Fake-Ferien unter der Kuppel: Zu Besuch in «Europas grösster tropischer Urlaubswelt»
04.02.2018, 17:4105.02.2018, 10:00
Wer verpeilt
hat, einen günstigen Flug nach Bali zu buchen, kann es dieses Jahr mit der
deutschen Alternative im brandenburg'schen Hinterland versuchen: Tropical
Islands.
Laut Website bietet «Europas grösste
tropische Urlaubswelt» seinen Besuchern nicht nur einen Trip in die Südsee,
sondern auch eine Lagune, den grössten Indoor-Regenwald und ein tropisches Dorf –
bei angenehmen 26 Grad an. Da sagt die verfrorene Wahlberlinerin natürlich
nicht nein, um sich selbst einen Eindruck zu verschaffen. Auf geht’s.
Als meine Begleitung und ich nach
anderthalbstündiger Zugfahrt in Brand aus dem Zug steigen, fühlen wir uns wie gestrandete
Aliens in der Wüste Nevadas.
Beim Blick ins Publikum wird klar: Yoga-Lehrerinnen und Profi-Aussteiger werden wir hier bestimmt nicht finden.
Auf dem sonnendurchfluteten,
menschenarmen Gelände um uns herum befindet sich die 66'000m² grosse Feel-Good-Halle,
auf die wir heute all unsere Hoffnung gesetzt und die Körper in Bademode
gezwängt haben.

bild: bianca jankovska
Der Shuttle-Transport weckt ernstzunehmende
Gelüste der überarbeiteten Bevölkerung: Uns werden geheimnisvolle Tempel, seltene
Betelpalmen und schwarze Pakus aus dem Amazonasgebiet versprochen, die uns in
die mystischen Länder des Tropengürtels mitnehmen sollen.
Aber zuerst einmal zu den Spinds:

bild: bianca jankovska
Erstmal im Paradies angekommen, erinnert die knallrote Umkleidekabine
doch recht stark an Schwimmunterricht in der Schule – und weniger an
indonesische Tropeninseln. Aber gut.
Wer will pingelig sein, bei diesem bemüht-interkulturellen Gesamtkunstwerk!
Sofern der Rest stimmt, sind auch die 50 Franken Eintritt vergessen, die pro Person und Tag hingeblättert werden müssen.
Ein «Gefühl von Abenteuer» – meinen zumindest die Macher

bild: bianca jankovska
Erste Fragen kommen auf: schlafen Menschen wirklich freiwillig in
diesen Stoff-Zelten auf künstlichem Sandboden? Und wenn ja: wie viel hat man
ihnen dafür bezahlt? Und: Wie sollen wir je wieder zu unseren Handtüchern
finden, sofern wir einen Platz finden, diese abzulegen?
Willkommen im Dschungel
Das Areal besteht aus zwei Bereichen: Einmal aus der «Erlebniswelt» mit Rutschen, Minigolf (!), Indoor-Ballooning (!!!)
Fitness-Club, Tropendorf und Indoor-Regenwald. Und dann gibt es noch den einzig
wahren Entspannungshort für Erwachsene: Die tropische Sauna-Landschaft mit
einer Fläche von 10'000m², deren Wohlfühl-Zeremonien in Tempelimitationen wie «Angkor Wat» oder «Waiotapu-Geysire» abgehalten werden. Nackt, versteht sich.
Nach zwei Stunden haben wir erkannt: Das mit dem Liegen wird heute nichts mehr, zu euphorisch sind wir im Dickicht
unterwegs. Wohin, bei all der Auswahl? Aussenbecken mit Rutschen hier, Sauna voller
Pärchen da. Erstmal einen Drink. Trotz all des Kitsch’ sind meine Begleitung
und ich ein bisschen beeindruckt.

