stadia Controller. Alternativ können auch die Controller von Sony, Microsoft, Nintendo und diversen anderen Anbietern genutzt werden (vollständige Liste hier).
Das Handy wird mit einer Art «Klammer» auf den Controller gesteckt und per USB-C-Kabel oder drahtlos verbunden. Nebst dem Stadia Controller kann auch Sonys DualShock 4 bzw. Microsofts Xbox One Controller genutzt werden.
Auf Android-Smartphones werden Stadia-Spiele bequem in der Stadia-App gestartet. Offiziell werden bislang erst Smartphones von Google, Samsung, OnePlus und einigen wenigen anderen Herstellern unterstützt. In der Stadia-App kann man aber unter «Experimentelle Funktionen» auch andere Smartphones für Stadia aktivieren. So läuft beispielsweise mein neues Oppo-Smartphone, das offiziell noch nicht unterstützt wird, problemlos mit Stadia. Ich vermute, die allermeisten neueren Handys sind mit Stadia kompatibel.
Stadia wird im Laufe des Dezembers auch auf iOS lanciert, Apple-User werden den Gaming-Dienst aber über den Browser nutzen müssen (Apple verweigert Google offenbar Stadia als App anzubieten). Die Stadia-App kann zwar im App Store geladen werden, dient aber unter iOS nur zum Einrichten des Accounts.
Sämtliche Stadia-Games können auch per Toucheingabe gespielt werden, wenn kein kompatibler Controller zur Verfügung steht.
Google verspricht einen nahtlosen Wechsel beim Spielen zwischen TV, Laptop und Smartphone. In der Praxis funktioniert der Wechsel zwar, nahtlos würde ich es aber nicht nennen. Der Controller muss jeweils mit dem neuen Gerät gekoppelt werden und das klappt mal sofort, mal erst nach mehreren Versuchen. Schade ist auch, dass Stadia bislang nur beim Handy und Laptop andere Controller unterstützt. Wer auf dem Fernseher mit Freunden spielen will, braucht mehrere Stadia Controller.
Erfreulich gut. Ehrlich gesagt war ich ziemlich skeptisch, da Google Stadia in den USA bereits vor einem Jahr lanciert hat und die Kritiker damals alles andere als begeistert waren. Stadia funktionierte zwar grundsätzlich, aber es mangelte an Games, viele Funktionen fehlten und die versprochene 4K-Grafik war auch nicht über alle Zweifel erhaben. Ein Jahr später sieht es deutlich besser aus: Mehr als 80 Spiele wurden seit dem US-Launch zur Bibliothek hinzugefügt, Stadia läuft selbst in meinem gemächlichen Home-WLAN tadellos, Probleme mit verzögerten Eingaben habe ich keine und es gab bislang keinen einzigen Spielabbruch. Mein WLAN zu Hause hat 40 Mbit/Sekunde Downstream und mickrige 2 Mbit/s Upstream, ist also alles andere als eine Rakete, aber dafür ist die Verbindung offenbar sehr stabil.
Extrem viel Bandbreite nutzt Stadia nicht, von Vorteil ist aber ein Router, der den AC-Standard unterstützt. Ein WLAN AC (IEEE 802.11ac) ist weniger störanfällig als ältere Standards und daher für Gamestreaming besonders geeignet.
Die Benutzeroberfläche ist hübsch und intuitiv. Wer Netflix verstanden hat, versteht auch Stadia. Allerdings vermisse ich die Suchfunktion (oder sie ist so gut versteckt, dass ich sie nicht gefunden habe).
Ich habe bewusst diverse Spiele ganz unterschiedlicher Genres im Single- und Online-Multiplayer-Modus ausprobiert und hatte im WLAN weder mit Rucklern noch mit verzögerten Eingaben zu kämpfen.
