Der Chemiekonzern BASF, weltweit einer der grössten Hersteller von Autofarben, veröffentlicht jedes Jahr seinen BASF Color Report 2023 for Automotive OEM Coatings – der Bericht zu Beliebtheit von Autofarben. Für das Jahr 2023 sieht's so aus:
Schwarz hat zugelegt mit +3 %. Silber ist der Verlierer (–3 %). SPANNEND.
Jap. Weltweit fährt eine überwiegende Mehrheit von 81 % Autos, die in Weiss, Schwarz, Grautönen oder – uuh, gewagt! – Silber lackiert sind.
Ihr kennt das ja:
Die überragende Mehrheit aller Autofarben sind demnach ... eigentlich gar keine Farben: Schwarz, Grautöne, Silber, Weiss. Was man im Fachjargon «unbunt» nennt; «achromatics».
Freilich sind regionale Unterschiede zu erkennen, doch überall sind die Nicht-Farben am populärsten.
Na, wenn das kein Grund zum Feiern ist: BASF darf berichten, dass «der asiatisch-pazifische Raum die einzige Region ist, in der die Farbvielfalt zugenommen hat» (es stellt trotzdem eine kleine Minderheit von 21 % dar – und auch nur, wenn man Beige als «bunt» bezeichnet). Europa/Naher Osten/Afrika? Nix da. «Achromatische Farben, einschliesslich Weiss, Schwarz, Grau und Silber, haben stark an Beliebtheit gewonnen.»
Was noch? «Im Jahr 2023 hat Silber Grau überholt und ist zur drittbeliebtesten Farbe in Nordamerika aufgestiegen.» Und in Südamerika «ist der Anteil der unbunten Farben auf den Strassen grösser als irgendwo sonst».
Oder anders gesagt: Die überragende Mehrheit aller Autofahrer sind MUTLOSE LANGWEILER.
Wieso eigentlich? Ja nicht auffallen? Die Nachbarn könnten reden? Oder sind wir bloss knauserige Schisshasen? (Nachweislich erzielen auffälligere Autofarben niedrigere Preise auf dem Occasionsmarkt.)
Da denkt man nostalgisch an anno dazumal zurück – etwa an zweifarbige Farbschemata der Fünfzigerjahre.
Heute unvorstellbar. Später, um 1970, gab es für das Muscle-Car-Segment schier Unglaubliches im Angebot: Ford Mustangs in Grabber Blue, Dodge Challengers in jenem leuchtenden Sub Lime; Hugger Orange für den Chevrolet Camaro ...
Zugegeben, das war ein eher kleines, sehr spezifisches Marktsegment. Laute Farben für laute Autos, eben. Lamborghinis und Konsorten gibt es auch heute in Leuchtgrün. Klar.
Aber selbst Otto Normalverbraucher gönnte sich gerne mal einen Göppel in heute kaum noch erhältlichen Farben. Der Fiat 128 meiner Grossmutter anno 1974 war erbsengrün:
Heute unvorstellbar. Ebenso das Ford Metallic Brown – sicherlich keine «mutige» Farbe, aber eine, das für die Cortina damals eine der populärsten Lackierungen war. Und eine, die inzwischen so gut wie tot ist.
Ebenso jenes klassische Ermine White aus den Sechzigerjahren, hier auf einer 1966er Lotus Cortina zu sehen, mit Streifen in Sherwood Green:
Alles sehr ikonische Farben – nur schon vom Namen her. «Sherwood Green» – geil. Und obwohl obige Farbschemen nicht allzu marktschreierisch und durchaus nachbarschaftskonform sind ... nun, wie viele Autos siehst du heutzutage in Ford Metallic Brown?
Was ist passiert?
Im Interview mit dem Auto-Magazin «Jalopnik» anno 2020 bestätigte der leitende Farbdesigner für BASF North America, Paul Czornij, dass Autofarben bereits seit den Achtzigerjahren kontinuierlich weniger bunt wurden. Die Ursachen liegen mitunter im technologischen Fortschritt:
Und dann kommt unweigerlich die psychologische Komponente hinzu: Seit den Achtzigerjahren nahmen technologische Gadgets in Autos immer mehr zu.
Angemessen für den Markt bedeutet – logischerweise –, auf Nummer sicher zu gehen. Ja, es gibt weiterhin die kleine Minderheit von High-End-Sportwagen in kräftigen Rottönen oder Ampelgelb. Und am unteren Ende des Preissegments bei den Kleinstwagen darf man mit verspielteren Farbtönen experimentieren: Fiat 500 und Co. gibt es in bunt. Aber in der Mittel- und oberen Mittelklasse setzt man auf Seriosität.
Fassen wir also zusammen: Die aktuelle (Nicht-)Farbpalette beruht auf technologischen Entwicklungen in Farblackierung und wie der Markt diese dem Konsumenten anbietet, gekoppelt mit den urmenschlichen psychologischen Assoziationen der Kundschaft. Deshalb ist etwa Grün, in den Siebzigerjahren eine populäre Farbe, weitestgehend verschwunden. Grün ist die hungrige Raupe aus dem Kinderbuch. Anthrazit-Metallisé, hingegen, das ist Fortschritt.
Leider.