Zieht euch dieses Öko-Desaster mal rein:
Das ist ein Chevrolet Impala SS396, Baujahr 1966. Er hat einen 6,5-Liter-V8 Big Block Motor mit 300wasweissich PS. Den genauen Verbrauch habe ich nie ausgerechnet, aber wenn man genau hinhört, kann man bei Vollgas das Klimpern der Fünfliber-Münzen vernehmen, die aus dem Auspuff geworfen werden.
Boah, so ein Steinzeit-Ding mit seinem ineffizienten Verbrenner-Motor trägt gewiss krass zu den Treibhausgasemissionen bei, nicht?
Offenbar nicht. Ein durchschnittlicher Oldtimer verursacht ungefähr halb so viele Emissionen pro Jahr wie der Gebrauch eines Smartphones.
Aber zuerst etwas Kontext: Weshalb reden wir überhaupt von Veteranenfahrzeugen? Inwiefern sind sie relevant?
Weil der Oldtimermarkt boomt wie noch nie (dies schon seit geraumer Zeit, entscheidend aber hat er während des Lockdowns, bzw. der Pandemie, nochmals stark zugelegt).
Parallel dazu hat sich die Zulieferindustrie ausgebreitet. In Europa und den USA sind das zahllose KMUs, die hochspezialisierte Produkte und Dienstleistungen anbieten: Restaurateure, Restomodder, Lehrbetriebe, Rennställe und und und. Dies ist weit mehr als eine Nischenindustrie. Alleine in Grossbritannien, als Beispiel, setzt die dortige Classic Car Industry jährlich 23 Milliarden Franken um.
Dies mag auf den ersten Blick erstaunen, denn in Europa werden Massnahmen ergriffen, um das Ende des Verbrennungsmotors einzuläuten. So werden in Grossbritannien wiederum ab dem Jahr 2030 keine neuen Benzinautos mehr verkauft werden dürfen. Nun, dies bedeutet nicht, dass ab 2030 plötzlich keine Benziner mehr auf den Strassen fahren dürfen, sondern es bezieht sich auf den Verkauf von Neuwagen. Und – ohne hier zu sehr auf Details einzugehen – es wird wohl noch Dekaden dauern, bis Verbrennungsmotoren komplett weg sind. Die Oldtimer-Industrie sieht sich demnach nicht bedroht; trotzdem will sie sich einer Evaluation ihrer Nachhaltigkeit unterziehen.
Dass ältere Motoren in Bezug auf Effizienz und Emissionen nicht mit modernen Motoren mithalten können, geschweige denn mit EV-Antriebssystemen, steht ausser Frage. Trotzdem aber unterbietet ein durchschnittlicher Oldtimer beide in Sachen CO₂-Emissionen pro Jahr, wie aus einer Studie des Centre for Economics and Business Research (CEBR) hervorgeht.
Denn: Egal, wie umweltfreundlich moderne Autos im Betrieb sind, dessen Herstellung kann mitunter extrem umweltschädlich sein. Fast alles ist neu, das Metall wird geschmolzen und oft Tausende von Kilometern entfernt erzeugt und in riesigen Schiffen über den Seeweg transportiert.
Die elektronischen Bauteile enthalten Lithium, Kobalt und Zink, die alle im Tagebau aus der Erde geholt werden müssen, was zu giftigen Abwässern führen kann, ganz zu schweigen von weiteren Transporten. Darüber hinaus bestehen das Innere und viele Komponenten oft aus Kunststoffen und die Kunststoffabfälle sind eine ernsthafte Herausforderung für die Umwelt. EV-Hersteller Polestar, als Beispiel, nennt 24 Tonnen verursachte CO₂-Emissionen für die Herstellung seiner Mittelklasse-Limo Polestar 2 (siehe Anhang *).
In der westlichen Welt kauft der typische Autobesitzer durchschnittlich alle 5 bis 7 Jahre (!) ein neues Auto. «Je schneller man ein Auto ersetzt, desto mehr CO₂ stösst es aus. Das ist bei Elektroautos nicht anders, denn wenn die Nachfrage nach neuen Autos steigt, schiessen die Emissionen der Hersteller in die Höhe», so Shigemi Kagawa, Professor an der Wirtschaftsfakultät der Universität Kyushu, in einer Studie. Etwaige Emissionseinsparungen während des Betriebs gehen so flöten, weil bei der Herstellung des neuen Wagens wieder neue Emissionen verursacht werden.
Zurück zum Thema Oldtimer; die punkten nämlich in den oben genannten Kategorien mehrfach:
Deren Herstellungsemissionen sind gleich null. Das Auto ist gebaut, die anno dazumal entstandenen Emissionen sind versunkene Kosten. Wer einen 50 Jahre alten Göppel fährt, hat gewissermassen die Herstellungsemissionen von bis zu 10 Autos gespart.
Ja, deren Motoren sind ineffizient. Aber sie kommen auch massiv weniger zum Einsatz. In der Schweiz ist für den Veteraneneintrag im Fahrzeugausweis eine maximale jährliche Fahrstrecke von 2000 km zulässig. Dies entspricht auch ungefähr dem Durchschnitt von 1200 Meilen, welche die umfangreiche CEBR-Studie einsetzte und damit ausrechnete, dass der ökologische Fussabdruck eines typischen Oldtimers ... ganze 563 kg CO₂-Emissionen pro Jahr beträgt (**).
Dies entspricht etwa der Hälfte der Emissionen, die bei der jährlichen Nutzung eines Smartphones entstehen (***).
Oder bei einem einwöchigen Urlaub am Mittelmeer.
Oder andersrum: Würde eine Person ihre Ausgaben für den Ausgang oder Restaurantbesuche auf das Hobby eines Oldtimers umstellen, würde sie ihre Umweltemissionen halbieren. Würden sie ihre Ausgaben für Kurzurlaube auf die gleiche Weise umlenken, würden ihre Emissionen sogar um 90 Prozent gesenkt werden.
Wie oft ersetzen wir unser Handy? Wie oft unseren Laptop? Unseren Fernseher? Unser Auto? Die Akkus des Elektroautos? Wie oft kaufen wir neue Kleider ein? Wo und wie wurden diese hergestellt? Ach, die Liste liesse sich endlos fortsetzen. Kurzum, der knatternde 60er-Jahre-Porsche, der da eine grauschwarze Abgaswolke ausstösst, ist im Gesamtkontext ökologisch irrelevant.
Heisst das, wir sollten nun alle alte Göppel kaufen statt den neuen Tesla? Vielleicht nicht, denn die Alltagsmobilität muss weg vom Verbrennungsmotor kommen, keine Frage.
Aber: Stellen wir uns doch mal eine Welt vor, in der wir uns vermehrt auf das Erhalten statt auf das Ersetzen konzentrieren. Das wäre doch mal was.
Derweil freuen wir uns über den einen oder anderen Oldtimer, der uns auf der Strasse begegnet!