Ob der Ego-Shooter «Destiny 2», das schnelle und hektische 2D-Jump ’n’ Run «Celeste» oder das Open-World-Epos «Red Dead Redemption 2», es fühlte sich an, als ob die Spiele lokal laufen würden. Lediglich bei der Demoversion des neuen Open-World-Spiels «Immortals: Fenyx Rising» machten sich kurze Ruckler bemerkbar. Obs am Spiel, Stadia oder meiner Internetverbindung lag, kann ich nicht sagen.
Da meine Bandbreite (40 Mbit/s) nur so eben für die höchste Qualitätsstufe reicht, wird die Grafik sofort heruntergeschraubt bzw. es kommt gelegentlich zu Rucklern, wenn eine zweite Person das WLAN nutzt. In einem Mehrpersonenhaushalt wäre also eine Bandbreite von 100 Mbit/Sekunde oder mehr für Gamestreaming sehr zu empfehlen.
Apropos Grafik: Die sieht für mich okay aus, vergleichbar mit der PS4, aber wirklich umgehauen hat es mich nicht. Das folgende Video zeigt es deutlich: Auf einem leistungsstarken Gaming-PC sieht «Red Dead Redemption 2» sichtbar besser aus als auf Stadia.
Etwas enttäuscht bin ich von den Ladezeiten: Stadia selbst lädt zwar auf dem Fernseher über den Chromecast Ultra in wenigen Sekunden den Startbildschirm, aber bis «Red Dead Redemption 2» geladen ist, vergehen nochmals rund 80 Sekunden. Andere Spiele starten zwar schneller, aber auch mit Cloud-Gaming verschwinden lästige Ladezeiten nicht automatisch im Nirwana.
Aufgrund der aktuellen Corona-Situation kann ich wenig über die Performance unterwegs über das Mobilfunknetz sagen. Ich habe Stadia auf dem Smartphone nur während einer knapp 20 minütigen S-Bahn-Fahrt getestet. Grundsätzlich hat es im 4G-Netz (ich habe kein 5G-Abo) funktioniert, aber sobald man in ein Funkloch gerät, geht nichts mehr. Da die S-Bahn zudem so gut wie leer war, ist mein Test kaum aussagekräftig.
Da man Stadia gratis ausprobieren kann, kann man immerhin zunächst selbst testen, ob das Game-Streaming auf der eigenen Strecke funktioniert. Wichtig ist, dass man ein Handy-Abo mit Daten-Flatrate hat.
Wie gut Stadia läuft, hängt massgeblich von der Geschwindigkeit und vor allem der Stabilität der Internetverbindung ab. Google empfiehlt für das Streaming in 4K und mit 60 FPS eine Bandbreite von rund 35 Mbit/Sekunde. Mein WLAN mit maximal 40 Mbit/s erfüllt dies knapp. In der Praxis passt Stadia die Auflösung automatisch der aktuell verfügbaren Bandbreite an.
Fürs Streaming in 1080p (Full-HD) sind knapp 25 Mbit/s notwendig und wer sich mit 720p begnügt, braucht auch nur 10 Mbit/s. Mit 720p auf einem 4K-TV spielen macht natürlich keine Freude, aber auf einem Handy-Bildschirm wäre es durchaus akzeptabel.
Ob deine Internet-Verbindung für Stadia reicht, kannst du hier testen.
Im Moment sind laut Google rund 100 Games in der Schweiz verfügbar. Bis Ende Jahr werden es ungefähr 120 sein. Darunter neue Blockbuster-Games wie «Cyberpunk 2077», «Immortals: Fenyx Rising» oder «Assassin's Creed Valhalla», daneben aber auch zahlreiche kleinere Spiele. Es hat zwar ein paar Spiele für Kinder, mehrheitlich richtet sich das Angebot aber an Jugendliche oder Erwachsene.
Im Vergleich zum US-Start vor einem Jahr ist der Game-Katalog deutlich besser und jeder Konsolen-Hersteller wäre froh, er könnte mit 100 Games an den Start gehen. Aber Stadia hat ein grundsätzliches Problem: Es gibt (noch) kaum exklusive Games und schon gar keine exklusiven Blockbuster-Games. Google hat zwar ein eigenes Entwicklerstudio gegründet, aber der Internet-Riese wird in nächster Zeit nicht mit den AAA-Titeln von Sony, Microsoft oder Nintendo mithalten können.
