Ohne Waffen kein Krieg. Das wissen die Soldaten auf dem Schlachtfeld ebenso gut wie die Arbeiter an den Fliessbändern der Rüstungsindustrie. Die Konflikte in Syrien und Jemen können nur dank der konstanten Zufuhr von Kriegsmaterial am Leben gehalten werden. Auch die Schweiz beteiligt sich seit dem Frühjahr an umstrittenen Exporten in verschiedene Staaten des Nahen Ostens.
Internationale Verträge wie der ATT (Arms Trade Treaty) der Vereinten Nationen, nationales und supranationales Recht sollten verhindern, dass Waffen in Länder exportiert werden, die Krieg führen. In der Praxis funktioniert das kaum, wie ein Bericht zeigt, den ein Team des Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) und des Organised Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) kürzlich publizierte.
Die Investigativjournalisten konnten gemäss eigenen Angaben nachweisen, dass in den letzten vier Jahren Waffen im Wert von über einer Milliarde Dollar aus mittel- und osteuropäischen Ländern nach Syrien und Jemen geliefert wurden – über Relaisstationen im Nahen Osten. Der Bericht nennt Bosnien, Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Montenegro, Slowakei, Serbien und Rumänien als Exporteure, Saudi-Arabien, Jordanien, die Vereinigen Arabischen Emirate sowie die Türkei als Importeure. So wurden zwar internationale Verträgen vordergründig Genüge getan, indem auf die direkte Ausfuhr in kriegsführende Länder verzichtet wurde. Gleichzeitig ist es ein offenes Geheimnis, dass über Kanäle in Saudi-Arabien, Jordanien und der Türkei Waffen nach Syrien, respektive Jemen gelangen. Minutiös werden die einzelnen Lieferungen durch das Journalistenteam aufgelistet.
In Syrien enden die Waffen nicht nur in den Händen der von Westen unterstützen bewaffneten Opposition der Freien Syrischen Armee (FSA), sondern auch bei islamistischen Gruppierungen wie Ansar as-Sham, Jabat al-Nusra und des «Islamischen Staat» («IS»). Das sollen Bilder von Kampfhandlungen aus Syrien und dem Jemen belegen.
Dass Waffen aus den Beständen der aufgelösten jugoslawischen Armee im Nahen Osten Verwendung finden, ist gemäss den Journalisten ein neues Phänomen.
Laut Patrick Wilcken, Spezialist für Kriegsmaterial bei Amnesty International, könnten zumindest einige der Waffendeals EU-, internationale oder nationale Gesetze gebrochen haben:
«Die Hinweise deuten auf eine systematische Verteilung von Kriegsmaterial an bewaffnete Gruppen, die beschuldigt werden, Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben», sagt Wilcken im «Guardian». Falls dies der Fall sein sollte, so seien die Geschäfte gemäss internationalem Recht illegal und sollten sofort unterbunden werden.
Die ausführenden Staaten weisen jegliches Fehlverhalten von sich, obwohl die Exporte auch innerhalb der zuständigen Behörden nicht unumstritten sind. Das sollen zumindest vertrauliche Dokumente belegen, die den Investigativjournalisten vorliegen. Auch die Tatsache, dass Saudi-Arabien und Co. selber kaum auf Waffen aus Ex-Sowjet-Beständen setzen, ändert daran nichts.
Saudi-Arabien sei nicht auf einer schwarzen Liste geführt, so ein Sprecher des kroatischen Wirtschaftsministeriums. Und dass kroatische Waffen in Kriegsgebieten enden, sei nicht bewiesen. Die Verpflichtung für Kroatien beschränke sich darauf, zu überprüfen, ob das Material für den vorgegebenen Zweck genutzt wird, so der Sprecher. Mehr könne man nicht tun.
Genau diese Risiko-Beurteilung falle mangelhaft aus, beklagen Menschenrechtsexperten. «Länder, die Waffen nach Saudi-Arabien und in den Nahen Osten exportieren, versagen bei der Risiko-Beurteilung», sagt Bodil Valero. Die EU-Berichterstatterin für Waffenhandel glaubt, dass die entsprechenden Staaten vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gezogen werden könnten.
In der Schweiz sorgt der Export von Kriegsmaterial nach Saudi-Arabien und in die Golfregion seit längerem für Kritik. Als Reaktion auf die Einflussnahme der saudischen Monarchie im benachbarten Jemen-Konflikt verhängte der Bundesrat 2015 ein Exportmoratorium. Im April dieses Jahres krebste die Regierung unter dem Druck der Kriegsmaterial-Lobby dann wieder zurück. Seither ist die Ausfuhr von Waffen in die Golfregion wieder erlaubt. Dies trotz Kriegsmaterialverordnung, die den Export von Waffen in Staaten verbieten, die «in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt» verwickelt sind. Das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco begründet den Entscheid Ende April gegenüber der «Südostschweiz» damit, dass die Ausfuhr nur dann verboten werden müsse, «wenn im Empfängerland selber ein interner bewaffneter Konflikt herrscht». Diese Interpretation ist sowohl unter Politikern als auch unter Juristen umstritten.
Gemäss am Donnerstag vom Seco publizierten Zahlen hat die Schweiz im ersten Halbjahr 2016 Rüstungsgüter im Wert von rund 224 Millionen Franken exportiert. Alleine im zweiten Quartal wurde Kriegsmaterial im Wert von rund 4,2 Millionen Franken nach Katar, Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Jordanien geliefert. Länder, die aufgrund ihrer Verwicklung in die Konflikte im Jemen und in Syrien in besonderem Fokus stehen.
Für die Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA) überzeugt die Begründung des Bundesrats nicht. «Es ist klar, dass die Lieferung von Schweizer Rüstungsgütern an im Jemenkonflikt involvierte Ländern einen Einfluss auf selbigen hat», sagt GSoA-Sekretärin Eva Krattiger gegenüber watson. Die Schweiz sollte nicht dazu beitragen, diesen Konflikt weiter anzuheizen, so Krattiger. Die GSoA fordert deshalb weiterhin ein «Verbot von Schweizer Kriegsmaterialexporten», wie sie in einer Medienmitteilung schreibt. (wst)