Die SwissCovid-App funktioniert, abgesehen von kleineren Problemen: Das heisst, die App hilft, Infektionsketten zu unterbrechen. Sie bringt aber nicht den erhofften Nutzen. Gegenüber watson bestätigt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) erstmals, dass die internen Abläufe rund um das Ausstellen der Covidcodes verbessert werden sollen.
Für viele SwissCovid-User muss es wie ein Hohn klingen, was ihnen ihr Smartphone in Aussicht stellt: «Gemeinsam ... Eine zweite Welle verhindern». So steht es in der App. Doch die Realität ist eine andere. Die zweite Welle der Corona-Pandemie hat die Schweiz längst erreicht und droht die Gesundheitssysteme in den Kantonen zu überlasten.
Seit Monaten warnten Epidemiologen vor einer Eskalation. Auch wenn die Wissenschaftler vieles noch nicht mit letzter Sicherheit wissen, so herrscht Einigkeit bezüglich der Massnahmen zur Eindämmung des Virus. Doch foutierten sich viele Schweizerinnen und Schweizer darum und gefährdeten mit unvorsichtigem Verhalten sich selbst und andere.
Dies gilt für das Tragen von Schutzmasken und Abstand halten (Social Distancing), um Tröpfcheninfektionen zu vermeiden. Dies gilt für die freiwillige SwissCovid-App, die Infizierten ermöglicht, «engere Kontakte» anonym zu warnen.
Bezüglich SwissCovid lassen sich zwei Problembereiche ausmachen:
1,6 Millionen aktive User waren es in den Sommermonaten. Genug, um einzelne Infektionsketten zu unterbrechen. Viel zu wenig, um Covid-19 einzudämmen. Während die Infektionszahlen explodierten und sich von Woche zu Woche verdoppelten, blieb es um SwissCovid verdächtig ruhig. Am Mittwoch, am Tag, an dem der Bundesrat erneut einschneidende Massnahmen gegen das Virus verkünden musste, zählte die App noch weniger als 1,9 Millionen User.
Erschwerend hinzu kommt, dass die App in vielen Fällen nicht wie erwartet genutzt werden kann. Bekanntlich muss man nach Vorliegen eines positiven Corona-Tests von einer offiziellen Stelle einen sogenannten Covidcode erhalten und diesen in der App eingeben, um andere zu warnen. Dies sollte möglichst schnell passieren, da man nach einer Infektion ohne Krankheitssymptome ansteckend sein kann.
Beim watson-Redaktor haben sich in den vergangenen zwei Wochen mehrere Personen gemeldet, die zum Teil gravierende Missstände und Versäumnisse in den Kantonen schildern, die rund um das Contact Tracing bestehen.
Die grössten Problembereiche:
Am 20. Oktober informierte ein watson-User:
Es sei nicht so, dass der Prozess hinter der App schlecht funktionieren würde und man vielleicht etwas besser sein könnte, meint der watson-User. Er funktioniere schlicht nicht.
Dem pflichtet ein unabhängiger Fachmann bei:
watson hat beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) nachgehakt. Nach mehrtägigen Abklärungen durch die Verantwortlichen trafen am Mittwochabend die ausführlichen Antworten des SwissCovid-Sprechers Marco Stücheli ein.
Zunächst einmal hat watson nachgefragt, ob das Ausstellen der Covidcodes durch die Kantone/Kantonsärzte gescheitert sei und es darum grundlegend geändert werde.
Marco Stücheli:
Das heisst, in absehbarer Zukunft sollen vermehrt auch Arztpraxen und Spitäler Covidcodes ausstellen. Das entsprechende IT-System, das vom BAG betrieben wird, ist einfach und sicher zu bedienen, wie watson berichtete.
