Karl Erb wird die Sportberichterstattung praktisch in die Wiege gelegt. Vater Fritz, einst Verdingbub, leitet als Chefredaktor von 1928 bis 1963 die Fachzeitung «Sport», welche er zum einflussreichsten Sportmedium seiner Zeit macht. Karl, einer seiner drei Buben, beginnt 1946 eine eigene Medienkarriere als freier Journalist für verschiedene Tageszeitungen. Aber er ist, wie sein Vater, eine viel zu starke Persönlichkeit, um einfach zu beschreiben, was passiert. Er berichtet nicht nur von «grossen Kisten» wie den Olympischen Spielen. Er gestaltet den Sport bald mit. Er wird Pressechef bei grossen Anlässen und als Platz-Speaker amtiert er unter anderem bei der Fussball-WM 1954 in der Schweiz.
1961 entdeckt das aufstrebende Medium Fernsehen den vielseitigen jungen Mann. Karl Erb wird der erste helvetische Sport-Medienstar. In einer Zeit, als die Sportberichterstattung aus staubtrockenen Fakten, Zeiten und Klassierungen besteht, bringt Karl Erb Emotionen in seine Übertragungen.
Im Vergleich zu heute ist er sachlich. Aber die Zeitgenossen sind überwältigt, als er bei Siegesfahrten von Bernhard Russi den Tränen nahe ist. Was ihm harsche Kritik der Puritaner einträgt. Andere Zeiten, andere TV-Gewohnheiten.
Aber Karl Erb ist nicht einfach ein Animator. Er bereichert seine Übertragungen dank seinem enormen Fachwissen mit Hintergrundinformationen, die ein Publikum staunen lässt, das in diesen Zeiten noch nicht viel mehr als die Jahrgänge seiner Stars kennt. Und er kann auch ein scharfer Kritiker sein. Er ist den Stars seiner Zeit nahe und versteht es doch, im Denken, im Urteil sachlich und unabhängig zu bleiben.
Erb ist die Stimme, ja die Personifizierung, einer goldenen Zeit unseres Sportes. Populär wie Bernhard Russi oder Roland Collombin, deren Heldentaten im Schnee er über den TV-Schirm in die warmen Stuben bringt. Es sind auch die goldenen Tage von Sapporo mit vier Schweizer Olympiasiegen und zehn Medaillen.
Nie vorher und nie mehr seither steht die Schweiz so sehr im Banne von Sporterfolgen wie im Februar 1972. Wer die von Karl Erb kommentierten Live-Übertragungen der goldenen olympischen Fahrten von Russi und Marie-Theres Nadig in den Morgenstunden (wegen der Zeitverschiebung mit Japan) erlebt hat, vergisst sie ein ganzes Leben lang nicht mehr.
Wäre der «Mythos Bernhard Russi» ohne Karl Erbs TV-Übertragungen möglich geworden? Sie sind auf jeden Fall ein zentraler Bestandteil der ewig währenden Popularität des Weltmeisters von 1970 und Olympiasiegers von 1972. Karl Erb ist der wohl wichtigste Architekt des «Mythos Bernhard Russi.»
Wie populär Karl Erb in den 1970er-Jahren war, hat treffend wie kein anderer Stefan Oswald, der Doyen der Ski-Chronisten in der NZZ, so geschildert: «Wenn er mit seiner zweiten Frau, der ehemaligen Skirennfahrerin Sylvia Zimmermann, und der gemeinsamen Tochter durch die Zielräume schritt, hatte das fast schon die Ausmasse einer Prozession.» Ein Star, populär und doch nie arrogant. Freundlich, bescheiden, zuvor kommend und im kleinen Kreis ein grossartiger Unterhalter.
Erb ist nicht nur in der Art und Weise, wie er die TV-Kommentierung von Sportereignissen prägte, ja revolutionierte (er war auch ein Fachmann für die Formel 1, die Leichtathletik und den Reitsport) der Zeit voraus. Er mag es zwar nicht, wie der Sport «boulevardisiert» wird, wie auf einmal Liebesaffären der Stars wichtiger werden als die sportlichen Leistungen.
Aber viel früher und viel besser als seine Zeitgenossen erkennt er die heraufziehende Kommerzialisierung des Sportes und die Werbewirkung der Sportstars. Das Schweizer Fernsehen versucht seinen populärsten Sportkommentator ab 1980 mit einer Festanstellung zu halten. Aber Karl Erbs Persönlichkeit ist grösser als eine schöne Anstellung beim staatstragenden Medium.
Er macht sich als Mitbegründer der ersten Sportvermarktungs-Firma der Schweiz (ProSport) selbständig. Sie scheitert. Nicht am Konzept und nicht an der Kompetenz der Firmengründer. Die Zeit ist einfach noch nicht reif. Bereits zehn Jahre später hätte Karl Erb mit dieser Firma ein Vermögen gemacht. Er scheitert in diesem Business als ein Pionier, der seiner Zeit zu weit voraus ist.
Nach dem Rückzug vom Fernsehbildschirm und aus dem Sport-Business kehrt Erb an die Ursprünge seiner Karriere zurück. Er schreibt. Schon während seiner Zeit als TV-Kommentator hat er Biographien verfasst. Die von ihm orchestrierten Internationalen Sportjahrbücher gelten heute als Standardwerke der Sportgeschichtsschreibung.
Nach dem Scheitern seiner zweiten Ehe zieht Karl Erb 1993 ins Tessin nach Locarno. Dort ist er am Mittwoch im Beisein seiner engsten Angehörigen im 93. Lebensjahr verstorben.