bild: bianca jankovska
Hallo, es gibt Haiwelse und Flamingos im hausinternen Tropenwald – und eine Hängebrücke.
Wer die Augen schliesst, könnte für
einen Moment vergessen, dass er seine Zehen unter einer künstlichen
Stahlkonstruktion ins warme Wasser steckt und nicht wirklich im Regenwald wandern
geht. Das Einzige, was fehlt: Sonne, die ins gutgeschmierte Dekolleté scheint
und den so typischen Hauch von verschwitzter Haut auf Strandtüchern vermittelt. Angst vor Sonnenbrand muss
hier niemand haben. Aber sei’s drum.
Punkteabzug beim Strand

bild: bianca jankovska
Eine Plakatwand wie auf der nächstbesten
Autobahn? Ernsthaft? Bei aller Liebe zur detailverliebten Nachahmung kulturfremder
Architektur: Niemand möchte vor einer Tapetenlandschaft schwimmen und sich
einreden müssen, am Strand zu sein. Dann lieber ehrlich und ganz ohne. Meine
Begleitung und ich werfen uns irritierte Blicke zu. Einerseits laufen wir auf
Sand, andererseits ist er kalt und nass – und damit so gar nicht tropisch. Wir
können uns nicht entscheiden, wo wir zuerst schwimmen gehen, gleichzeitig
spricht uns keines der Becken wirklich an. Die Qual der Wahl hat Überhand
genommen. Fünf Stunden sind definitiv nicht genug.
Wir entscheiden uns für die Rutschen, solange unsere
Körper trocken sind.
Wie in anderen Schwimmbädern auch, trifft der Badegast in der Schlange vor allem auf Kinder, die laut sind.

bild: bianca jankovska
Alles soweit beim Alten. Wer
nach dem Treppensteigen Hunger bekommt, muss im Tropical Island nicht auf seine
Gewohnheiten verzichten.
13 Restaurants hin oder her: Schnitzel mit Pommes lassen sich die deutschen Gäste jedenfalls nicht nehmen, falls hier
jemand kulinarische Extrawürste erwartet hat. Die meisten bestellen: Fleisch
mit Nudeln, Fleisch mit Brot, Caesar Salad. Diese Dinge.

bild: bianca jankovska
Damit die badenden
Gäste nicht aufs All-Inclusive-Feeling verzichten müssen, gibt es praktische Handuhren,
mit denen man die 9 Franken teuren Cocktails später bezahlen darf. Easy.
Zwei Tropical Island, bitte!
Leicht betrunken begeben wir uns auf
Entdeckungstour und wandern die Pfade ab, die uns von den Gründervätern
vorgeschrieben wurden. Vorbei am Bali-Tor, das den Zugang zu heiligen Anlagen symbolisiert
und von balinesischen Handwerkern angefertigt wurde hin zur polynesischen
Wohnhütte aus Baumstämmen und dem Bornei-Langhaus, das die künstlerische Bauart
der Orang Ulu repräsentiert. Was auch immer – die badenden Gäste müssen schon
einen Kurs in südostasiatischer Architekturgeschichte belegen, um bei dem
ambitionierten Projekt geistig mitzukommen.
Im Real-Life sehen die Sandsteinreliefe
und Bankirai-Hölzer (musste schnell googeln) neben Merchandise-Stand,
Kellertüren und Flippern eher deplatziert als prachtvoll inszeniert aus. Zumindest
bis das Flutlicht angeht. Vielleicht auch deshalb, weil – und hier muss ich
mich leider wiederholen – der ganze Zauber unter einer Kuppel stattfindet und
mit echtem Urlaub ungefähr so viel gemein hat wie Daniela Katzenberger mit
Hochkultur.
Die Menschen sind gekommen, um zu baden und einen Moment zu vergessen, dass sie 300 Tage im Jahr einen Scheissjob in einer Scheissfirma haben.
Nicht, um tatsächlich etwas über polynesische Wohnhütten zu
lernen.
Nachdem wir alle Pagodendächer
begutachtet und uns ausgiebig auf unserem Hintern durch diverse
Wasserlandschaften haben treiben lassen, wird es Zeit für die Realität. Während
wir draussen auf den Shuttle-Transport zurück zum Bahnhof warten, fängt es an zu
regnen.
Ich spüre meine latente Chlorallergie
wie zuletzt im Sommer 2008 und freue mich einen Moment darüber, den Tag nicht
vor dem Display, sondern in Nähe der bestmöglichen Alternative zum Mangroven-Sumpf
verbracht zu haben.
Die zehn beliebtesten Reise-Destinationen (Bali gehört auch dazu):
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Die 10 beliebtesten Reise-Destinationen
Corsin würde es im Tropical Islands bestimmt gefallen:
Video: watson/Corsin Manser, Emily Engkent
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