Angesichts der Überforderung in den Kantonen wäre es naheliegend, dass der Bund das Ausstellen der Covidcodes komplett übernehmen würde, oder? Dazu das BAG:
In der SwissCovid-App steht, wenn man vom Kanton keinen Covidcode erhält, soll man die Hotline (Medgate) anrufen. Allerdings werden Anrufer laut Schilderungen häufig vertröstet und man sagt ihnen, sie sollen auf einen Rückruf warten. Gemäss Betroffenen dauert es zum Teil sehr lang, bis jemand zurückruft. Welche Erkenntnisse hat da das BAG? Was wird gegen die temporäre Überlastung unternommen?
Einige watson-User fragen sich, warum die Covidcodes nicht von den Laboren zusammen mit dem positiven Testergebnis ausgegeben werden. So müsste man nicht auf das überlastete Contact Tracing warten. Die Antwort des BAG:
Die deutsche Corona-Warn-App basiert wie SwissCovid auf den technischen Schnittstellen, die Apple und Google für iPhones und Android-Smartphones zur Verfügung stellen. Warum machen es die Schweizer Entwickler nicht wie die Deutschen und implementieren in die Schweizer Corona-Warn-App eine Funktion wie bei der deutschen Corona-Warn-App, wo man beim Corona-Test in einem Formular ankreuzt, dass man das Testergebnis über die App erhalten möchte? So erhielten positiv Getestete praktisch automatisiert den Covidcode.
Dazu der BAG-Sprecher:
Aus Transparenz- und Fairnessgründen ist an dieser Stelle anzumerken, dass in Deutschland viele Labore mit der Umsetzung des Prozesses zu kämpfen haben.
Die technische Anbindung an die Corona-Warn-App stelle vor allem Kliniken vor Herausforderungen, heisst es. Die Integration in die vorhandenen Computersysteme sei um einiges komplizierter als bei externen Corona-Teststellen.
So läufts in Deutschland: Man kann den Corona-Test in der deutschen Warn-App hinterlegen und erhält dafür vom zuständigen Labor einen QR-Code. Die User können diesen Code nach dem Test in die App einscannen. Nach der Auswertung findet man das Testergebnis in der App und kann daraufhin andere User freiwillig und schnell warnen.
Um diesen Prozess realisieren zu können, müssten Testlabore allerdings entsprechend gerüstet sein. Neben der Möglichkeit, QR-Codes zu erstellen und der Ausstattung mit entsprechenden Lesegeräten benötigten die Labore zudem eine Verbindung zum Verifikationsserver der App. Vor allem für Klinik-Labore ziehe dies Probleme mit sich. Da die Spitäler als sogenannt kritische Infrastrukturen gelten, müssen die Computersystem und Daten besonders geschützt sein.
Ein App-Zwang ist in der Schweiz ausgeschlossen, das hat das Parlament in der Sommersession entschieden.
Das sehen mittlerweile die meisten demokratischen Staaten so, auch wenn die portugiesische Regierung kurz über eine obligatorische App nachdachte – nur um kurz darauf, nach massiver Kritik, wieder zurückzukrebsen.
Das Smartphone taugt nur als freiwilliges Hilfsmittel zur Seuchenbekämpfung. Nur ist dies einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung offensichtlich schwer zu vermitteln.
Vielerorts scheint es an Digitalkompetenz zu mangeln. Umso wichtiger ist es, die Überzeugungsarbeit zu leisten. Und genau da liess man beim Bund die Zügel schleifen.
Die seit Monaten versprochene Informationskampagne, die die App ins Zentrum stellen sollte, habe sich verspätet, kritisiert Digitalexperte Jean-Claude Frick vom Vergleichsdienst Comparis. Ausserdem wirkten «die ewigen Appelle des Bundesrats, die App doch bitte zu installieren, eher hilflos».
Aus seiner Sicht sollte mit Hilfe von Influencern breiter für die App geworben und der Nutzen der App in den sozialen Medien «zielgruppengerecht» dargelegt werden.
Viele würden sich ausserdem über erweiterte Funktionalitäten freuen, meint der Digitalexperte. So nützlich die SwissCovid-App auch sei, so langweilig komme sie daher.