Anders gesagt: Die exklusiven Games auf Playstation, Xbox und Switch werden in nächster Zeit kaum ihren Weg zu Google finden und fast alles was du auf Stadia spielen kannst, gibt es auch auf anderen Plattformen.
Verfügbar sind zum Beispiel:
Die Liste der verfügbaren und kommenden Stadia-Spiele findest du hier.
Google bietet zwei Preis-Modelle an: Entweder man nutzt den Gratis-Account ohne Abo-Kosten und kauft Spiele einzeln oder man abonniert Stadia Pro für 11 Franken pro Monat und erhält Zugriff auf eine noch kleine, aber wachsende Game-Auswahl. Ausserdem können nur Pro-User in der besten Grafik-Qualität (4K) streamen.
Das Problem: Die im Pro-Abo nicht enthaltenen Spiele, die neuen Hit-Games, können bzw. müssen zum Vollpreis separat gekauft werden. Und mit 70 bis 80 Franken für ein Blockbuster-Spiel ist Stadia keineswegs günstiger als andere Plattformen.
Wie bei Streamingdiensten üblich kann das Abo jederzeit gekündigt werden. Der Zugriff auf die gekauften Spiele bleibt natürlich erhalten, wenn man das Abo beendet, aber mit dem Gratis-Account kann man sie nicht mehr in der bestmöglichen Qualität streamen.
Der Blick auf die beiden Preis-Modelle macht klar: Stadia ist kein Schnäppchen. Auch im Pro-Abo erhält man keine Game-Flatrate, sondern muss viele Spiele zusätzlich zum Abo kaufen.
Google Stadia funktioniert technisch überraschend gut, ist aber noch keine ernsthafte Bedrohung für Playstation, Xbox oder Nintendo Switch. Dafür ist die Game-Auswahl zu dünn und das Preismodell kaum attraktiv genug. Streamingdienste wie Spotify und Netflix sind erfolgreich, weil sie ein All-You-Can-Eat-Buffet zu einem fixen Preis anbieten. Bei Stadia hingegen bezahlt man für den Zugang zu einer stark eingeschränkten Spiele-Bibliothek. Die wirklich attraktiven Games müssen meist zusätzlich gekauft werden. Im Vergleich hierzu ist Microsofts Games Pass Ultimate für Windows und Xbox deutlich attraktiver, da man eine echte Game-Flatrate erhält.
Trotzdem sehe ich für Gamestreaming-Dienste wie Stadia viel Potenzial. Der Game-Katalog wird wachsen und wohl in ein paar Jahren mehr Spiele enthalten, als man je spielen könnte (so ähnlich wie es bei Netflix mit der Serienflut der Fall ist). Google hat auch genug Geld in der Kasse, um grosse Spiele-Hersteller zu übernehmen und so seinen Streamingdienst mit exklusiven Games aufzupeppen.
In den nächsten Jahren wird Stadia hinter den Konsolen von Sony, Microsoft und Nintendo die zweite Geige spielen. Aber statt einer Zweit-Konsole oder statt einer Konsole zum Gaming-PC könnten mittelfristig immer mehr Gamer einfach einen Stadia-Account eröffnen. Wie bei anderen Streamingdiensten lässt sich das Abo jederzeit rasch wieder kündigen, aber oft kommt man dann doch auf den Geschmack ...
So gesehen ist Google Stadia bestimmt nicht das Ende der Konsolen, aber vielleicht der Anfang vom Ende.
For those curious Cyberpunk 2077 has a 43gb day one patch. pic.twitter.com/BKuWInTpJA
— DreamcastGuy Is Reviewing Cyberpunk2077 (@DreamcastGuy) December 3, 2020