Das deutsche Nachkriegskino, das waren Heimatkitsch, Karl May, Edgar Wallace oder der «Schulmädchen-Report». Für anspruchsvollere Gemüter gab es Rainer Werner Fassbinder und Werner Herzog. International wurde das mehr oder weniger wohlwollend zur Kenntnis genommen. Bis 1981 «Das Boot» von Wolfgang Petersen aus dem seichten Gewässer des deutschen Filmschaffens auftauchte.
Die «Feindfahrt» einer deutschen U-Boot-Besatzung im Zweiten Weltkrieg um den von Jürgen Prochnow gespielten namenlosen Kaleun (Kapitänleutnant) und den Kriegsberichterstatter Leutnant Werner (Herbert Grönemeyer) war enorm teuer. Und eine Sensation: Erstmals zeigten die Deutschen, dass sie Hollywood können. «Das Boot» wurde ein phänomenaler Erfolg.
Das «echte» Hollywood honorierte es mit sechs Oscar-Nominationen, unter anderem für Petersen und die brillante Kamera von Jost Vacano. Der Film ging leer aus, dennoch wurde er für viele Beteiligte zum Karrieresprungbrett. Petersen und Prochnow zog es in die USA, und eine Riege junger Theaterschauspieler, darunter Heinz Hoenig und Uwe Ochsenknecht, etablierte sich im Film- und Fernsehgeschäft. Nur Herbert Grönemeyer ging seinen eigenen Weg.
Längst ist «Das Boot» zur Legende geworden, als einer der besten Kriegsfilme überhaupt. Neben der zweieinhalbstündigen Originalversion gibt es einen mehr als dreistündigen Director's Cut. Die ARD produzierte aus dem Material eine fünfstündige Fernsehserie, die kürzlich auf Netflix zu sehen war. Es war die perfekte Einstimmung auf die Neufassung.
Denn nach fast 40 Jahren hat sich der Pay-TV-Sender Sky erneut an den Stoff gewagt. Die Idee eines Remakes wurde schnell verworfen, wie Co-Produzent Marcus Ammon erklärt. Vielmehr wird die Geschichte als achtteilige Serie fortgeschrieben, mit neuem Boot und neuer Crew. Die Basis bildeten erneut die Romane von Lothar-Günther Buchheim, in denen er seine eigenen Erfahrungen als Kriegsreporter an Bord eines U-Boots verarbeitet hatte.
An das Original erinnert der Soundtrack, der die legendäre, in unzähligen Remixes verwurstete Titelmelodie von Klaus Doldinger zitiert. Ansonsten wurde die Geschichte völlig neu konzipiert und zweigeteilt. Während der Film fast ausschliesslich in der Enge des U-Boots spielt, wird in der Serie ein zweiter Erzählstrang an Land eingeführt. In dessen Zentrum steht eine Frau, ein gewichtiger Unterschied zum früheren Film, in dem Frauen nur ganz am Rand vorkommen.
Simone Strasser, eine prodeutsche Elsässerin (gespielt von der formidablen Luxemburgerin Vicky Krieps, ab Donnerstag auch im Kino in «The Girl in the Spider's Web» zu sehen), tritt eine Stelle als Übersetzerin im deutschen Flottenkommando im Atlantikhafen La Rochelle an. Dort wurde das ursprüngliche Boot bei seiner Rückkehr durch einen Luftangriff versenkt und ein grosser Teil der Besatzung getötet. Die neue Serie spielt einige Monate später.
In La Rochelle stationiert ist auch Strassers Bruder Frank (Leonard Scheicher), der heimlich der französischen Résistance zudient. Als er kurzfristig als Funkmaat auf das neue Boot U 612 abkommandiert wird, zieht er Simone in diese Aktivitäten hinein und bringt sie in Teufels Küche. Denn ein Gestapo-Mann (Tom Wlaschiha aus «Game of Thrones») hat ein Auge auf sie geworfen.
Die Handlung auf dem Boot dreht sich um den neuen Kaleun Klaus Hoffmann (Rick Okon). Gleich zu Beginn liefert er einen Matrosen, der wegen Feigheit angeklagt ist, mit seiner Aussage einem Erschiessungskommando aus. Nicht nur deswegen plagt Hoffmann das Gewissen. Sein Kommando verdankt er der Tatsache, dass sein Vater ein U-Boot-Held im Ersten Weltkrieg war.
Die Besatzung von U 612 beäugt ihn deswegen mit Misstrauen bis unverhohlener Abneigung, allen voran der 1. WO (Erste Wachoffizier) Tennstedt (August Wittgenstein), der selber gerne Kommandant geworden wäre und bei seiner Crew beliebt ist. Kaum läuft das brandneue Boot zu seiner ersten Feindfahrt aus, entladen sich die Spannungen zwischen den beiden jungen Offizieren.
Die beiden ersten Folgen von «Das Boot», die watson bei einem Screening in Zürich zu sehen bekam, sind verheissungsvoll. Der österreichische Regisseur Andreas Prochaska («Das finstere Tal») hat alle acht Episoden inszeniert, was ungewöhnlich ist für eine Serie. Er baut die beiden Erzählstränge sorgfältig auf, die Figuren sind differenziert gestaltet.
Was allenfalls fehlt, ist der «Dreck», der den Film so beeindruckend machte. Als Zuschauer wurde man in die klaustrophobische Atmosphäre an Bord regelrecht hineingezogen. Man glaubte sogar, den Gestank aus Dieselöl, menschlichen Ausscheidungen und Küchenduft riechen zu können. Hier haben die weiteren Folgen Steigerungspotenzial.
Bei den deutschen Schauspielern setzt man wie 1981 auf unverbrauchte Gesichter. Einige Gaststars sorgen dank dem US-Koproduzenten für Glamour, darunter Lizzy Caplan («Masters of Sex», «Now You See Me 2») als zwielichtige, morphiumsüchtige Amerikanerin, die im französischen Widerstand aktiv ist. Oder Vincent Kartheiser («Mad Men») als Amerikaner, der auf Befehl von Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels an Bord des U-Boots gebracht wird.
Zwei Folgen erlauben kein endgültiges Fazit, und doch wagt man die Behauptung, dass Sky mit der Neuauflage von «Das Boot» nicht abgesoffen ist. Sondern nach «Babylon Berlin» einen weiteren Serienhit gelandet hat. Vom Legendenstatus des Originalfilms hat der Sender ohnehin profitiert: Schon vor dem Start konnte die neue Serie in mehr als 100 Länder verkauft werden.