Ob ein solcher Mehrwert tatsächlich einen spürbaren Effekt hätte auf die Zahl der aktiven User, ist fraglich. Ganz sicher muss die Aufklärungsarbeit intensiviert werden.
Aus Deutschland wissen wir, dass nur 60 Prozent der Nutzer, die über die App ein positives Testergebnis erhalten, dieses auch weitergeben. Wie sieht das bei SwissCovid aus und wie kann die Warnquote verbessert werden?
Dazu der SwissCovid-Sprecher:
Für das Nicht-Eingeben der Covidcodes in der SwissCovid-App gebe es verschiedene mögliche Gründe:
Ausserdem weiss das BAG nicht, wie viele positiv getestete Personen die App haben, aber keinen Covidcode wollen. Aus den oben genannten Gründen und den zu vielen unbekannten Faktoren könne man «keine genaue Berechnung anstellen und auch keine Abschätzung machen», heisst es.
Ab Montag kommen Antigen-Tests zum Einsatz, die innert 15 Minuten eine Infektion mit Sars-CoV-2 anzeigen können. Der Bundesrat hat dafür grünes Licht gegeben.
Ein weiterer grosser Vorteil sei, dass es für die Auswertung kein Labor brauche. «Personen mit Covid-19-Symptomen können sich also auch in Arztpraxen oder Apotheken testen lassen und erhalten gleich vor Ort Bescheid.»
Ein Einsatz der Schnelltests sei auch möglich bei Personen, die keine Symptome haben, aber eine Meldung der SwissCovid-App erhalten haben, hiess es. Betroffene sollten aber bei einem positiven Ergebnis zur Sicherheit einen PCR-Test durchführen. Die Kosten für die Schnelltests übernehme der Bund – allerdings nur, wenn die Bedingungen erfüllt seien.
Die Schnelltests bringen also bezüglich SwissCovid-App und Alarmierungs-Ablauf keinerlei Beschleunigung. Hingegen ist es Betroffenen überlassen, ob und wie intensiv sie ihre engeren Kontakte persönlich vorwarnen wollen.
Das grenzübergreifende Funktionieren der nationalen Corona-Warn-Apps (die sogenannte Interoperabilität) wäre wichtiger denn je, solange die Grenzen offen stehen, Geschäftsleute einreisen und vor allem Grenzgänger aus den Nachbarländern in der Schweiz arbeiten. Angesichts der stark angestiegenen Infektionszahlen dürfte dem Anliegen in der Politik allerdings wenig Priorität eingeräumt werden. Frankreich und Deutschland verfügen erneute Lockdowns und der Trend geht wieder hin zu Abschottung statt Kooperation.
Die Schweiz liegt mitten in Europa, muss aber als Nicht-EU-Mitglied zuschauen, was die grossen Nachbarn tun.
Bei der Kontaktverfolgung herrsche teils Chaos, kommentiert das deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» und bezieht sich auf die in Europa verfügbaren Corona-Warn-Apps. 19 verschiedene nationale Apps gebe es derzeit. Zwar habe die EU-Kommission eine Plattform bereitgestellt, mit deren Hilfe die unterschiedlichen Programme Daten austauschen können. Derzeit aber sei das nur mit den Apps aus Deutschland, Italien und Irland möglich. «Bis Ende November sollen zwar rund ein Dutzend Länder folgen, weitere könnten später nachziehen.» Doch ausgerechnet Frankreich nutze eine App, die technisch nicht mit den anderen kompatibel sei.
Die Schweiz steckt wegen des Rahmenabkommens in zähen Verhandlungen mit der EU und kann auf absehbare Zeit nicht mit Entgegenkommen rechnen. Spätestens im nächsten Frühjahr muss aber eine Einigung vorliegen, damit der Datenaustausch zwischen den nationalen Apps klappt, wenn die Infektionszahlen sinken und wieder mehr Menschen reisen.
Auch wenn es nach Wiederholung klingt: Wir müssen aus der aktuellen Welle lernen, bevor die nächste kommt.
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