Ein lautes «Ahhh» schallte bei Fehlpässen durch die spärlich besetzte Arena. Laola-Wellen kreisten angestrengt durch das Schalker Stadion. Das waren schon die stimmungsvollen Highlights der knapp 42'000 Zuschauer beim Spiel zwischen Deutschland und den Niederlanden am Montagabend. Dieses Stimmungsbild könnte dem ganzen Fussball bevorstehen.
Eigentlich ist Deutschland gegen die Niederlande eines der prestigeträchtigsten Duelle des Fussballs. Es gibt zu diesem Duell mehr Geschichten, als RB Leipzig Vereinsjahre hat. Vom WM-Finale 1974 in München über Frank Rijkaards Spuck-Attacke gegen Rudi Völler bei der WM 1990 bis hin zum deutschen 3:0-Sieg 2011 in Hamburg, als eine ganze Republik glaubte, die EM gewinnen zu können. Im Vereinsfussball wäre dieses Duell der Inbegriff eines Derbys.
Die gestrige Stimmung im Stadion ähnelte hingegen einer Trauerfeier – nur, dass es dort wenigstens Emotionen gibt.
2:0-Führung gegen Holland. Ehrentribüne in purer Ekstase. #GERNED #FUMSLIVE pic.twitter.com/mt2ByKd0rl
— FUMS (@fums_magazin) 19. November 2018
«Man kriegt natürlich mit, dass die Stimmung schon mal besser war, aber das ist jetzt halt so», fasste Toni Kroos nach dem ärgerlichen 2:2 enttäuscht zusammen. Dabei spielten die Nationalkicker bis zu den Gegentoren ihr wohl bestes Spiel im schlechtesten Jahr der Nationalmannschaft seit 111 Jahren. Und das ist das grosse Problem: Die Leistung der Spieler ist gar nicht verantwortlich für die Stimmung.
Es ist der Fussball selbst.
Es liegt auch am Modus. Wie emotional kann ein Fantasiepokal an einem Montagabend sein? Das Spiel zwischen Deutschland und den Niederlanden ist Teil der Nations League, also eines neu erfundenen Wettbewerbs, um Freundschaftsspiele wieder attraktiv zu machen. Dass das Spiel werktags stattfindet, kommt da noch oben drauf. Und Geld kostet ein solches Ticket natürlich auch noch.
Da spielt es fast gar keine Rolle mehr, dass die deutsche Mannschaft in dieser Fantasieliga schon als Tabellenletzter abgestiegen war.
Das Spiel war dementsprechend nicht ausverkauft: Von den insgesamt 54'740 blauen Sitzschalen (bei internationalen Spielen) waren noch einige zu erkennen, es kamen laut DFB nur 42'186 Zuschauer.
«Eure Scheiss-Stimmung, da seid ihr doch dafür verantwortlich und nicht wir!», schimpfte Bayern-Manager Uli Hoeness im November 2007, als sich Fans über die hohen Eintrittspreise und die fehlenden Emotionen der FCB-Fans beschwerten. So oder so ähnlich könnte auch der DFB argumentieren – und läge damit genau so falsch wie Hoeness.
Richtig, bei der Nationalmannschaft herrscht nicht erst seit gestern eine ganz andere Stimmung als etwa in so manchem Stadion der Bundesliga (oder auch der Regionalliga). Emotionale Fangesänge? Fehlanzeige. Selbstgemalte Choreografien? Natürlich nicht! Der gestrige Abend war aber auch für die Nationalmannschaft ein neuer Tiefpunkt.
Dabei wollte der DFB seine Fans organisieren, wie es in den Vereinen die Ultras tun – und der Verband erschuf den «Fan Club Nationalmannschaft powered by Coca-Cola». Natürlich schaffte er nicht das, was Ultras ausmacht. Nein, wir sprechen nicht über Pyro. Wir sprechen von einer autarken Subkultur.
Ultras machen nicht nur Stimmung und basteln bunte Choreos. Sie kämpfen für bezahlbare Tickets, für den Erhalt der Stehplätze, sie stellen sich gegen den Ausverkauf des Fussballs und machen sich mitunter gegen Diskriminierung stark. Ein Fanclub, der von einem Weltkonzern gesponsert ist und an den Verband angegliedert ist, kann das nicht leisten. Ultras lassen sich nicht verordnen.
Zu befürchten ist: Die Stimmung bei Länderspielen wird sich auch in Zukunft nicht bessern – selbst wenn die Nationalelf ins Europameisterschaftsfinale ziehen würde. Das Spiel der Nationalmannschaft zeigt vielmehr, wie es bald auch in den Stadien der Bundesliga aussehen könnte, denn der Fussball ist an vielen Fans schon vorbeigezogen.
Warum? An allen Ecken brennt es derzeit: In Zeiten, in denen sich die Fussball-Funktionäre organisieren, um das Financial Fairplay zu untergraben, Super- und Nationsligen zu planen oder wie Fifa-Boss Gianni Infantino gleich alles verkaufen zu wollen, um noch mehr Geld aus der Fussballzitrone zu quetschen, fühlen sich die Fans allein gelassen. Dazu kommen Spiele von Montag bis Sonntag in beinah jeder Woche. Die Fans werden nicht nur satt, sondern auch müde und arm. Obendrauf kommen schliesslich immer teurere Trikots, Tickets und TV-Abos.
Und was macht der DFB? Der ersetzt den Tor-Jingle «Schwarz und Weiss» von Black-Facing-Comedian Oliver Pocher durch «Chöre» von Mark Forster. Das passt dann auch ins Bild: Denn auch dieser Radiohit hat das Ziel, möglichst viele Menschen mit möglichst seichter Kost zu erreichen. Dieser Song ist im Grunde genau so austauschbar wie ein DFB-Länderspiel. Sorry, Mark.